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  • EAN: 4035122652925
  • Artikelnr.: 35830402
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2018

In die Badewanne geplumpst
Die Salonhexe: Camille Saint-Saëns "Samson et Dalila" an der Wiener Staatsoper

WIEN, 17. Mai

Es ist traurig: Dreizehn Opern schrieb der französische Komponist Camille Saint-Saëns, doch nur eine konnte sich durchsetzen. Aber selbst "Samson et Dalila" wird nicht allzu oft gezeigt. Angesichts der hohen musikalischen Qualität von Saint-Saëns' 1877 vollendeter und 1892 in revidierter Fassung in Paris uraufgeführter Oper bleibt es rätselhaft, warum das Stück nicht viel häufiger gespielt wird an unseren Opernhäusern.

Mag sein, dass die hohen Anforderungen an den Chor einem durchschlagenden Erfolg der Oper ein wenig im Wege stehen. "Samson et Dalila", an dem Saint-Saëns bereits ab 1868 gearbeitet hatte, war ursprünglich als biblisches Oratorium gedacht, so dass es zahlreiche komplexe, an Händel erinnernde Fugati enthält - die dem Chor der Wiener Staatsoper einige rhythmische Schwierigkeiten bereiteten. Überdies erinnert die Form der dreiaktigen Oper an ein geistliches Werk: Nur im zweiten Akt, der die entscheidende Konfrontation zwischen Samson und Dalila enthält, stehen die Protagonisten im Zentrum, wohingegen der erste und der dritte Akt von Chor- und Ballettszenen dominiert werden.

Gar nicht opernhaft ist schon der leise-getragene Beginn, dem der Dirigent Marco Armiliato am Pult des Wiener Staatsopernorchesters dunkel-melancholische Züge verleiht. Bis diese choralartige Passage allmählich in kunstvoll verschachtelte, fugierte Linien mündet, aus denen der aufkeimende Wille der Hebräer spricht, um 1150 vor Christus Widerstand gegen ihre damaligen Unterdrücker, die Philister, zu leisten. Saint-Saëns folgt in seinem Libretto der biblischen Geschichte, wie sie Voltaire in seinem "Samson" erzählt hatte. Nicht eine aufmüpfige Frau steht in deren Zentrum, sondern eine Femme fatale. Nach dem "Buch der Richter" soll Dalila auf Geheiß der Fürsten der Philister dem Löwenbezwinger Samson, der die aufständischen Israeliten anführt, durch ihre Verführungskünste das Geheimnis seiner übermächtigen Stärke entlocken.

In diesen betörend sinnlich komponierten Szenen der Oper hat Elina Garanca mit ihrer sonoren, satten Mittellage ihre stärksten Momente. Nicht zu überhören bleibt jedoch, dass der lettischen Mezzosopranistin die extremen Tiefen der Partie Probleme bereiten. So bleibt die dunkle Abgründigkeit dieser zwiespältigen Figur etwas auf der Strecke. Dank ihrer makellosen Legato-Kultur bildet Garancas Dalila dennoch das Zentrum der Tragödie, bei der alle Fäden zusammenlaufen.

Roberto Alagna als sendungsbewusster Samson singt nach anfänglichen Unsicherheiten einen kraftvollen Helden. Das Star-Trio komplettiert Carlos Álvarez, dessen souverän geführter Bariton den doppelbödig-dämonischen Charakter des Oberpriesters der Philister glaubhaft vermittelt. Auch die kleineren Rollen, wie Abimélech (Sorin Coliban), sind durchweg gut besetzt.

Einem musikalisch wirklich bezwingenden Ereignis steht jedoch die orchestrale Deutung Marco Armiliatos ein wenig entgegen. Zwar lässt der italienische Dirigent das Staatsopernorchester sehr behutsam und sängerfreundlich begleiten, zwar entwickelt er viel Feuer in den dramatischen Szenen der Oper, doch den irisierend flirrenden Klangfarben dieser durch und durch französischen Musik, dem nahezu entschwebenden Charakter der oft chromatisch angelegten Melodielinien schenkt er leider wenig Beachtung.

Ein Sängerfest hätten diese musikalischen Einschränkungen dennoch kaum verhindern können. Wohl aber eine Inszenierung, die den biblischen Stoff auf das Missverhältnis zwischen Macht und Unterdrückung reduzieren will: Die Regisseurin Alexandra Liedtke transferiert "Samson et Dalila" in ein bürgerliches Irgendwo, lässt den ersten Akt um eine auf die nackte Bühne abfallende Rampe spielen und den zweiten um eine Badewanne in einem Salon, ehe im dritten der geblendete Samson gleichsam auf einer Art Showbühne der höhnenden Menge präsentiert wird (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Auch Su Bühlers diffuse Kostüme lassen kaum konkrete historische Zuordnungen erkennen: Samson mit braunen Lederhosen und blauem Hemd wirkt eher wie ein Kolchos-Arbeiter denn wie ein Rebell. Dalila wiederum tritt im ersten Akt mit einem Rüschenkleid auf, als wolle sie einen Offenbach'schen Cancan tanzen, ehe sie im zweiten Akt ein schlichtes hellblaues Kleid trägt. Nur der Oberpriester in seinem dunklen Mantel wirkt trotz der Krawatte einigermaßen rollengerecht gekleidet.

Dass die Regie den Religionskrieg, in dem sich die Hebräer und die Philister in der biblischen Geschichte zweifellos befinden, gänzlich eliminiert, wirkt sich vor allem im dritten Akt fatal aus. Führt schon Samsons und Dalilas harmloses Planschen an der Badewanne im zweiten Akt an den Rand der Lächerlichkeit, so stürzt Liedtkes Inszenierung im dritten vollends in eine billige Feuerzauber-Revue. Ohne den Glauben, von dem Samsons Handeln stets bestimmt wird, szenisch ernst zu nehmen, lässt sich kaum vermitteln, dass am Ende eigentlich ein Tempel einstürzt, der die gesamte Machtelite der Philister unter sich begräbt. Davon ist im aufblitzenden Licht einiger Stichflammen und eines tanzenden Feuer-Derwischs nichts zu sehen. Dass Liedtke vom Publikum mit einem wahren Orkan an Buhrufen bedacht wurde für ihre dilettantischen szenischen Lösungen, war kaum tröstlich.

REINHARD KAGER

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