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Produktdetails
Trackliste
CD
1Heroes00:05:52
2Abdul Majid00:08:53
3Sense Of Doubt00:07:20
4Sons Of The Silent Age00:08:19
5Neu Köln00:06:41
6V2 Schneider00:06:48
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.1997

Das Orchester als Beruhigungsmittel
David Bowies "Helden" amputiert: Die "Heroes Symphony" von Philip Glass

Als David Bowie 1977 nach Berlin kam, wollte er die Drogenexzesse und Esoterikexperimente seiner kalifornischen Jahre ein für allemal hinter sich lassen. In Schöneberg mietete er mit seinem Freund Brian Eno eine Hinterhofwohnung, spielte ein Pop-Avantgarde-Album ein und bemühte sich, in seiner Umgebung wieder Normalität vorzufinden: Gegengift zu den übersteigerten Lebensexperimenten des außerirdischen Zwitterwesens Ziggy Stardust.

Doch Normalität konnte Berlin Ende der siebziger Jahre mit Mauer, Stacheldraht, Wachhunden und Grenzposten gerade nicht bieten. So entstand Bowies Album "Heroes", eine bizarre Liebesgeschichte im Schatten der Mauer, ein Stück voller ungewöhnlicher Harmonien, düsterer Prophezeiungen und scheinbar zusammenhangloser, teilweise auch auf deutsch gesungener Textfragmente. Diese wurden nach dem Vorbild William Burroughs' in surrealistischer Collagemanier zu einem dunklen Klanggebräu zusammengemischt.

Zwanzig Jahre später beugt sich nun ein anderer Großer der zeitgenössischen Musik, Philip Glass, über Bowies Pop-Avantgarde-Stück. Der Daddy der Minimal music bringt "Heroes" als Symphonie auf die Bühne. Das Werk wurde in der Londoner Festival Hall uraufgeführt, kam dann nach Wien und wurde nun auch dem Berliner Publikum vorgestellt. Glass, immer schon ein Wanderer zwischen den Welten, erinnert sich schwärmerisch an die für ihn goldenen siebziger Jahre, als er den internationalen Durchbruch schaffte und eine kleine Familie von Musikern wie Kraftwerk, Tangerine Dream und Frank Zappa versuchte, die Popmusik neu zu erfinden. Aus dieser Zeit stammt auch seine Bekanntschaft mit David Bowie und Brian Eno, mit denen er nun als leuchtendes Dreigestirn im Neonlicht das Cover der "Heroes Symphony" ziert.

Er habe schon sehr früh etwas mit der Musik von Bowie/Eno "machen" wollen, berichtet Glass. "So gut diese Musik war - ich dachte doch, daß ich ihr durch meine Erfahrungen mit Instrumentierung und meine eigenen kompositorischen Ideen noch eine neue Dimension abgewinnen könnte." Der in Deutschland immer noch hochgeschätzte, in Großbritannien jedoch weitaus kühler rezipierte Künstler aus Baltimore instrumentierte Bowies Musik nicht einfach für symphonisches Orchester, sondern schuf eigentlich eine Neukomposition mit eigenen Sätzen, Rhythmen und Phrasierungen. Dank einer Technik, die er als "reharmonizing the melody" bezeichnet, habe er "Heroes" radikal verändert, berichtet Glass, "so sehr, daß die Leute die Melodien gar nicht wiedererkennen. Sie fragen mich: Warum hast du die Melodie nicht dringelassen? Aber ich habe einfach neue Harmonien über die Melodie gelegt, und das verändert die Musik grundlegend."

In seiner sechs "Sätze" umfassenden "Symphony" hat Glass allerdings auch all das aus "Heroes" herausgeschnitten, was den Wert und die Besonderheit des Albums ausmachte: die klaustrophobische Enge, das Lebensgefühl einer Welt am Abgrund, das Bowie und Eno in Berlin beobachteten, und die Mischung aus Verzweiflung und trotziger Selbstbehauptung, aus der die Musiker ihre Energie bezogen. Die "Heroes Symphony" ist viel glatter, verzichtet auf das Kantige und Dunkle der Vorlage, Bowies Gesang und der coole Elektroniksound vom Synthesizer Brian Enos werden durch freundliche Streicherpassagen ersetzt: musikalische Nettigkeiten und gefällige Akkorde. Wo es Bowie um die Isolation des modernen Großstadtmenschen ging, verabreicht Glass pastellfarbene Klänge und Tranquilizer für ein eher gesetztes Publikum. Seine Musik erscheint weitgehend austauschbar, ein Experiment, das keinem weh tut, aber auch nicht überzeugt: fast eine Tanz- oder Filmmusik, die der Komponist mit seiner eigenen Produktionsfirma, eigenem Plattenlabel und zwanzig ständigen Angestellten rund um den Globus clever vermarktet.

Längst ist Glass kein Revolutionär mehr. Wenn ihn dennoch manche als den geistigen Großvater von Techno und House ansehen, dann vor allem auf Grund seiner jahrzehntelangen Crossover-Bemühungen. Immer wieder versuchte Glass, Grenzen von E- und U-Musik zu durchbrechen. Gern arbeitet der Maestro mit Popkünstlern zusammen, schreibt Lieder für Suzanne Vega und Mick Jagger und ganz nebenbei fast jedes Jahr noch eine Oper. Großen Einfluß hat Glass auch auf die Entwicklung des Modern Dance gehabt, wobei ihn eine enge künstlerische Verwandtschaft mit Twyla Tharp verbindet. Diese zeigte sich von seinem "Heroes"-Projekt angeblich begeistert, komponierte flugs eine Choreographie zur Musik von "Heroes" - und brachte, wie kürzlich in der Berliner Komischen Oper und in Weimar zu sehen, doch nur eine recht blut- und gedankenleere Bewegungsstudie zustande. Daß dem Duo Tharp/Glass der Kommerz inzwischen näher steht als die Kunst, wird schmerzhaft spürbar.

Ganz anders die Karriere des anderen großen Crossover-Künstlers David Bowie, der kürzlich seinen fünfzigsten Geburtstag feierte. Er meldete sich nicht nur mit einer gelungenen Techno-Scheibe "Earthling" stimmgewaltig zurück. Ihn zieht es neuerdings auch zur Klassik. Bei den Salzburger Festspielen im Jahre 2000 will er mit einer Oper aufwarten - und damit Philip Glass auf dessen ureigenstem Terrain Konkurrenz machen. WERNER BLOCH

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