Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 18. Mai 1998
- Hersteller: Sony Music Entertainment Germa / SCL,
- Gesamtlaufzeit: 72 Min.
- EAN: 5099706064527
- Artikelnr.: 58096850
CD | |||
1 | Porgy and Bess (Oper in 3 Akten): A Symphonic Picture | 00:25:01 | |
2 | Rhapsody in Blue | 00:16:18 | |
3 | 1. Allegro | 00:13:08 | |
4 | 2. Adagio. Andante con moto | 00:12:05 | |
5 | 3. Allegro agitato | 00:06:40 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2024Solo für Klarinette
Vor hundert Jahren wurde die "Rhapsody in Blue" von George Gershwin uraufgeführt. Streit um sie gab es von Beginn an. Ihren verdienten Erfolg hat der nicht verhindert.
Ob René Schickele, als er an seinem Roman "Symphonie für Jazz" (1929) schrieb, wohl an George Gershwins "Rhapsody in Blue" dachte? Schickeles Protagonist plant nämlich tatsächlich, eine solche "Symphonie für Jazz, Streicherkorps und Orgel" zu komponieren - allein, er kommt nicht dazu, weil er ständig kommerzielle Lieder schreiben muss.
In der Wirklichkeit war George Gershwin schon 1924 in seiner Heimatstadt New York dem Wunsch des Dirigenten Paul Whiteman nachgekommen, ein "Jazz Concerto" für eine Veranstaltung mit dem Titel "Experiment in Modern Music" zu komponieren. An der 42. Straße in Manhattan, in der Aeolian Hall, wurde Gershwins "Rhapsody in Blue" am 12. Februar 1924 uraufgeführt.
Es ging laut damaligem Programmtext ausdrücklich darum, den Begriff des Jazz aufzuwerten im Kontext der klassischen Musik, also deren Publikum zu begeistern für eine bislang stigmatisierte oder gar aus rassistischen Gründen abgelehnte Musik, genauer auch: um die Vorstellung von Jazz als etwas schier Dissonantem zu korrigieren. Der Impuls der Veranstalter zeitigte jedoch weit mehr als einen musikdidaktischen Abend - die Uraufführung der "Rhapsody in Blue" geriet zu einem zentralen Datum des "Jazz Age", weil sie ein geniales Musikstück ist, das Klassik, Romantik, Marsch- und Tanzmusik vereint und tatsächlich ins Blaue führt, nämlich ins Reich der "blue notes".
Die Länge einer Symphonie hat die "Rhapsody in Blue" indessen nicht. Das Stück dauert nur etwa dreizehn Minuten. Aber in dieser kurzen Zeit gelingt Gershwin vom emblematisch gewordenen Auftaktglissando der Klarinette bis zur nervösen Euphorie des Schlusses der Beweis der Großformtauglichkeit und der musikalischen Diskursfähigkeit von Jazz-Idiomen. Denn er baut sowohl die synkopierte Rhythmik wie die Blues-Tonalität in eine Form ein, die an die einsätzigen Klavierkonzerte und "Ungarischen Rhapsodien" von Liszt anschließt. Zugleich unterwirft er sie einem Verfahren logischer Verknüpfung verschiedener Gestalten derselben Motive, wie es von Haydn und Beethoven entwickelt worden war. Es blieb bis zu Rachmaninow und Schönberg bestimmend. Beide übrigens schätzten Gershwin sehr: Arnold Schönberg war dessen Tennispartner, Sergej Rachmaninow hatte die Uraufführung der "Rhapsody in Blue" mitfinanziert und saß dabei im Publikum.
Was den Jazz wesentlich ausmacht, die Improvisation, wird hier zwar durch den alles regelnden Autor ausgeschaltet. Aber das Vokabular des Jazz, Techniken der Tonerzeugung, Spielmuster und Rhythmen sind überall zu greifen. Zwanzig Jahre nach dem Tod von Antonín Dvorák löste Gershwin dessen Forderung ein, dass amerikanische Kunst die Musik der Afroamerikaner wie die der Ureinwohner nicht ignorieren dürfe. Dvorák hatte damit 1895 noch den heftigen Widerspruch von Edward McDowell provoziert.
Doch unverkennbar knüpft Gershwin auch an ein Erfolgsmodell des klassischen Musikbetriebs an: das Konzert für Klavier und Orchester, dessen letzter Held Rachmaninow war. So wie das Klarinettensolo direkt dem Blues zu entspringen scheint, ist das lyrische Thema im letzten Drittel nach dem Vorbild der Schlussapotheosen Rachmaninows erfunden. Rachmaninows eigene Fertigkeit, die Intervallstruktur von "Zigeuner-Dur" und "Zigeuner-Moll" in die symphonische Arbeit zu integrieren, lieferte als Verfahren das Vorbild für Gershwins Integration des Blues.
Die Genialität Gershwins liegt eben nicht nur in seiner melodischen Erfindung (darin ist er ein Genie der Prägnanz), sondern auch in der spektakulären Inszenierung musikalischer Wirkung durch Platzierung, Entwicklung und Kontrast. Zugleich wendet er klassische Verfahrenstechniken auf ganz heterogenes Material an. Neben Blues und Jazz gehören auch die splitterscharfen Dissonanzakkorde Ravels und die stählerne Toccaten-Technik Prokofjews dazu.
Jazz und westeuropäische Kunst befanden sich damals in einem rasenden Inspirations-Pingpong. Es dürfte kein Zufall sein, dass Rachmaninow gut zehn Jahre später eine "Rhapsodie" für Klavier und Orchester (nach einem Thema von Paganini) schrieb, die in der neunten Variation die "Rhapsody in Rivets", Gershwins zweite Rhapsodie für Klavier und Orchester, nachzittern lässt, und in der fünfzehnten Variation ein Porträt der Spieltechnik von Art Tatum liefert, dessen Jazzclub Rachmaninow regelmäßig frequentierte. Bei diesem Vibrieren der Kreativität stellte sich die Frage nach legitimer kultureller Aneignung gar nicht.
Genau dieser Vorwurf begleitet Gershwins Werk und die "Rhapsody" im Besonderen allerdings seit Jahrzehnten, gerade auch weil sie, in ihrer Verbindung von Traditionen und Stilen zu etwas Neuem, gerne zu einem amerikanischen Aushängeschild gemacht wurde - oder gar zu "Propaganda", wie der Jazzpianist Ethan Iverson jüngst in der "New York Times" schrieb. Er erinnert daran, wie sie 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 1984 von 84 Pianisten und einem "Bataillon von Tänzern" aufgeführt worden sei. Doch auch Iverson kann nicht umhin, den "Blitz des Optimismus" zu sehen, der jeden beim ersten Hören treffe. Und fährt fort: "So kitschig und kaukasisch sie auch sein mag, die 'Rhapsody' ging direkt in die Sprache der stärksten und innovativsten schwarzen Jazzmusiker über", etwa von Art Blakey, Billy Strayhorn und Mary Lou Williams.
Als problematisch erachtet Iverson die Rezeption der "Rhapsody" - und dass ihr "Versprechen" uneingelöst geblieben sei: "Hundert Jahre später ist der größte Teil der populären schwarzen Musik von der Welt der formalen Komposition getrennt, während die meisten amerikanischen Konzertmusiker mit einer Partitur mit folkloristischem Charakter nichts anfangen können, geschweige denn mit Swing."
Aber sollte die "Rhapsody in Blue" zum Jubiläum im Schatten ihrer Rezeption stehen? Und bietet nicht auch die Rezeption mehr Anlass, auf das Erreichte zu schauen als auf das Unerreichte? Einerseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Verhältnis schwarzer Musiker zu Gershwin oft schwierig war und ist - man denke an Harry Belafontes Weigerung, eine Rolle in der Oper "Porgy and Bess" zu übernehmen, weil er die Darstellung von Schwarzen darin für erniedrigend hielt.
Andererseits wirkt gerade, was die "Rhapsody" betrifft, die Ausstrahlung des Stückes in ganz verschiedene Bereiche der Musik famos verbindend; sie reicht von ungezählten Orchestereinspielungen über Kuriosa wie die Aneignung durch den britischen Wurlitzer-Organisten Reginald Dixon oder den französischen Kitschier Richard Clayderman bis zu seriösen Jazz-Deutungen auch schwarzer Musiker, etwa jener von Herbie Hancock auf seinem Album "Gershwin's World" oder Marcus Roberts auf "Portraits in Blue". Jüngst hat der Banjospieler Béla Fleck die Rhapsodie auch seinem Instrument anverwandelt zu einer "Rhapsody in Blue(grass)" - das wirkt viel weniger abwegig, als manche denken mögen, wenn man sich an die Besetzung der Uraufführung erinnert: Auch hier war ein Banjo dabei. Auf die Klarinette muss man deshalb aber nicht ganz verzichten, denn Fleck hat neben seiner Interpretation auch noch eine mit dem Virginia Symphony Orchestra aufgenommen, bei der das charakteristische Motiv mit dem langsamen Triller und dem unvergesslichen Sirenen-Glissando auf Holz geblasen wird - so viel Tradition muss sein. JAN WIELE/JAN BRACHMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor hundert Jahren wurde die "Rhapsody in Blue" von George Gershwin uraufgeführt. Streit um sie gab es von Beginn an. Ihren verdienten Erfolg hat der nicht verhindert.
Ob René Schickele, als er an seinem Roman "Symphonie für Jazz" (1929) schrieb, wohl an George Gershwins "Rhapsody in Blue" dachte? Schickeles Protagonist plant nämlich tatsächlich, eine solche "Symphonie für Jazz, Streicherkorps und Orgel" zu komponieren - allein, er kommt nicht dazu, weil er ständig kommerzielle Lieder schreiben muss.
In der Wirklichkeit war George Gershwin schon 1924 in seiner Heimatstadt New York dem Wunsch des Dirigenten Paul Whiteman nachgekommen, ein "Jazz Concerto" für eine Veranstaltung mit dem Titel "Experiment in Modern Music" zu komponieren. An der 42. Straße in Manhattan, in der Aeolian Hall, wurde Gershwins "Rhapsody in Blue" am 12. Februar 1924 uraufgeführt.
Es ging laut damaligem Programmtext ausdrücklich darum, den Begriff des Jazz aufzuwerten im Kontext der klassischen Musik, also deren Publikum zu begeistern für eine bislang stigmatisierte oder gar aus rassistischen Gründen abgelehnte Musik, genauer auch: um die Vorstellung von Jazz als etwas schier Dissonantem zu korrigieren. Der Impuls der Veranstalter zeitigte jedoch weit mehr als einen musikdidaktischen Abend - die Uraufführung der "Rhapsody in Blue" geriet zu einem zentralen Datum des "Jazz Age", weil sie ein geniales Musikstück ist, das Klassik, Romantik, Marsch- und Tanzmusik vereint und tatsächlich ins Blaue führt, nämlich ins Reich der "blue notes".
Die Länge einer Symphonie hat die "Rhapsody in Blue" indessen nicht. Das Stück dauert nur etwa dreizehn Minuten. Aber in dieser kurzen Zeit gelingt Gershwin vom emblematisch gewordenen Auftaktglissando der Klarinette bis zur nervösen Euphorie des Schlusses der Beweis der Großformtauglichkeit und der musikalischen Diskursfähigkeit von Jazz-Idiomen. Denn er baut sowohl die synkopierte Rhythmik wie die Blues-Tonalität in eine Form ein, die an die einsätzigen Klavierkonzerte und "Ungarischen Rhapsodien" von Liszt anschließt. Zugleich unterwirft er sie einem Verfahren logischer Verknüpfung verschiedener Gestalten derselben Motive, wie es von Haydn und Beethoven entwickelt worden war. Es blieb bis zu Rachmaninow und Schönberg bestimmend. Beide übrigens schätzten Gershwin sehr: Arnold Schönberg war dessen Tennispartner, Sergej Rachmaninow hatte die Uraufführung der "Rhapsody in Blue" mitfinanziert und saß dabei im Publikum.
Was den Jazz wesentlich ausmacht, die Improvisation, wird hier zwar durch den alles regelnden Autor ausgeschaltet. Aber das Vokabular des Jazz, Techniken der Tonerzeugung, Spielmuster und Rhythmen sind überall zu greifen. Zwanzig Jahre nach dem Tod von Antonín Dvorák löste Gershwin dessen Forderung ein, dass amerikanische Kunst die Musik der Afroamerikaner wie die der Ureinwohner nicht ignorieren dürfe. Dvorák hatte damit 1895 noch den heftigen Widerspruch von Edward McDowell provoziert.
Doch unverkennbar knüpft Gershwin auch an ein Erfolgsmodell des klassischen Musikbetriebs an: das Konzert für Klavier und Orchester, dessen letzter Held Rachmaninow war. So wie das Klarinettensolo direkt dem Blues zu entspringen scheint, ist das lyrische Thema im letzten Drittel nach dem Vorbild der Schlussapotheosen Rachmaninows erfunden. Rachmaninows eigene Fertigkeit, die Intervallstruktur von "Zigeuner-Dur" und "Zigeuner-Moll" in die symphonische Arbeit zu integrieren, lieferte als Verfahren das Vorbild für Gershwins Integration des Blues.
Die Genialität Gershwins liegt eben nicht nur in seiner melodischen Erfindung (darin ist er ein Genie der Prägnanz), sondern auch in der spektakulären Inszenierung musikalischer Wirkung durch Platzierung, Entwicklung und Kontrast. Zugleich wendet er klassische Verfahrenstechniken auf ganz heterogenes Material an. Neben Blues und Jazz gehören auch die splitterscharfen Dissonanzakkorde Ravels und die stählerne Toccaten-Technik Prokofjews dazu.
Jazz und westeuropäische Kunst befanden sich damals in einem rasenden Inspirations-Pingpong. Es dürfte kein Zufall sein, dass Rachmaninow gut zehn Jahre später eine "Rhapsodie" für Klavier und Orchester (nach einem Thema von Paganini) schrieb, die in der neunten Variation die "Rhapsody in Rivets", Gershwins zweite Rhapsodie für Klavier und Orchester, nachzittern lässt, und in der fünfzehnten Variation ein Porträt der Spieltechnik von Art Tatum liefert, dessen Jazzclub Rachmaninow regelmäßig frequentierte. Bei diesem Vibrieren der Kreativität stellte sich die Frage nach legitimer kultureller Aneignung gar nicht.
Genau dieser Vorwurf begleitet Gershwins Werk und die "Rhapsody" im Besonderen allerdings seit Jahrzehnten, gerade auch weil sie, in ihrer Verbindung von Traditionen und Stilen zu etwas Neuem, gerne zu einem amerikanischen Aushängeschild gemacht wurde - oder gar zu "Propaganda", wie der Jazzpianist Ethan Iverson jüngst in der "New York Times" schrieb. Er erinnert daran, wie sie 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 1984 von 84 Pianisten und einem "Bataillon von Tänzern" aufgeführt worden sei. Doch auch Iverson kann nicht umhin, den "Blitz des Optimismus" zu sehen, der jeden beim ersten Hören treffe. Und fährt fort: "So kitschig und kaukasisch sie auch sein mag, die 'Rhapsody' ging direkt in die Sprache der stärksten und innovativsten schwarzen Jazzmusiker über", etwa von Art Blakey, Billy Strayhorn und Mary Lou Williams.
Als problematisch erachtet Iverson die Rezeption der "Rhapsody" - und dass ihr "Versprechen" uneingelöst geblieben sei: "Hundert Jahre später ist der größte Teil der populären schwarzen Musik von der Welt der formalen Komposition getrennt, während die meisten amerikanischen Konzertmusiker mit einer Partitur mit folkloristischem Charakter nichts anfangen können, geschweige denn mit Swing."
Aber sollte die "Rhapsody in Blue" zum Jubiläum im Schatten ihrer Rezeption stehen? Und bietet nicht auch die Rezeption mehr Anlass, auf das Erreichte zu schauen als auf das Unerreichte? Einerseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Verhältnis schwarzer Musiker zu Gershwin oft schwierig war und ist - man denke an Harry Belafontes Weigerung, eine Rolle in der Oper "Porgy and Bess" zu übernehmen, weil er die Darstellung von Schwarzen darin für erniedrigend hielt.
Andererseits wirkt gerade, was die "Rhapsody" betrifft, die Ausstrahlung des Stückes in ganz verschiedene Bereiche der Musik famos verbindend; sie reicht von ungezählten Orchestereinspielungen über Kuriosa wie die Aneignung durch den britischen Wurlitzer-Organisten Reginald Dixon oder den französischen Kitschier Richard Clayderman bis zu seriösen Jazz-Deutungen auch schwarzer Musiker, etwa jener von Herbie Hancock auf seinem Album "Gershwin's World" oder Marcus Roberts auf "Portraits in Blue". Jüngst hat der Banjospieler Béla Fleck die Rhapsodie auch seinem Instrument anverwandelt zu einer "Rhapsody in Blue(grass)" - das wirkt viel weniger abwegig, als manche denken mögen, wenn man sich an die Besetzung der Uraufführung erinnert: Auch hier war ein Banjo dabei. Auf die Klarinette muss man deshalb aber nicht ganz verzichten, denn Fleck hat neben seiner Interpretation auch noch eine mit dem Virginia Symphony Orchestra aufgenommen, bei der das charakteristische Motiv mit dem langsamen Triller und dem unvergesslichen Sirenen-Glissando auf Holz geblasen wird - so viel Tradition muss sein. JAN WIELE/JAN BRACHMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main