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Trackliste
CD 1
1Harvest Time
2Love Will Find a Way
3Memories of Edith Johnson
CD 2
1Harvest Time Live - Version 1
2Harvest Time Live - Version 2
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2023

Süß ist die Zeit der Ernte
Mit Wattetupfer und Schneidbrenner: Ein fast verschollenes Juwel des Saxophonisten Pharoah Sanders

Die Geburt eines Meisterwerks aus einem Missverständnis: Als Pharoah Sanders an einem heißen Augustabend 1976 in der zu einem provisorischen Aufnahmestudio umfunktionierten ehemaligen Mineralwasserfabrik in Rockland County, New York, auftauchte, traute Bob Cummins, Inhaber des kleinen Jazzlabels "India Navigation", seinen Augen nicht: Der Saxophonist brachte eine veritable Rockband mit, die neben Bass, Schlagzeug und Perkussion noch Orgel, Harmonium und E-Gitarre im Gepäck hatte. Während Sanders offenbar ein opulentes Fusion-Jazz-Projekt vorschwebte, hatte Cummins ein einfaches Saxophon-Bass-Duo im Sinn. Die technischen Kapazitäten des jungen Labels waren jedenfalls schnell überfordert, und im Studio machte sich gereizte Stimmung breit: Kein Wunder, dass sich der erhoffte Groove der Musik partout nicht einstellen wollte und weder Produzent noch Musiker mit dem Ergebnis der Aufnahmesession zufrieden waren.

Nach diesem Fehlschlag mutet es fast wie ein Wunder an, dass Sanders und Cummins sich im September erneut zusammenrauften. Jetzt schienen die Dinge besser zu laufen, denn Sanders brachte die Idee eines schlagzeuglosen Stücks namens "Harvest Time" mit - eine kontemplativ gestimmte, spontane Komposition für Saxophon, Gitarre, Bass und Harmonium. Vom ersten Moment an, als der junge Tisziji Munoz seinem Griffbrett ein einfaches Ohrwurm-Riff entlockt, entfaltet sich eine intensive Ruhe, ein Gefühl fast überirdischen Weltvertrauens. Sanders kostet den Luftstrom seines Horns genüsslich aus, fast so als würde er den Hörer an meditativen Atem-Übungen teilhaben lassen.

Gleichzeitig entsteht ein melodisches Fluidum, das völlig anstrengungslos immer weiter zu wuchern scheint. Bis auf einen kurzen Moment am Ende des Zwei-Akkord-Stücks mit seiner charakteristischen Pendel-Harmonik verzichtet Sanders hier auf seine patentierte "Schrei-Ästhetik", mit der er das Saxophon über seine tonalen Grenzen hinaustreibt. Stattdessen vertraut der einstige Sternenstürmer des John Coltrane-Quintetts ganz den sanften Klanggesten seines Saxophon-Odems - hier ganz im Sinne jener archaischen "Atemseele" gedacht, die das profane Luftholen ebenso meint wie den frei fließenden Geist.

Ohne zu erkennen, dass sie gerade ein Meisterwerk des spirituellen Jazz eingespielt hatten, machten sich Cummins und Sanders jedoch weiterhin Vorwürfe, nicht genug in die Aufnahme investiert zu haben. So erschien "Harvest Time" 1977 auf dem Album "Pharoah" zunächst ohne erkennbaren Enthusiasmus und ohne viel Werbung. Sanders schien die vertrackte 77er-Session für immer verdrängen zu wollen. Gleichzeitig aber gewann "Harvest Time" bei Jazz-Enthusiasten weltweit einen fast mystischen Status und avancierte zu einer Art heiligem Gral für Pharoah-Fans. Es sollte fast dreißig Jahre dauern, bis sich das Label "Luaka Bop" vom einstigen Talking-Heads-Frontmann David Byrne des fast verschollenen Juwels annahm.

Im Herbst 2022, wenige Monate vor seinem Tod, erteilte Sanders seinen Segen für eine klangtechnisch restaurierte Wiederveröffentlichung der lange vergriffenen Platte. Unter dem Einfluss des Ambient-Künstlers Floating Points - mit dem er 2021 das vielfach ausgezeichnete Album "Promises" eingespielt hatte - war ihm die fast visionäre Qualität von "Harvest Time" schlussendlich aufgegangen. Ausgiebige Recherchen förderten zudem zwei bisher unveröffentlichte Live-Versionen des hypnotischen Stücks vom Sommer 1977 zutage. Während das Middelheim-Konzert mit den weichen E-Piano-Girlanden von Khalid Moss demonstriert, wie höheres Tempo die Dringlichkeit von Sanders betörendem Saxophon-Sprachspiel noch zu steigern vermag, setzt die Performance vom Willisau-Festival ganz auf den Intensitäts-Zauber von Sanders' Tonformung: Wattetupfer und Schneidbrenner! Wer die "profane Frömmigkeit" dieses Versenkungs-Jazz einmal gekostet hat, wird sich immer wieder daran erinnern. PETER KEMPER

Pharoah Sanders: "Pharoah".

Als Doppel-CD oder

Vinyl-Doppelalbum-Box-Set. Luaka Bop

680899800815 (Indigo)

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