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Produktdetails
Trackliste
CD
1A Pain That I'm Used To00:04:11
2John The Revelator00:03:43
3Suffer Well00:03:50
4The Sinner In Me00:04:56
5Precious00:04:10
6Macro00:04:03
7I Want It All00:06:10
8Nothing's Impossible00:04:21
9Introspectre00:01:42
10Damaged People00:03:30
11Lilian00:04:50
12The Darkest Star00:06:55
13Keine Titelinformation (Data Track)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2005

Dem Arrangeur ist nichts zu schwör
Leidzyklus: Depeche Mode kehren mit "Playing The Angel" auf den schwarzen Thron zurück

Vor einiger Zeit traf bei Ben Hillier ein Paket ein. Absender waren Depeche Mode. In dem Paket befanden sich dreiundzwanzig Jahre Bandgeschichte: alle Platten von "Speak & Spell" aus dem Jahr 1982 bis zur knapp vierstündigen Remix-Sammlung von 2004. Hillier, bislang als Produzent von melodie- wie egostarken Rockgruppen à la Blur oder Suede aufgefallen, galt nicht als Freund jener Spielart des Elektropops, die Depeche Mode zu einer Höhe geführt haben, aus der es für sie in den neunziger Jahren nur noch den Rückzug ins Basislager des Gitarrenriffs gab. Trotzdem wollte das britische Trio auf seiner neuen Gipfeltour Hillier als Bergführer - eine einsichtige Wahl angesichts des erstaunlichen Rhythmusgefühls, das vor allem die Blur-Veröffentlichungen unter dessen Regie bewiesen haben. Aber so ganz traute man dem Herrn wohl doch nicht über den Weg, und so ging denn das Postpaket an ihn ab, auf daß er sich kundig machen möge, wie Depeche Mode zu klingen haben.

Dave Gahan, Sänger der Gruppe, hat berichtet, daß Hillier ihm nach Abschluß der gemeinsamen Arbeit gestand, daß er die Sendung ungeöffnet weggelegt habe. Eine schöne Geschichte, aber sie hat einen Haken: Es gibt zwei Lügner. Entweder Hillier und Gahan oder unsere Ohren. Denn letztere hören zum Einstieg in die neue Platte "Playing The Angel" einen unglaublich lärmigen, liebevoll übersteuerten, synthetisch herausgepreßten Sirenenton, der eine nur minimal variierte Tonabfolge des Intros zu "Everything Counts" ist, jener nun auch schon mehr als anderthalb Jahrzehnte alten Hymne, mit der Depeche Mode jahrelang ihre Konzerte zu beschließen pflegten: Die Dreitonfolge ist nun verschliffen worden zu einem einzigen, plötzlich aufsteigenden Signal, und wenn wir es als Alarmmeldung deuten dürfen, so kann es nur warnen: Ohren auf! Wir stehen an einem neuen Anfang. Er führt zurück.

"A Pain That I'm Used to" heißt das erste Stück der Platte, und wie aus dem kakophonischen Weckruf erst ein Marschrhythmus und dann ein pointillistisches Klanggebilde aus hingetupften Tonflecken wird, das zeigt eine Meisterschaft, die aus Erfahrung und auch mit Hilliers Können nicht allein zu erklären ist. Natürlich sind da plötzlich wieder die antiquierten Synthesizer, die seit "Violator" aus dem Jahr 1990 eingemottet schienen und nur in mehrjährigem Abstand zu den überlaufenen Bühnenauftritten wieder herausgeholt wurden. Was hatten wir sie vermißt! Aber einer Band, die schon aktiv war, als Kraftwerk noch kreativ waren, und die dann den Düsseldorfern die Rolle als Klassensprecher der Elektrofraktion abspenstig gemacht hat, mußte man zugestehen, daß sie ihren Adepten immer wieder davonlaufen wollte. Das Interessante an Depeche Mode ist, daß dieser Vorwärtsdrang sie immer wieder in den Rücken der Verfolger brachte. Plötzlich spielten sie Rockmusik, und nun sind sie gerade nach Abebben des kurzlebigen Synthie-Revivals wieder zu einem Stil zurückgekehrt, den sie selbst 1984 hinter sich ließen. Aber die Platte, die damals erschien, hatte einen Titel, den die Gruppe zum Merksatz für jede ihrer Bastelstunden am Mythos erhoben haben könnte: "Construction Time Again".

Auch auf "Playing The Angel" wird wieder munter auf Schwermetall herumgeklopft, aber weder das Gezirpe und Gezwitscher der analogen Klangproduktion noch dieser gesampelte und manipulierte Baumaschinenpark machen den eigentlichen Reiz der neuen Platte aus. Er entsteht eben nicht aus der wohligen Nostalgie, die sich bei vertrauten Melodie- und Rhythmusmustern einstellt, sondern aus der Konsequenz, mit der der Untertitel des Werks in Töne gesetzt wird: "Pain and Suffering in Various Tempos". Dieses Motto, erkennbar aus der Feder des Gehirns der Gruppe, Martin Gore, findet sich auf der Hüllenrückseite, zudem noch in Anführungszeichen gesetzt, als wollte man leicht verschämt Gores subjektive Sicht der Dinge dokumentieren, aber man vermutet wohl nicht falsch, wenn diese in schönster musikhistorischer Tradition stehende Formulierung der eigentliche Titel der Platte hätte sein sollen. Daß die Marketingstrategen des Globalphänomens Depeche Mode bei der Titelei lieber auf eine aus dem Kontext gerissene Liedzeile zurückgriffen ("Playing the angel isn't so easy where you're from" heißt es im Schlußstück "The Darkest Star"), kann man verwertungsorientiert gut verstehen. Doch mit Engeln üblicherweise konnotierte Empfindungen entsprechen nicht dem Tenor einer Platte, die seelischen Schmerz aller Art tatsächlich Stück für Stück zum inhaltlichen Leitmotiv macht, so daß am Ende nicht weniger herauskommt als ein veritabler Lied- und Leidzyklus.

Das wäre bei Martin Gore, der bislang alle Depeche-Mode-Stücke geschrieben hatte, auch nicht weiter überraschend gewesen. In seiner Soloplatte "Counterfeit", die 2003 zeitgleich mit dem Alleingang von Dave Gahan, "Paper Monsters", herausgekommen war - was damals die immer neuen Gerüchte über das bevorstehende Ende von Depeche Mode zusätzlich befeuerte -, bekam man ein Menü aus Musikstücken unterschiedlichster Quellen serviert, die leicht erkennen ließen, daß Gore sich seine Vorläufer zusammensuchte, um gegen den Usurpator aus eigenen Reihen, eben Gahan, ästhetisch mobil zu machen. Wo der Sänger mit "Paper Monsters" ein Bewerbungsschreiben dafür abgab, auch einmal selbst etwas für Depeche Mode schreiben zu dürfen, stellte Gore über die Auswahl der von ihm adaptierten Lieder ein Anforderungsprofil für diese Stelle zusammen: Wem Arbeiten von Bertolt Brecht und Kurt Weill, von David Bowie, Nick Cave oder Lou Reed gerade gut genug sind, um die eigene Stimmung auszudrücken, der kann dann doch wohl nur schwer vom bislang illiteraten eigenen Bandkollegen beeindruckt werden? Doch auf "Playing The Angel" ist Gahan plötzlich mit drei Kompositionen (für die er sich allerdings zusätzlich fremder Hilfe versicherte) vertreten.

Das ist der zweite Reiz der Platte: Es wäre bei zweien dieser Lieder, bei "Suffer Well" und "Nothing's Impossible", schwer herauzuhören gewesen, daß sie aus anderer Feder stammen, so perfekt passen sie sich in die Dramaturgie des Gore-Ganzen ein. Und der dritte Gahan-Beitrag, "I Want It All", ist zumindest nicht enttäuschender als Gores metaphysisch gelangweiltes "Macro". Dankenswerterweise folgen diese beiden kleinen Trauerspiele im großen Trauerzyklus direkt aufeinander, so daß die restlichen zehn Titel nicht weiter von ihnen behelligt werden. Da Gore mit seiner - um es freundlich auszudrücken - suboptimalen Singstimme neben "Damaged People" nur "Macro" entedelt, hält sich auch hier der Verlust in Grenzen. Somit kann man sagen, daß die Kompromißlösung der internen Konkurrenzsituation bei Depeche Mode zu weniger desaströsen Ergebnissen geführt hat als bei den Rolling Stones.

Der Rest tröstet ohnehin über alles hinweg. Mit "Precious" hat man neben "The Pain That I'm Used to" die obligatorischen Mitsing-Hymnen im Programm, da ist das viel zu kurze, rein instrumentale "Introspectre", und mit "The Sinner in Me" und "John the Revelator" gibt es verblüffende Annäherungsversuche an Blues und Rock, die zudem mit allerlei verfremdeten Gitarrenklängen auch noch eine Reminiszenz an die jüngere Vergangenheit der Band gestatten.

So rundet sich das neue Werk zu einem zweiten Meilenstein in der Diskographie von Depeche Mode. Würden wir selbst immer noch "Violator" auf die einsame Insel retten, so wäre das Warten auf einen weiteren Schiffbrüchigen, der "Playing The Angel" im Gepäck hat, wohl nicht aussichtslos. In "Precious" findet sich eine anrührende Liebeserklärung: "If God has a master plan that only He understands, I hope it's your eyes He's seeing through." Es sei ergänzt: Und Er möge ihn durch die Ohren von Depeche Mode akustisch überprüfen.

ANDREAS PLATTHAUS

Depeche Mode, Playing the Angel. CDStumm 260 Mute (EMI)

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