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  • EAN: 5010946650622
  • Artikelnr.: 52769753
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2023

Vom greisen Bischof zum Hosanna-Helden

BAD HERSFELD Die Stiftsruine ist als Gotteshaus zu sehen: Das Musical "Jesus Christ Superstar" spart nicht an Anspielungen bei den Festspielen.

Von Hans Riebsamen

Was ist nur aus Jesus geworden? In der Stiftsruine in Bad Hersfeld tappt von ganz hinten ein tattriger Geistlicher mit einer Mitra auf dem Kopf auf die Bühne, steigt mühsam über eine überdimensionale Figur des Gekreuzigten und liest wohlgesetzt aus einem Messbuch dem Publikum Worte der frohen Botschaft vor. Die Ministranten um ihn herum zucken jedes Mal erschreckt zurück, wenn er die Hand nach ihnen ausstreckt. Auf diese Aktualisierung mochte Regisseur Stefan Huber bei der Inszenierung von Andrew Lloyd Webbers Musical "Jesus Christ Superstar" bei den Bad Hersfelder Festspielen nicht verzichten.

Nach diesem dazu erfundenen Vorspiel setzt die Musik ein, und der müde Bischof entledigt sich seiner Prunkgewänder. Darunter kommt Jesus zum Vorschein, der Superstar der Jesus-People-Bewegung Anfang der Siebzigerjahre, gefeiert von seinen Hippiejüngern mit "Hosanna Heysanna Sanna Sanna Ho". Nach der Premiere von 1971 protestierten konservative Gläubige, weil Judas, traditionell der Erzverräter, im Musical nachsichtig als innerlich zerrissene, tragische Figur betrachtet wird, die eigentlich nur das Schlimmste verhindern möchte. In der Hersfelder Produktion kann von Blasphemie keine Rede sein. Sie beruht auf einer gut verständlichen, aber gegenüber der englischen Version entschärften deutschen Textfassung. Hier sorgt sich Judas, dass Jesus die Bewegung entgleiten und es zu Chaos und Toten kommen könnte. Tim Al-Windawe gibt diesem Gegenspieler Jesu eine kräftige Stimme und eine starke Präsenz und kann damit dem Jesus-Darsteller Andreas Bongard durchaus Paroli bieten.

Der hat starke Szenen, wenn er die Souvenirhändler, die mit dem Jesus-Konterfei geschmückte T-Shirts, Schirme, Bälle und anderen Tinnef anpreisen, aus dem Tempel vertreibt oder von Heil suchenden, Blinden, Lahmen und Aussätzigen bedrängt wird. Am eindringlichsten wirkt er indes im Garten Getsemani, wo er, auf dem Längsbalken eines überdimensionalen liegenden Kreuzes wie auf einer Kanzel stehend, sich an Gott wendet und ihn bittet, den Kelch an ihm vorübergehen zu lassen.

Dieses Kreuz ist neben der Figur des Gekreuzigten, die während des ganzen Stücks hoch über der Bühne pendelt und die Stiftsruine in ein Gotteshaus rückverwandelt, das zentrale Requisit dieser Inszenierung. Es dient als Tribüne für Judas und Jesus, als Abendmahl-Tisch und zuletzt als ein von leuchtenden Neonröhren umfasster riesiger Marterbaum, an den der gefallene Superstar von den Häschern geschlagen wird. Doch damit geben sich die Bühnenbildner Okarina Peter und Timo Dentler nicht zufrieden, sie stellen auch auf der linken und rechten Nebenbühne auch noch die beleuchteten Kreuze der beiden Schächer aus, als wollten sie unter allen bekannten Kreuzigungen den Größenrekord brechen. Diese optische Bombastik ist nur auf der Riesenbühne der Stiftsruine möglich.

Der Musik, dargeboten vom Festspielorchester unter Leitung des bewährten Dirigenten Christoph Wohlleben, merkt man an, dass dieses frühe Werke Webbers noch eine Rockoper war mit vielen verzerrten Gitarrenklängen. "Jesus Christ Superstar", der absolute Hit des Musicals, wird in einer optisch aufgeladenen Choreographie schmissig dargeboten, wie überhaupt die Massenszenen mitreißend sind. Erfrischend frech ist der Showmaster-Auftritt von Rob Pelzer als König Herodes, stimmlich stark, aber etwas kühl wirkt Sidonie Smith als Maria Magdalena, unter den Hohepriestern fällt Matthias Graf als Kaiaphas mit seinem tiefdunklen Bass auf. Gelangweilt hat sich während der zwei Stunden offenbar niemand, im Gegenteil: Die Besucher überschlugen sich mit Beifall.

Jesus Christ Superstar, Festspiele Bad Hersfeld, nächste Termine am 9., 11., 13., 14. Juli.

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