Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 12. März 2010
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / Staatsakt,
- EAN: 4047179061629
- Artikelnr.: 23096275
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
CD | |||
1 | Pause machen geht nicht | 00:03:50 | |
2 | Die Welt Wird Mich Von Meiner Spiessigsten Seite Kennen Lernen | 00:04:17 | |
3 | Der Blues kommt zurück in die Stadt | 00:04:16 | |
4 | Sei schlau, bleib dumm | 00:04:24 | |
5 | Eier | 00:04:45 | |
6 | Everybodys Darlehen | 00:03:34 | |
7 | Daddy Uncool | 00:04:14 | |
8 | Sudoku Mädchen | 00:05:19 | |
9 | Ehrliche Arbeit | 00:03:58 | |
10 | Im Norden ist der Süden am schönsten | 00:03:35 | |
11 | Tanz den Tanz | 00:05:16 | |
12 | In Die Stadt | 00:12:23 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2008Pause machen gilt nicht
Ist das die nächste beste deutsche Band? In der Flaute des Deutschpop versuchen Die Türen aus Berlin ihr Glück mit dreistem Eklektizismus und liefern den Soundtrack zur digitalen Boheme.
Die Benennung einer Band ist bekanntlich eine äußerst sensible Angelegenheit, an der schon manch hoffnungsvolle Talente gescheitert sind, bevor sie überhaupt einen Pieps von sich gegeben haben. Was ist also davon zu halten, wenn sich eine Berliner Band Die Türen nennt und damit auch noch durchkommt? Ein Thekenwitz? Haben sich hier Musiker zusammengefunden, die das Andenken an Jim Morrison hochhalten wollen, womöglich noch in eingedeutschter Vortragsweise ("Mach schon, Baby, entfach' mein Feuer")?
Ein Blick auf das aktuelle dritte Album der Gruppe hilft zunächst auch nicht weiter. Das Werk mit dem ebenso fragwürdigen Titel "Popo" vermischt das Logo eines großen Lebensmitteldiscounters mit der Typographie von George Clintons Funk-Band Parliament; die CD selbst gibt sich als eine Scheibe Bierschinken mit einem Loch in der Mitte. Augenscheinlich trifft hier also Pop auf Konsum, Leben auf Kunst.
Als Die Türen vor vier Jahren mit dem Album "Herz war Nihilismus" debütierten, waren sie noch zu dritt. Ramin Bijan, Gunther Osburg und Maurice Summen, gerade frisch aus dem flachen Münsterland nach Prenzlauer Berg gezogen, überraschten mit einer Platte, die die rotzige Do-it-yourself-Ästhetik des Punk und die diskursive Rhetorik der Hamburger Schule mit kraftmeiernden Electro-Beats paarte. Den Stücken war deutlich anzumerken, dass sie am heimischen Computer in Hochgeschwindigkeit aufgenommen worden waren. Wie im Rausch, der einem kaum Zeit zum Atemholen ließ, wurde hier eine Explosion nach der anderen gezündet. "Starkstrom Elektriker" hieß die erste Single, der Titel war Programm.
Im Gegensatz dazu ist "Popo" eine Bandplatte im klassischen Sinne geworden. Verstärkt durch Schlagzeuger Markus Spin und den ehemaligen Blumfeld-Tastenmann Michael Mühlhaus, haben Die Türen das Material ihres neuen Werks in ehrlicher Handarbeit und größtenteils live eingespielt. Auf den Einsatz von Synthesizern wurde diesmal genauso verzichtet wie auf digitale Sampler und Sequenzer. Beim Abmischen orientierte man sich nicht etwa an den kalorienhaltigen Vollfettprodukten aus Hip-Hop und Nu-Metal, sondern an Platten, die etwa um 1972 aufgenommen worden sind. Verglichen mit seinen Vorgängern, klingt "Popo" etwas altmodisch und nicht so offensiv, zuweilen ungewohnt lieb.
Stilistisch geht der Blick ebenfalls zurück. Neben Rhythm-&-Blues-Anleihen hat man Soul, Funk sowie tanzbare Disco-Grooves vorzuweisen. Doch auch die Freude am Abseitigen und Verpönten wird deutlich. Hier ein Boogie-Woogie-Piano, dort ein "Twist & Shout"-Pastiche, und "Sudoku Mädchen" klingt sogar gefährlich nach den Oldie-Rockern von Status Quo. So viel steht fest: Die Türen sind abgebrühte Alleskönner, die vor nichts und niemandem zurückschrecken.
In den Texten strotzt "Popo" nur so vor Zitaten, Verweisen und Anspielungen. Da werden Topoi des Blues ins Deutsche übersetzt, Zeitgeistphänomene analysiert, die Sprache der Werbung konterkariert oder Alltagsweisheiten zu einer Textcollage zusammengefügt: "Heute ist alles anders, früher war alles besser / Aus Kindern werden Leute, das hätt' es früher nicht gegeben / Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr", reimt es sich etwa bei "Und die Welt wird mich von meiner spießigsten Seite kennenlernen".
Doch die Fülle an Referenzen ist nicht reiner Selbstzweck. Es geht nicht darum, den Besserwissern und Kulturwissenschaftlern Materialien zum Decodieren vorzuwerfen oder den inhaltslosen Nonsens der Neuen Deutschen Welle fortzuschreiben. Eine Spaßband sind Die Türen trotz ihres hintergründigen Humors beileibe nicht. Dafür sind die Zustände, die sich in ihren Versen widerspiegeln, zu ernst.
"Pause machen is' nich, sonst bist du arbeitslos und pleite", plärrt Maurice Summen fröhlich vor sich hin und bringt damit das Gefühl der wahlweise als Generation Praktikum oder digitale Boheme bezeichneten Altersklasse der Dreißigjährigen auf den Punkt, die gelernt hat, ihr Leben in kurzfristigen Projekten einzurichten. Zu ihr gehören auch die Bandmitglieder, die - wenn der Geldfluss stocken sollte - auch mal eine Schicht im Callcenter einlegen. Daher wissen sie, dass in dieser Situation die einstigen kämpferischen Parolen und die theorielastigen Diskurse von gestern genauso wenig weiterhelfen wie eskapistische Befindlichkeitsduseleien. In der zeitgenössischen Kunst diente ein derartiges souveränes Hantieren mit fremden Bausteinen jedenfalls als Strategie der Aneignung, die das Absurde und Außergewöhnliche der Alltagsrealität erst deutlich macht.
In gut informierten Kreisen gelten Die Türen längst als nächste beste deutsche Band. Ob sie mit ihrer intelligenten Phrasendrescherei und stilistischen Vielfalt jedoch auch eine breite Basis erreichen können, wird sich zeigen. Thomas Kapielski, von dem Die Türen den Aphorismus von der Verwandtschaft von Kunst und Arbeitslosigkeit entlehnt haben, kannte das Rezept, wie man sich am besten vor allzu viel Vereinnahmung und den falschen Freunden schützt: "Mit ein bisschen Antäuschen, Doofstellen und Klugheit wimmelt man die Ausschlachter und Schnarcher ganz gut ab", riet der vielleicht noch immer bekannteste unbekannte Künstler und Autor Berlins einmal. So gesehen, machen Die Türen alles richtig. Trotzdem wäre es schade, wenn sie nur der nächste Berliner Underground-Hype blieben. Mit den Großen der deutschen Pop-Landschaft können sie es jederzeit aufnehmen. So erfrischend eigenwillig und eingängig rockte und rollte es jedenfalls schon lange nicht mehr.
SVEN BECKSTETTE
Die Türen, Popo. Staatsakt 200 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ist das die nächste beste deutsche Band? In der Flaute des Deutschpop versuchen Die Türen aus Berlin ihr Glück mit dreistem Eklektizismus und liefern den Soundtrack zur digitalen Boheme.
Die Benennung einer Band ist bekanntlich eine äußerst sensible Angelegenheit, an der schon manch hoffnungsvolle Talente gescheitert sind, bevor sie überhaupt einen Pieps von sich gegeben haben. Was ist also davon zu halten, wenn sich eine Berliner Band Die Türen nennt und damit auch noch durchkommt? Ein Thekenwitz? Haben sich hier Musiker zusammengefunden, die das Andenken an Jim Morrison hochhalten wollen, womöglich noch in eingedeutschter Vortragsweise ("Mach schon, Baby, entfach' mein Feuer")?
Ein Blick auf das aktuelle dritte Album der Gruppe hilft zunächst auch nicht weiter. Das Werk mit dem ebenso fragwürdigen Titel "Popo" vermischt das Logo eines großen Lebensmitteldiscounters mit der Typographie von George Clintons Funk-Band Parliament; die CD selbst gibt sich als eine Scheibe Bierschinken mit einem Loch in der Mitte. Augenscheinlich trifft hier also Pop auf Konsum, Leben auf Kunst.
Als Die Türen vor vier Jahren mit dem Album "Herz war Nihilismus" debütierten, waren sie noch zu dritt. Ramin Bijan, Gunther Osburg und Maurice Summen, gerade frisch aus dem flachen Münsterland nach Prenzlauer Berg gezogen, überraschten mit einer Platte, die die rotzige Do-it-yourself-Ästhetik des Punk und die diskursive Rhetorik der Hamburger Schule mit kraftmeiernden Electro-Beats paarte. Den Stücken war deutlich anzumerken, dass sie am heimischen Computer in Hochgeschwindigkeit aufgenommen worden waren. Wie im Rausch, der einem kaum Zeit zum Atemholen ließ, wurde hier eine Explosion nach der anderen gezündet. "Starkstrom Elektriker" hieß die erste Single, der Titel war Programm.
Im Gegensatz dazu ist "Popo" eine Bandplatte im klassischen Sinne geworden. Verstärkt durch Schlagzeuger Markus Spin und den ehemaligen Blumfeld-Tastenmann Michael Mühlhaus, haben Die Türen das Material ihres neuen Werks in ehrlicher Handarbeit und größtenteils live eingespielt. Auf den Einsatz von Synthesizern wurde diesmal genauso verzichtet wie auf digitale Sampler und Sequenzer. Beim Abmischen orientierte man sich nicht etwa an den kalorienhaltigen Vollfettprodukten aus Hip-Hop und Nu-Metal, sondern an Platten, die etwa um 1972 aufgenommen worden sind. Verglichen mit seinen Vorgängern, klingt "Popo" etwas altmodisch und nicht so offensiv, zuweilen ungewohnt lieb.
Stilistisch geht der Blick ebenfalls zurück. Neben Rhythm-&-Blues-Anleihen hat man Soul, Funk sowie tanzbare Disco-Grooves vorzuweisen. Doch auch die Freude am Abseitigen und Verpönten wird deutlich. Hier ein Boogie-Woogie-Piano, dort ein "Twist & Shout"-Pastiche, und "Sudoku Mädchen" klingt sogar gefährlich nach den Oldie-Rockern von Status Quo. So viel steht fest: Die Türen sind abgebrühte Alleskönner, die vor nichts und niemandem zurückschrecken.
In den Texten strotzt "Popo" nur so vor Zitaten, Verweisen und Anspielungen. Da werden Topoi des Blues ins Deutsche übersetzt, Zeitgeistphänomene analysiert, die Sprache der Werbung konterkariert oder Alltagsweisheiten zu einer Textcollage zusammengefügt: "Heute ist alles anders, früher war alles besser / Aus Kindern werden Leute, das hätt' es früher nicht gegeben / Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr", reimt es sich etwa bei "Und die Welt wird mich von meiner spießigsten Seite kennenlernen".
Doch die Fülle an Referenzen ist nicht reiner Selbstzweck. Es geht nicht darum, den Besserwissern und Kulturwissenschaftlern Materialien zum Decodieren vorzuwerfen oder den inhaltslosen Nonsens der Neuen Deutschen Welle fortzuschreiben. Eine Spaßband sind Die Türen trotz ihres hintergründigen Humors beileibe nicht. Dafür sind die Zustände, die sich in ihren Versen widerspiegeln, zu ernst.
"Pause machen is' nich, sonst bist du arbeitslos und pleite", plärrt Maurice Summen fröhlich vor sich hin und bringt damit das Gefühl der wahlweise als Generation Praktikum oder digitale Boheme bezeichneten Altersklasse der Dreißigjährigen auf den Punkt, die gelernt hat, ihr Leben in kurzfristigen Projekten einzurichten. Zu ihr gehören auch die Bandmitglieder, die - wenn der Geldfluss stocken sollte - auch mal eine Schicht im Callcenter einlegen. Daher wissen sie, dass in dieser Situation die einstigen kämpferischen Parolen und die theorielastigen Diskurse von gestern genauso wenig weiterhelfen wie eskapistische Befindlichkeitsduseleien. In der zeitgenössischen Kunst diente ein derartiges souveränes Hantieren mit fremden Bausteinen jedenfalls als Strategie der Aneignung, die das Absurde und Außergewöhnliche der Alltagsrealität erst deutlich macht.
In gut informierten Kreisen gelten Die Türen längst als nächste beste deutsche Band. Ob sie mit ihrer intelligenten Phrasendrescherei und stilistischen Vielfalt jedoch auch eine breite Basis erreichen können, wird sich zeigen. Thomas Kapielski, von dem Die Türen den Aphorismus von der Verwandtschaft von Kunst und Arbeitslosigkeit entlehnt haben, kannte das Rezept, wie man sich am besten vor allzu viel Vereinnahmung und den falschen Freunden schützt: "Mit ein bisschen Antäuschen, Doofstellen und Klugheit wimmelt man die Ausschlachter und Schnarcher ganz gut ab", riet der vielleicht noch immer bekannteste unbekannte Künstler und Autor Berlins einmal. So gesehen, machen Die Türen alles richtig. Trotzdem wäre es schade, wenn sie nur der nächste Berliner Underground-Hype blieben. Mit den Großen der deutschen Pop-Landschaft können sie es jederzeit aufnehmen. So erfrischend eigenwillig und eingängig rockte und rollte es jedenfalls schon lange nicht mehr.
SVEN BECKSTETTE
Die Türen, Popo. Staatsakt 200 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main