Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 4. November 2002
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / Hot Action Records (Die Ärzte),
- EAN: 4019593893421
- Artikelnr.: 20139471
CD | |||
1 | Schrei Nach Liebe (Live - Unplugged) | 00:03:54 | |
2 | Ich Ess Blumen (Live - Unplugged) | 00:03:23 | |
3 | Langweilig (Live - Unplugged) | 00:03:42 | |
4 | Meine Ex (Plodierte Freundin) (Live - Unplugged) | 00:02:04 | |
5 | Monsterparty (Live - Unplugged) | 00:03:28 | |
6 | Hurra (Live - Unplugged) | 00:03:46 | |
7 | Kopfhaut (Live - Unplugged) | 00:02:42 | |
8 | Zu Spät (Live - Unplugged) | 00:03:41 | |
9 | Westerland (Live - Unplugged) | 00:04:18 | |
10 | 1/2 Lovesong (Live - Unplugged) | 00:04:14 | |
11 | Komm zurück (Live - Unplugged) | 00:03:32 | |
12 | Der Graf (Live - Unplugged) | 00:03:34 | |
13 | Ignorama (Live - Unplugged) | 00:02:58 | |
14 | Is Ja Irre (Live - Unplugged) | 00:01:36 | |
15 | Bitte Bitte (Live - Unplugged) | 00:02:59 | |
16 | Mit Dem Schwert Nach Polen, Warum René? (Live - Unplugged) | 00:04:36 | |
17 | Die Banane (Live - Unplugged) | 00:05:02 | |
18 | Manchmal Haben Frauen (Live - Unplugged) | 00:05:28 | |
19 | Medley (Live - Unplugged) | 00:04:59 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2003Na, das knallt aber gewaltig
Ohne Stecker und ohne Ironie: "Die Ärzte" machen Schulmusik
"Im Raum verteilt." In der Urfassung von "Meine Ex(plodierte Freundin)" wird dieser Einwurf dahingenölt, beglaubigt als Bekundung des Ekels scheinbar die Realität des klebrigen Durcheinanders, das der gescheiterte Kußversuch angerichtet hat. Aber die Imitation des Tonfalls, in dem Kindermund Igittigitt kundtut, ist bloß kindisch. Wer stellt sich schon wirklich so an, wenn er ein bißchen Blut sehen muß? Zu Schulzeiten hat man dieses Herausquetschen der Quengeltöne doch immer nur gespielt, wenn etwa die Dose mit "Slime" geöffnet wurde, der halbflüssigen Variante grüner Götterspeise. Das fabelhaft schmissige Lied verdirbt sich selbst sein Spiel, erweist sich als Albernheit just in dem Moment, da uns das Malheur der plötzlichen Absenz in die Ohren gerieben wird: Die Instrumente schweigen, das ganze Blech verstummt, das der zerstreuten Geliebten den Totenmarsch bläst. Doch wer erteilt uns diese Lektion über das Pennälerhafte des Humors der "Ärzte"? "Die Ärzte"!
Sie haben für ihr Unplugged-Album den Nachruf auf die atomisierte Sexbombe noch einmal aufgenommen, verkürzt um die moritatenhafte Vorgeschichte, also, dem Thema angemessen, als Fragment. Und diesmal erschallt der Distributionshinweis als Jubelruf: "Im Raum verteilt!" Die ungestüme Annäherung, die sich dem Text zufolge grausam rächt, schlägt nach Aussage der Musik in eine Kommunion mit dem Universum um. Der Aberwitz der Fiktion wird auf die Spitze getrieben - und erst dieser hemmungslose Übermut des Vortrags macht den psychologischen Realismus spürbar. Daß das Schlafzimmer als Schlachtfeld zur Spaßlandschaft wird, das ist schrecklich - aber nicht, wenn man den Schrecken anprangert und zur Diskussion stellt, sondern nur genau solange, wie der Spaß empfunden und herausgebrüllt wird. Es wird ein alltägliches Geschehen besungen. Sie ist plötzlich nicht mehr da, und ich muß mich fragen, ob ich zu weit gegangen bin. Aber wenn ich mir antworten will, liege ich schon daneben. Denn aus sich heraus- und sich gegenüberzutreten ist der Liebende unfähig. Nur wenn ich meine Torheiten nacherlebe, sind sie mir bewußt - weil ich dann wieder weiß, daß sie mir damals als das absolut Richtige erschienen.
So kurios ist der Fallout des Liebesunfalls: Die Welt verliert ihren Zusammenhang, und das ist eigentlich urkomisch. Im Moment der Zurückweisung kippt die gesamte Anbahnung ins Unwirkliche, Niegewesene - ohne doch den Charakter der Zwangsläufigkeit, des kosmischen Crescendo zu verlieren. Davon erzählt "Meine Ex(plodierte Freundin)" in anderthalb Minuten. Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu. Den Zwischenruf, der an der Verteilungsgerechtigkeit Anstoß nimmt, die im Verhängnis waltet, wird man als Ironiesignal verstehen. Ironie scheidet in der Popwelt die Eingeweihten von den Dummen, die leider draußen bleiben müssen. Auch "Die Ärzte" haben es darauf angelegt, mißverstanden zu sein. Sie werden aber gerade von denjenigen verkannt, die sie für Ironiker halten. Seit der Gitarrist Farin Urlaub alias Jan Vetter und der Schlagzeuger Bela B. alias Dirk Felsenheimer sich vor zwanzig Jahren zusammentaten, seit sie sich vor zehn Jahren wiedervereinigten, mit dem Bassisten Rodrigo Gonzales als Drittem im Bunde, sagt ihnen die Kritik ironischen Raubbau an den Klischees der jeweils neuen Welle der Jugendkultur nach. Aber niemand steht ihnen ferner als der Feinsinnige, der sich einbildet, der Vergänglichkeit durch ein Jonglieren mit den Rollen des eigenen Lebens zu entgehen, als ließen sie sich so einfach loswerden wie falsche Tätowierungen, die aufgemalt sind.
Wenn sich "Die Ärzte" als Vampire stilisieren, am schönsten in der dritten Person in der Ballade "Der Graf" mit den peitschenhiebhaft hereinknallenden Klagerufen über das Zeitvergehen ("Ja, früher war . . . ja, damals!"), dann fügen sie sich fröhlich einem Schicksal, das man sich nicht abschminken kann: Wir können nicht aus unserer Haut, obwohl das Leben zum Aus-der-Haut-fahren ist. Lust und Schmerz eines Individualismus, der nicht kultiviert werden muß, weil er Natur ist, exemplifizieren die vermeintlichen Abartigkeiten. Keine Vorliebe ist so bizarr ("Ich will einmal nach Saarbrücken, nach Saarbrücken wäre nett!"), daß es nicht einen gibt, der diese Obsession in eine Welt hinausposaunt, die ihn nie verstehen wird. So munter zappeln und zucken die Ohrwürmer, die Bela, Farin und Rod ohne allen Apparat präsentieren, daß man glauben möchte, sie hätten die Quelle der ewigen Jugend entdeckt. Der Frühvergreisung entgehen sie, die der Fluch jeder popkulturellen Generation ist, weil sie seit jeher nicht an die Entwicklung geglaubt haben. Wer mit der Zeit nicht geht, wird von ihr auch nicht überholt: "Ja, der Graf wollte nie ein Anachronismus sein." Aus der Kritik der Anthropologie des Rollenspiels ergibt sich der antipädagogische Grundzug ihres Werkes.
Nur in einer Lehranstalt konnte das steckerlose Konzert stattfinden, zu dem MTV "Die Ärzte" eingeladen hatte. Einer Schule einheizen? Das tun sie gern, liebend gern. Wenn nun der Refrain des Liedes, demnach Frauen manchmal, aber nur manchmal ein kleines bißchen Haue gern haben, von den glockenhellen Mädchenstimmen des Schulchors gesungen wird, dann ist daran ironisch nur, was man lesen kann: daß die Schule nach Albert Schweitzer heißt. Alles, was man hört, ist ein höheres Element, Verklärung eines Daseins, das dunkel bleibt, Affirmation ohne Rücktrittsklausel: reine Heiterkeit.
PATRICK BAHNERS
Die Ärzte, Rock 'n' Roll Realschule. Hot Action (Universal) 108934-2.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ohne Stecker und ohne Ironie: "Die Ärzte" machen Schulmusik
"Im Raum verteilt." In der Urfassung von "Meine Ex(plodierte Freundin)" wird dieser Einwurf dahingenölt, beglaubigt als Bekundung des Ekels scheinbar die Realität des klebrigen Durcheinanders, das der gescheiterte Kußversuch angerichtet hat. Aber die Imitation des Tonfalls, in dem Kindermund Igittigitt kundtut, ist bloß kindisch. Wer stellt sich schon wirklich so an, wenn er ein bißchen Blut sehen muß? Zu Schulzeiten hat man dieses Herausquetschen der Quengeltöne doch immer nur gespielt, wenn etwa die Dose mit "Slime" geöffnet wurde, der halbflüssigen Variante grüner Götterspeise. Das fabelhaft schmissige Lied verdirbt sich selbst sein Spiel, erweist sich als Albernheit just in dem Moment, da uns das Malheur der plötzlichen Absenz in die Ohren gerieben wird: Die Instrumente schweigen, das ganze Blech verstummt, das der zerstreuten Geliebten den Totenmarsch bläst. Doch wer erteilt uns diese Lektion über das Pennälerhafte des Humors der "Ärzte"? "Die Ärzte"!
Sie haben für ihr Unplugged-Album den Nachruf auf die atomisierte Sexbombe noch einmal aufgenommen, verkürzt um die moritatenhafte Vorgeschichte, also, dem Thema angemessen, als Fragment. Und diesmal erschallt der Distributionshinweis als Jubelruf: "Im Raum verteilt!" Die ungestüme Annäherung, die sich dem Text zufolge grausam rächt, schlägt nach Aussage der Musik in eine Kommunion mit dem Universum um. Der Aberwitz der Fiktion wird auf die Spitze getrieben - und erst dieser hemmungslose Übermut des Vortrags macht den psychologischen Realismus spürbar. Daß das Schlafzimmer als Schlachtfeld zur Spaßlandschaft wird, das ist schrecklich - aber nicht, wenn man den Schrecken anprangert und zur Diskussion stellt, sondern nur genau solange, wie der Spaß empfunden und herausgebrüllt wird. Es wird ein alltägliches Geschehen besungen. Sie ist plötzlich nicht mehr da, und ich muß mich fragen, ob ich zu weit gegangen bin. Aber wenn ich mir antworten will, liege ich schon daneben. Denn aus sich heraus- und sich gegenüberzutreten ist der Liebende unfähig. Nur wenn ich meine Torheiten nacherlebe, sind sie mir bewußt - weil ich dann wieder weiß, daß sie mir damals als das absolut Richtige erschienen.
So kurios ist der Fallout des Liebesunfalls: Die Welt verliert ihren Zusammenhang, und das ist eigentlich urkomisch. Im Moment der Zurückweisung kippt die gesamte Anbahnung ins Unwirkliche, Niegewesene - ohne doch den Charakter der Zwangsläufigkeit, des kosmischen Crescendo zu verlieren. Davon erzählt "Meine Ex(plodierte Freundin)" in anderthalb Minuten. Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu. Den Zwischenruf, der an der Verteilungsgerechtigkeit Anstoß nimmt, die im Verhängnis waltet, wird man als Ironiesignal verstehen. Ironie scheidet in der Popwelt die Eingeweihten von den Dummen, die leider draußen bleiben müssen. Auch "Die Ärzte" haben es darauf angelegt, mißverstanden zu sein. Sie werden aber gerade von denjenigen verkannt, die sie für Ironiker halten. Seit der Gitarrist Farin Urlaub alias Jan Vetter und der Schlagzeuger Bela B. alias Dirk Felsenheimer sich vor zwanzig Jahren zusammentaten, seit sie sich vor zehn Jahren wiedervereinigten, mit dem Bassisten Rodrigo Gonzales als Drittem im Bunde, sagt ihnen die Kritik ironischen Raubbau an den Klischees der jeweils neuen Welle der Jugendkultur nach. Aber niemand steht ihnen ferner als der Feinsinnige, der sich einbildet, der Vergänglichkeit durch ein Jonglieren mit den Rollen des eigenen Lebens zu entgehen, als ließen sie sich so einfach loswerden wie falsche Tätowierungen, die aufgemalt sind.
Wenn sich "Die Ärzte" als Vampire stilisieren, am schönsten in der dritten Person in der Ballade "Der Graf" mit den peitschenhiebhaft hereinknallenden Klagerufen über das Zeitvergehen ("Ja, früher war . . . ja, damals!"), dann fügen sie sich fröhlich einem Schicksal, das man sich nicht abschminken kann: Wir können nicht aus unserer Haut, obwohl das Leben zum Aus-der-Haut-fahren ist. Lust und Schmerz eines Individualismus, der nicht kultiviert werden muß, weil er Natur ist, exemplifizieren die vermeintlichen Abartigkeiten. Keine Vorliebe ist so bizarr ("Ich will einmal nach Saarbrücken, nach Saarbrücken wäre nett!"), daß es nicht einen gibt, der diese Obsession in eine Welt hinausposaunt, die ihn nie verstehen wird. So munter zappeln und zucken die Ohrwürmer, die Bela, Farin und Rod ohne allen Apparat präsentieren, daß man glauben möchte, sie hätten die Quelle der ewigen Jugend entdeckt. Der Frühvergreisung entgehen sie, die der Fluch jeder popkulturellen Generation ist, weil sie seit jeher nicht an die Entwicklung geglaubt haben. Wer mit der Zeit nicht geht, wird von ihr auch nicht überholt: "Ja, der Graf wollte nie ein Anachronismus sein." Aus der Kritik der Anthropologie des Rollenspiels ergibt sich der antipädagogische Grundzug ihres Werkes.
Nur in einer Lehranstalt konnte das steckerlose Konzert stattfinden, zu dem MTV "Die Ärzte" eingeladen hatte. Einer Schule einheizen? Das tun sie gern, liebend gern. Wenn nun der Refrain des Liedes, demnach Frauen manchmal, aber nur manchmal ein kleines bißchen Haue gern haben, von den glockenhellen Mädchenstimmen des Schulchors gesungen wird, dann ist daran ironisch nur, was man lesen kann: daß die Schule nach Albert Schweitzer heißt. Alles, was man hört, ist ein höheres Element, Verklärung eines Daseins, das dunkel bleibt, Affirmation ohne Rücktrittsklausel: reine Heiterkeit.
PATRICK BAHNERS
Die Ärzte, Rock 'n' Roll Realschule. Hot Action (Universal) 108934-2.
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