Produktbeschreibung
Peter Gabriel interpretiert 12 Lieblingssongs ohne Gitarre und Schlagzeug, dafür mit großem Orchester.
Trackliste
CD
1Heroes00:04:10
2The Boy In The Bubble00:04:28
3Mirrorball00:04:48
4Flume00:03:01
5Listening Wind00:04:23
6The Power Of The Heart00:05:52
7My Body Is A Cage00:06:13
8The Book Of Love00:03:53
9I Think It's Going To Rain Today00:02:34
10Après Moi00:05:13
11Philadelphia00:03:46
12Street Spirit (Fade Out)00:05:06
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2010

Der Mann in der Blase
Peter Gabriel wird sechzig und spielt jetzt auch Lieder anderer Leute nach. Aber warum eigentlich?

Wenn Popmusikern nicht einfällt, was sie als Nächstes machen sollen, sie aber trotzdem eine Platte aufnehmen wollen, aus welchen Gründen auch immer, steht ihnen eine Reihe von Möglichkeiten offen.

Erstens: Sie spielen ihre Lieder akustisch neu ein. Lagerfeuergitarren, Besenschlagzeug, Kontrabass: Man nennt solche Versionen unplugged, bei Nirvana war das toll, bei den Ärzten auch, bei den Söhnen Mannheims eher irritierend.

Zweitens: Sie holen sich einen aktuell erfolgreichen Produzenten aus einem möglichst weit entfernten Genre, am besten Hip-Hop, der sie mal so richtig in die Mangel nimmt: zum Beispiel Timbaland. Auch das geht mal gut (Nelly Furtado, Justin Timberlake) und mal weniger (Chris Cornell).

Drittens: Sie machen Swing (keine positiven Beispiele).

Viertens: Sie mieten sich ein Symphonieorchester und spielen die größten Hits ihrer Karriere nach, was bei Joni Mitchell wunderschön war und bei Peter Maffay nicht.

Fünftens, aber das gilt nur für Sting: Sie glauben, "Come Again Sweet Love Doth Now Invite" des Renaissancekomponisten John Dowland sei auch nichts anderes als "Every Breath You Take", nur mit Laute, und handeln entsprechend.

Sechstens: Sie covern große Lieder jüngerer Konkurrenten oder alter Helden, unübertroffen darin Johnny Cash, oft glücklos leider Bryan Ferry, erstaunlich autonom neulich Gunter Gabriel.

Siebtens: Sie haben überhaupt keine eigenen Lieder, die sie akustisch oder symphonisch nachspielen können, dafür kommen sie aus Frankreich, und dieser Verfremdungseffekt reißt es dann raus.

Oder sie sind Peter Gabriel und machen all das gleichzeitig, abzüglich Swing, Dowland und Nouvelle Vague, dafür aber mit "Heroes" von David Bowie, einem Lied, das - achtens - schon von ratlosen Popkünstlern aller Generationen gecovert wurde. Gabriel türmt für seine Version die Streicher dramatisch auf, um dann Bowies Hymne nicht neu zu interpretieren, sondern eigentlich nur mit eigener Stimme zu singen. Getragener, als es der Melodie guttut, dafür mit dieser unverwechselbar heiseren weißen Soulstimme, die wie ein Signal erst mal nichts anderes verkündet als: Hier kommt Peter Gabriel.

So beginnt das Cover-Album "Scratch My Back". Es ist das neueste Projekt des englischen Sängers Peter Gabriel, der am 13. Februar sechzig wird und der seit seiner Zeit bei Genesis, die viele für die beste dieser Band halten und die bis 1975 dauerte, unzählige Projekte hatte: Anti-Apartheid-Agit-Pop, Weltmusik, Videokunst. Der aber trotz dieser Vollbeschäftigung als Aktivist und Globalgewissen immer wieder herausragende Lieder schrieb, die ihrerseits gecovert wurden, "Red Rain" vom legendären Album "So" (1986) zum Beispiel, das R.E.M. bis heute bei ihren Auftritten spielen, ohne das Original je zu übertreffen oder auch nur zu erreichen.

Peter Gabriel hat sich für sein symphonisches "Scratch My Back" Stücke von Arcade Fire, Radiohead und Bon Iver wie von den Talking Heads und Lou Reed geliehen, von neuen smarten und etablierten smarten Künstlern also, und im Gegenzug sollen die bald ein Lied von Peter Gabriel nachspielen, was als "I'll Scratch Yours" veröffentlicht werden soll.

Dass es manche Popmusiker aber gar nicht kratzt, wenn andere ihre Lieder nachspielen, war beispielsweise, man mag es kaum glauben, bei "Hurt" so: ein Lied von den Nine Inch Nails, das zum Vermächtnis von Johnny Cash geworden ist, gleichauf mit "Ring of Fire" oder "Folsom Prison Blues". Als Trent Reznor, der "Hurt" geschrieben hatte, davon erfuhr, dass Johnny Cash sein Lied nachspielen wollte, ließ ihn das angeblich erst mal kalt, danach war er dann natürlich überwältigt von dem, was Cash daraus gemacht hatte: ein Lied von Johnny Cash nämlich. Cash hatte sich die Lieder anderer Leute einverleibt und so zu neuem Leben erweckt, er hatte, vielleicht ist das auch sein Produzent Rick Rubin gewesen, ziemlich sicher aufgespürt, was ihm ähnlich war, hatte die Risse nachgefühlt, die durch Lieder wie "Hurt" gingen: Bei der sechsten Folge seiner "American Recordings", die Ende Februar erscheint und die Reihe beschließt, ist das wieder so. Gabriel schafft diese Art der Einverleibung auch, bei "The Boy in the Bubble" von Paul Simon zum Beispiel, da rührt es einen sehr, wie er die Melodie hin- und herwendet, sachte befragt, ob sie etwas mit ihm zu tun haben könnte, und das dann immer entschlossener bejaht, genauso macht er es mit "The Book of Love" der Magnetic Fields, im Original eine luftige Angelegenheit mit einem Anflug von Skepsis, ob man diesem Liebeslied wirklich trauen darf. Bei Gabriel streichen die Geigen um einen herum, immer enger, bis eine große Umarmung daraus wird.

Sonst ist "Scratch My Back" aber eher manieriert, wie das Mixtape eines Superstars, der beweisen will, dass er noch auf dem Laufenden ist, und dazu mit aller Kraft seine Produktionsmittel auffährt. Ein paar Lieder werden ihren Weg auf neue Mixtapes finden, die meisten wohl eher nicht.

TOBIAS RÜTHER

"Scratch My Back" erscheint am 12. Februar bei Real World / Virgin.

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