Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 19. Juni 2020
- Hersteller: 375 Media GmbH / JAZZ IS DEAD / CARGO,
- EAN: 0686162826339
- Artikelnr.: 59636878
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2020Die Farben der Welt
Roy Ayers und Kollegen reisen in die Siebziger
Sampling hat in afroamerikanischer Musik mit Ehrerbietung zu tun. Mit jedem Riff, jeder Phrase und jedem Beat einer alten Nummer, die in einem Hiphop-Track wiederauftauchen, wird ein bestimmtes Erbe beschworen. Jedes rekontextualisierte Sound-Fitzelchen eines Klassikers ist ein anerkennendes Nicken. In den Neunzigern beherrschten A Tribe Called Quest diese Verbeugung gegenüber den Altvorderen perfekt. Insbesondere der legendäre DJ des Tribes, Ali Shaheed Muhammad, verfügte über enzyklopädisches Fachwissen in schwarzer Musikgeschichte. Adrian Younge steht ihm darin in nichts nach: Der 1978 geborene Multiinstrumentalist hatte seine Finger bei unzähligen Projekten im Spiel - als Produzent von Ghostface Killah, Souls of Mischief und den Delfonics, als Soundtrack-Komponist, Labelgründer ("Linear Labs") oder auf eigenen Alben. Der Bezugspunkt ist für ihn stets der psychedelische Funk und Soul der frühen Siebziger. Aus den Klangfarben alter Aufnahmen wolle er Neues kreieren, dem Ganzen aber einen nostalgischen Anstrich geben, sagte er einmal.
Kaum verwunderlich, dass sich Muhammad und Younge irgendwann begegnen mussten. Vor ein paar Jahren haben sie sich als Midnight Hour zusammengetan, den gefeierten, funky Blaxploitation-Soundtrack für die Serie "Luka Cage" abgeliefert, einen Track für Kendrick Lamar produziert und nun auch noch ein gemeinsames Label gegründet, das den leicht provokant-ironischen Namen "Jazz is Dead" trägt. Die erste Veröffentlichung ging aus einer Konzertreihe in Los Angeles im Rahmen des Black History Month 2018 hervor - verdiente Jazzmusiker, die dort auftraten, nahmen zusammen mit Muhammad und Younge zunächst je einen Song auf, dann entstanden ganze Alben.
Den Anfang macht nun Roy Ayers, der wahrscheinlich zu den meistgesampelten Musikern der Hiphopper, Acid-Jazzer und Neo-Soul-Protagonisten gehört. Ayers war als junger Vibraphonist in der Westcoast-Jazz-Szene aktiv, bevor er in den Siebzigern ein paar aufsehenerregend smoothe Einspielungen vorlegte - als andere Jazzmusiker mit Rockmusik anbandelten, kuschelte er lieber mit Soul und Funk. Ein Gegenstück zum politisierten Soul eines Curtis Mayfield - oder seine Ergänzung: utopische, sommerlich leichte, coole Sounds für eine sich langsam selbst ermächtigende schwarze Mittelschicht. Nicht zuletzt "Everybody Loves the Sunshine", sein größter Hit aus dem Jahr 1976, hat ihn unsterblich gemacht.
Genau an diesem historischen Punkt, irgendwo zwischen Protest, Spiritualität und Affirmation, knüpft das neue, zusammen mit Muhammad und Younge geschriebene und produzierte Album an - das erste von Ayers übrigens seit 16 Jahren. Der Opener "Synchronized Vibration" könnte mit seinem großartig schleppenden Groove, dem hinreißend entspannten Chor, den sphärischen Vibraphonklängen Mitte der Siebziger entstanden sein. "Hey Lover" beginnt mit einer schweren Basslinie, darüber eine klickende Hi-Hat und dann die Stimmen von Elgin Clark, Anitra Castleberry, Loren Oden, Joi Gilliam und Saudia Yasmein, die sich umschmeicheln und ultrasanft auf synthetischen Streichern schweben. Wer wissen will, wie sich schwelgerische Romantik in puren Sex verwandelt, sollte sich diesen Track anhören.
Adrian Younge und Ali Shaheed Muhammad sind Soundfetischisten; Mit kleinsten Details wie einem kaum wahrnehmbaren Wha-Wha-Effekt markieren sie ihren achtungsvollen Umgang mit der Tradition. Aber da wir nun mal im 21. Jahrhundert angekommen sind, finden auch andere Elemente Eingang: Breakbeats sind ebenso zu vernehmen wie Acid-Jazz-Anklänge - so wird zugleich der ersten Welle der Rückbesinnung auf den üppigen Seventies-Soul Reverenz erwiesen. Eine ganze Reihe junger, talentierter Musiker sorgt für erfrischend neue Energie: Die Platte bekommt so etwas Überzeitliches. Das wird besonders deutlich beim Stück "African Sounds", das angesichts der neu erstarkten Anti-Rassismus-Bewegung eine noch größere Aktualität gewinnt: "Black and brown", heißt es da, seien die Farben der Welt. Man solle sich fragen, so der Refrain, ob die Liebe zu den eigenen Leuten nicht eine notwendige Geisteshaltung sei. Natürlich ist das eine rhetorische Frage: "By choice and by force / We are colored by the African sound."
ULRICH RÜDENAUER.
Adrian Younge, Ali Shaheed Muhammad und Roy Ayers: "Roy Ayers".
JID 002 (Linear Labs/Groove Attack)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roy Ayers und Kollegen reisen in die Siebziger
Sampling hat in afroamerikanischer Musik mit Ehrerbietung zu tun. Mit jedem Riff, jeder Phrase und jedem Beat einer alten Nummer, die in einem Hiphop-Track wiederauftauchen, wird ein bestimmtes Erbe beschworen. Jedes rekontextualisierte Sound-Fitzelchen eines Klassikers ist ein anerkennendes Nicken. In den Neunzigern beherrschten A Tribe Called Quest diese Verbeugung gegenüber den Altvorderen perfekt. Insbesondere der legendäre DJ des Tribes, Ali Shaheed Muhammad, verfügte über enzyklopädisches Fachwissen in schwarzer Musikgeschichte. Adrian Younge steht ihm darin in nichts nach: Der 1978 geborene Multiinstrumentalist hatte seine Finger bei unzähligen Projekten im Spiel - als Produzent von Ghostface Killah, Souls of Mischief und den Delfonics, als Soundtrack-Komponist, Labelgründer ("Linear Labs") oder auf eigenen Alben. Der Bezugspunkt ist für ihn stets der psychedelische Funk und Soul der frühen Siebziger. Aus den Klangfarben alter Aufnahmen wolle er Neues kreieren, dem Ganzen aber einen nostalgischen Anstrich geben, sagte er einmal.
Kaum verwunderlich, dass sich Muhammad und Younge irgendwann begegnen mussten. Vor ein paar Jahren haben sie sich als Midnight Hour zusammengetan, den gefeierten, funky Blaxploitation-Soundtrack für die Serie "Luka Cage" abgeliefert, einen Track für Kendrick Lamar produziert und nun auch noch ein gemeinsames Label gegründet, das den leicht provokant-ironischen Namen "Jazz is Dead" trägt. Die erste Veröffentlichung ging aus einer Konzertreihe in Los Angeles im Rahmen des Black History Month 2018 hervor - verdiente Jazzmusiker, die dort auftraten, nahmen zusammen mit Muhammad und Younge zunächst je einen Song auf, dann entstanden ganze Alben.
Den Anfang macht nun Roy Ayers, der wahrscheinlich zu den meistgesampelten Musikern der Hiphopper, Acid-Jazzer und Neo-Soul-Protagonisten gehört. Ayers war als junger Vibraphonist in der Westcoast-Jazz-Szene aktiv, bevor er in den Siebzigern ein paar aufsehenerregend smoothe Einspielungen vorlegte - als andere Jazzmusiker mit Rockmusik anbandelten, kuschelte er lieber mit Soul und Funk. Ein Gegenstück zum politisierten Soul eines Curtis Mayfield - oder seine Ergänzung: utopische, sommerlich leichte, coole Sounds für eine sich langsam selbst ermächtigende schwarze Mittelschicht. Nicht zuletzt "Everybody Loves the Sunshine", sein größter Hit aus dem Jahr 1976, hat ihn unsterblich gemacht.
Genau an diesem historischen Punkt, irgendwo zwischen Protest, Spiritualität und Affirmation, knüpft das neue, zusammen mit Muhammad und Younge geschriebene und produzierte Album an - das erste von Ayers übrigens seit 16 Jahren. Der Opener "Synchronized Vibration" könnte mit seinem großartig schleppenden Groove, dem hinreißend entspannten Chor, den sphärischen Vibraphonklängen Mitte der Siebziger entstanden sein. "Hey Lover" beginnt mit einer schweren Basslinie, darüber eine klickende Hi-Hat und dann die Stimmen von Elgin Clark, Anitra Castleberry, Loren Oden, Joi Gilliam und Saudia Yasmein, die sich umschmeicheln und ultrasanft auf synthetischen Streichern schweben. Wer wissen will, wie sich schwelgerische Romantik in puren Sex verwandelt, sollte sich diesen Track anhören.
Adrian Younge und Ali Shaheed Muhammad sind Soundfetischisten; Mit kleinsten Details wie einem kaum wahrnehmbaren Wha-Wha-Effekt markieren sie ihren achtungsvollen Umgang mit der Tradition. Aber da wir nun mal im 21. Jahrhundert angekommen sind, finden auch andere Elemente Eingang: Breakbeats sind ebenso zu vernehmen wie Acid-Jazz-Anklänge - so wird zugleich der ersten Welle der Rückbesinnung auf den üppigen Seventies-Soul Reverenz erwiesen. Eine ganze Reihe junger, talentierter Musiker sorgt für erfrischend neue Energie: Die Platte bekommt so etwas Überzeitliches. Das wird besonders deutlich beim Stück "African Sounds", das angesichts der neu erstarkten Anti-Rassismus-Bewegung eine noch größere Aktualität gewinnt: "Black and brown", heißt es da, seien die Farben der Welt. Man solle sich fragen, so der Refrain, ob die Liebe zu den eigenen Leuten nicht eine notwendige Geisteshaltung sei. Natürlich ist das eine rhetorische Frage: "By choice and by force / We are colored by the African sound."
ULRICH RÜDENAUER.
Adrian Younge, Ali Shaheed Muhammad und Roy Ayers: "Roy Ayers".
JID 002 (Linear Labs/Groove Attack)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main