Produktdetails
- EAN: 5099915992727
- Artikelnr.: 61079953
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2024Das Glück vor der Tür
DARMSTADT Ralph Benatzkys Singspiel "Im weißen Rössl" begeistert in der Neuinszenierung am Staatstheater ohne hohen Operettenton das Publikum.
Von Axel Zibulski
Nicht der Kaiser Franz Joseph gibt sich die Ehre, sondern Sisi, also die Kaiserin Elisabeth, die wir uns in freier Umdeutung des Textes als reif gewordene Dame vorstellen dürfen. Und die sich in einer ganz gendergerechten Sternchensprache ausdrückt, nachdem sie aus ihrer Kutsche aus- und im "Weißen Rössl", dem Hotel am Wolfgangsee, abgestiegen ist. Dort ist sowieso alles möglich, findet der Oberkellner Leopold zwischenzeitlich nicht nur die Rössl-Wirtin Josepha, sondern auch seinen Lehrling Piccolo attraktiv, entdecken die ältesten Herbergsbewohner, der missgelaunte Berliner Fabrikant Giesecke und der einfältige Professor Hinzelmann, mehr als nur Sympathie füreinander.
Längst ist Ralph Benatzkys 1930 in Berlin uraufgeführtes Singspiel "Im weißen Rössl", das die Nationalsozialisten wegen der jüdischen Abstammung der Textdichter Hans Müller-Einigen, Erik Charell und Robert Gilbert verboten und das im Nachkriegsdeutschland als biedere Heimat- und Musikfilmvorlage rezipiert wurde, zum Bühnenkultstück avanciert. Die Berliner Aufführung in der Bar jeder Vernunft 1994, aber auch die Wiederentdeckung des historischen und, etwa in den Tanznummern, stilistisch facettenreicheren Uraufführungsmaterials trug dazu bei.
Und natürlich lädt das Idyll am einstigen Kanzlerurlaubsort Wolfgangsee dazu ein, kräftig ironisch gebrochen zu werden. Das gelingt auch Regisseur Philipp Moschitz in seiner Neuinszenierung im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt, und so bringt er stets mit dem Stück, nicht auf dessen Kosten, das nach knapp drei Vorstellungsstunden begeisterte Premierenpublikum voll auf seine Seite.
Dass vor allem in der ersten Aufführungshälfte mancher blitzschnelle Dialog die ein oder andere gekünstelt wirkende Pirouette zu viel dreht, Tanzeinlagen und Personenführung eine Spur zu erzwungen geraten, ist womöglich einer Angst vor dem Stillstand geschuldet, den das Ensemble ganz bestimmt nicht aufkommen lässt. Äußerlich ist der Rahmen mit dem Bühnenbild von Matthias Engelmann ganz auf Revue ausgerichtet, das Rössl eher eine offene Scheune mit Wölkchen, Bergen und See im Hintergrund.
Die Protagonisten sind typenhaft gezeichnet, der Berliner Fabrikant Giesecke (Jörg Zirnstein) mit dickem Bauch, der auch in einem der zahlreichen Ohrwürmer besungene schöne Sigismund (Stefan Schuster) mit blonder Perücke (Kostüme: Claudio Pohle). Briefträgerin Kathi, von der Regie und der gebürtigen Klagenfurterin Barbara Raunegger zur Jodeltrainerin und krähenden Impulsgeberin aufgewertet, passt mit ihrem krawalligen Auftreten perfekt in die Szene.
Ganz weit weg vom Versuch, das Singspiel im hohen Operettenton zu präsentieren, führt die Besetzung. Ausschließlich Schauspieler, Musicaldarsteller und Tänzer stehen, überwiegend als Gäste, in Darmstadt auf der Bühne, und dennoch sind keine Einbußen an der musikalischen Qualität in Kauf zu nehmen, im Gegenteil: Bis hin zum österreichischen Idiom beglaubigt Louisa von Spies, in Wien von Klaus Maria Brandauer ausgebildet, ihre zentrale Rolle als Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber, ist der auch als Musicaldarsteller erfahrene Schauspieler Tobias Licht ihr Kellner und Verehrer Leopold, gibt Jendrik Sigwart den mit schier endloser Energie seiner Wege tänzelnden Lehrling Piccolo.
Die achtköpfige, von Natalie Holtom choreographierte Tanztruppe tritt mal als Touristenschar, mal als Kuhherde oder auch als agiles Fischballett in jener lasziven Badeszene auf, die einst den Nationalsozialisten besonders missfallen sollte.
Der Schwung und der Drive, mit dem das Staatsorchester Darmstadt im Arrangement und unter der Leitung von Michael Nündel die Premiere musikalisch trägt und würzt, lässt tumbe Töne wie etwa beim Versuch, die österreichische Nationalhymne abzusingen, locker verhallen. Dass der Finalauftritt der Kaiserin gebührt, von Gabriele Drechsel glücklicherweise gar nicht senil dargestellt, ist ein später Clou, der dafür sorgt, dass dieses "Rössl" ungebremst dem Happy End samt allseitigem Liebesglück entgegenstürmt.
Im weissen Rössl Staatstheater Darmstadt, Großes Haus, nächste Vorstellungen am 31. März von 18 Uhr an, am 5. und 20. April sowie am 10. Mai von 19.30 Uhr an
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
DARMSTADT Ralph Benatzkys Singspiel "Im weißen Rössl" begeistert in der Neuinszenierung am Staatstheater ohne hohen Operettenton das Publikum.
Von Axel Zibulski
Nicht der Kaiser Franz Joseph gibt sich die Ehre, sondern Sisi, also die Kaiserin Elisabeth, die wir uns in freier Umdeutung des Textes als reif gewordene Dame vorstellen dürfen. Und die sich in einer ganz gendergerechten Sternchensprache ausdrückt, nachdem sie aus ihrer Kutsche aus- und im "Weißen Rössl", dem Hotel am Wolfgangsee, abgestiegen ist. Dort ist sowieso alles möglich, findet der Oberkellner Leopold zwischenzeitlich nicht nur die Rössl-Wirtin Josepha, sondern auch seinen Lehrling Piccolo attraktiv, entdecken die ältesten Herbergsbewohner, der missgelaunte Berliner Fabrikant Giesecke und der einfältige Professor Hinzelmann, mehr als nur Sympathie füreinander.
Längst ist Ralph Benatzkys 1930 in Berlin uraufgeführtes Singspiel "Im weißen Rössl", das die Nationalsozialisten wegen der jüdischen Abstammung der Textdichter Hans Müller-Einigen, Erik Charell und Robert Gilbert verboten und das im Nachkriegsdeutschland als biedere Heimat- und Musikfilmvorlage rezipiert wurde, zum Bühnenkultstück avanciert. Die Berliner Aufführung in der Bar jeder Vernunft 1994, aber auch die Wiederentdeckung des historischen und, etwa in den Tanznummern, stilistisch facettenreicheren Uraufführungsmaterials trug dazu bei.
Und natürlich lädt das Idyll am einstigen Kanzlerurlaubsort Wolfgangsee dazu ein, kräftig ironisch gebrochen zu werden. Das gelingt auch Regisseur Philipp Moschitz in seiner Neuinszenierung im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt, und so bringt er stets mit dem Stück, nicht auf dessen Kosten, das nach knapp drei Vorstellungsstunden begeisterte Premierenpublikum voll auf seine Seite.
Dass vor allem in der ersten Aufführungshälfte mancher blitzschnelle Dialog die ein oder andere gekünstelt wirkende Pirouette zu viel dreht, Tanzeinlagen und Personenführung eine Spur zu erzwungen geraten, ist womöglich einer Angst vor dem Stillstand geschuldet, den das Ensemble ganz bestimmt nicht aufkommen lässt. Äußerlich ist der Rahmen mit dem Bühnenbild von Matthias Engelmann ganz auf Revue ausgerichtet, das Rössl eher eine offene Scheune mit Wölkchen, Bergen und See im Hintergrund.
Die Protagonisten sind typenhaft gezeichnet, der Berliner Fabrikant Giesecke (Jörg Zirnstein) mit dickem Bauch, der auch in einem der zahlreichen Ohrwürmer besungene schöne Sigismund (Stefan Schuster) mit blonder Perücke (Kostüme: Claudio Pohle). Briefträgerin Kathi, von der Regie und der gebürtigen Klagenfurterin Barbara Raunegger zur Jodeltrainerin und krähenden Impulsgeberin aufgewertet, passt mit ihrem krawalligen Auftreten perfekt in die Szene.
Ganz weit weg vom Versuch, das Singspiel im hohen Operettenton zu präsentieren, führt die Besetzung. Ausschließlich Schauspieler, Musicaldarsteller und Tänzer stehen, überwiegend als Gäste, in Darmstadt auf der Bühne, und dennoch sind keine Einbußen an der musikalischen Qualität in Kauf zu nehmen, im Gegenteil: Bis hin zum österreichischen Idiom beglaubigt Louisa von Spies, in Wien von Klaus Maria Brandauer ausgebildet, ihre zentrale Rolle als Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber, ist der auch als Musicaldarsteller erfahrene Schauspieler Tobias Licht ihr Kellner und Verehrer Leopold, gibt Jendrik Sigwart den mit schier endloser Energie seiner Wege tänzelnden Lehrling Piccolo.
Die achtköpfige, von Natalie Holtom choreographierte Tanztruppe tritt mal als Touristenschar, mal als Kuhherde oder auch als agiles Fischballett in jener lasziven Badeszene auf, die einst den Nationalsozialisten besonders missfallen sollte.
Der Schwung und der Drive, mit dem das Staatsorchester Darmstadt im Arrangement und unter der Leitung von Michael Nündel die Premiere musikalisch trägt und würzt, lässt tumbe Töne wie etwa beim Versuch, die österreichische Nationalhymne abzusingen, locker verhallen. Dass der Finalauftritt der Kaiserin gebührt, von Gabriele Drechsel glücklicherweise gar nicht senil dargestellt, ist ein später Clou, der dafür sorgt, dass dieses "Rössl" ungebremst dem Happy End samt allseitigem Liebesglück entgegenstürmt.
Im weissen Rössl Staatstheater Darmstadt, Großes Haus, nächste Vorstellungen am 31. März von 18 Uhr an, am 5. und 20. April sowie am 10. Mai von 19.30 Uhr an
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main