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Autorenporträt
Bob Dylan (Robert Allen Zimmermann), geb. 1941 in Duluth/Minnesota. Idol in den 60ern, Star in den 70ern und seither Legende. Dylan hat in den letzten 40 Jahren die Geschichte der populären Musik geprägt wie kein anderer und gilt darüber hinaus als einer der großen und einflussreichsten Lyriker unserer Zeit. Für sein Schaffen wurde er 2016 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet
Trackliste
LP + Bonus-CD 1
1I'm A Fool To Want You00:04:51
2The Night We Called It A Day00:03:24
3Stay with Me00:02:56
4Autumn Leaves00:03:02
5Why Try to Change Me Now00:03:38
6Some Enchanted Evening00:03:28
7Full Moon And Empty Arms00:03:26
8Where Are You?00:03:37
9What'll I Do00:03:21
10That Lucky Old Sun00:03:39
LP + Bonus-CD 2
1I'm A Fool To Want You00:04:51
2The Night We Called It A Day00:03:24
3Stay with Me00:02:56
4Autumn Leaves00:03:02
5Why Try to Change Me Now00:03:38
6Some Enchanted Evening00:03:28
7Full Moon And Empty Arms00:03:26
8Where Are You?00:03:37
9What'll I Do00:03:21
10That Lucky Old Sun00:03:39
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2015

Einmal Seniorenteller, bitte
Was ist bloß mit Bob Dylan los? Was hat er sich bei seiner Sinatra-Platte gedacht?

Bob Dylan hat in seinem Leben - einem Leben, bei dem man inzwischen ja selbst schon das Gefühl hat, mit ihm alt geworden zu sein, wenn auch zum Glück noch nicht so alt wie er; unleugbar hat die längst in Plattenregalmetern messbare "Beziehung" zu ihm etwas vom alten Ehepaar, wobei man als Ehefrau, auf dem Boden unverbrüchlicher Treue, schwankt zwischen Achselzucken ("so isser halt"), Anerkennung ("nicht schlecht für sein Alter") und unverhoffter Begeisterung (wie beim letzten Mal, bei "Tempest") - Bob Dylan also hat in seinem Leben schon allerhand ausprobiert.

Diesmal aber hat man als Ehefrau, die auch vor nächtlichem Schnarchen nicht Reißaus nimmt - denn so hört sich sein Gesang inzwischen ja an -, das Gefühl, dass er den Bogen überspannt hat. Wie konnte das passieren? Über den ersten Schock helfen dem ganz normalen Rock-Hörer vielleicht Erinnerungen an seine anderen eheähnlichen Verhältnisse hinweg: Rod Stewart, der als junger Kerl übrigens ein großartiger Dylan-Interpret war, aber irgendwann meinte, sich auch noch das Great American Songbook greifen zu müssen - sagen wir: ein Seitensprung, der nicht öfter als zweimal vorkommen sollte; oder Neil Young, Bobs vorlauter und erheblich unberechenbarerer kleiner Bruder, der mal eine Art Swing-Platte versucht hat, die ein Rezensent mit der Frage konterte: "Was kommt als Nächstes - Nelson Riddle?" Nelson Riddle war einer von Frank Sinatras Arrangeuren - womit wir wieder bei Dylan wären.

Die Nachricht vom vergangenen Herbst, Dylan sei im Begriff, eine Platte mit Sinatra-Musik herauszubringen, musste einen also stutzig machen: Kann er das denn? Und hat die letzte reguläre Platte etwa schon wieder ausgedient? Man muss doch nicht immer Musik machen. Dylan muss. Und so heißt es denn für eine treusorgende Ehefrau, ein halbes Stündchen lang die Trockenhaube abzusetzen, die Lockenwickler herauszunehmen - was tut man nicht alles, um sich für den alten Miesepeter in Schuss zu halten - und die Gehörgänge mit der Haarnadel freizuschaufeln.

"Shadows In The Night": Wenn man sich dumm stellen wollte, könnte man als Erstes fragen, ob es nicht "Strangers" heißen müsste. Und Schatten? Mitten in der Nacht? Ach so, der Herr ist mal wieder als nighthawk unterwegs und sieht vor der Laterne vor dem großen Tor oder wohl doch eher am Times Square dann eben seinen Schatten. Das Rückcover zeigt ihn, ungekämmt wie eh und je, mit einer vollbusigen, deutlich jüngeren Frau, die eine Zorromaske aufhat. Was geht da vor? Nichts Verbotenes; gemeinsam schaut man sich nur eine Single aus dem Hause Sun Records an. Rock me, baby?

Leider nicht; die Ankündigung mit Sinatra war ja so weit richtig. Dylan ist in dieser Hinsicht gewissermaßen vorbestraft, denn zum Achtzigsten des Swingers 1995 gab er "Restless Farewell" zum Besten, und Sinatra, der mit einer seiner vielen Frauen ganz vorne an seinem Geburtstagstisch saß, soll vor Rührung regelrecht benommen gewesen sein, ihm sei, wie jemand aus nächster Nähe beobachtet haben will, die Kinnlade heruntergefallen ("his jaw actually dropped").

Hier ist es nun der Sinatra der Capitol-Jahre, der Frühzeit also, den Dylan - "zum Klingen bringt", wäre zu viel gesagt; "zum Leben erweckt", auch. Dylan benuschelt und bekrächzt ihn vielmehr wie die eine Krähe, die der anderen eben doch manchmal ein Auge aushackt. Denkmalsturz dürfte dabei kaum seine Absicht gewesen sein. Vorab hatte er betont, es handele sich bei den Liedern, die Sinatra selbst in den vierziger und fünfziger Jahren eingesungen hat, um keine Cover-Versionen; die gebe es ja schon mehr als genug. Was er hier mache, sei etwas ganz anderes. Nur was?

Es muss auch ihm von vornherein klar gewesen sein, dass es sinnlos sein würde, es auf irgendeine Form von Imitat anzulegen. Sinatras bitter-herbes Jazz-Organ ist etwas kategoriell anderes als das, was Dylan seit Jahren als Gesang ausgibt. Und so war es auch klug von ihm, von absoluten Gassenhauern wie "Strangers in the Night", "My Way" oder "New York" die gichtigen Finger zu lassen.

Stattdessen jubelt er uns den Balladen-Sinatra unter, der aber - auch das dürfte Dylan bekannt sein - kein Kitsch-Sinatra ist. Die Capitol-Fassung von "Autumn Leaves", das eines der am meisten nachgesungenen Jazz-Stücke sein dürfte, aus dem Jahr 1957 ist in ihrer Makellosigkeit unerreichbar. Dylan musste sich hier wie bei den restlichen neun Liedern also etwas anderes einfallen lassen. Er wählte die für ihn bequemste und auch einzig mögliche Methode: bloß kein Orchester (vor dem er, wie er glaubwürdig versichert, sich eh nur geschämt hätte); stattdessen seine Stammband, mit der er eigentlich auch schon Silberhochzeit feiern müsste und die knapp diesseits der Hörgrenze, jedoch in guter Aufnahmequalität vor sich hin diedelt und düdelt; dazu höchstens ein paar Bläser. Die Steel Guitar, die man bis Hawaii hören wird, soll wohl jene Wehmut erzeugen, die Sinatra einst aus sich selbst heraus erwecken konnte und die er hier und da von Streicher-Schmonzetten flankieren ließ.

Das alles ist dabei so unstraff arrangiert, dass am Ende buchstäblich alles gleich klingt - von "I'm a Fool to Want You", das einst Billie Holiday so lasziv wie aufgekratzt gab, über "The Night We Called it a Day", das sogar Doris Day sang, bis hin zu "The Lucky Old Sun", das auch Frankie Lane und Louis Armstrong draufhatten. Obendrein ist es so hartnäckig in einer einzigen Tonlage gehalten, dass einem schnell langweilig wird, so langweilig, wie bei jeder schummerigen Tanzmusik, wenn man noch nicht ausreichend betrunken und traurig ist.

Tatsächlich: Dylan will uns hier als Schwof-Opa zu sich herüberwinken, führt sich dabei aber nur selbst aufs Glatteis und hätte sich diesen Griff in die Great American Songkiste besser nochmal überlegt. Er hat das doch gar nicht nötig! Sympathisch ist allerdings, dass er fünfzig Lesern des "AARP Magazine" seine Platte (physisch selbstverständlich) einfach schenken will - die American Association of Retired Persons ist eine Organisation, die sich für die Interessen älterer Leute einsetzt.

Oder stellt man am Ende bloß seine eigenen Grenzen fest, wenn man zugibt, dass man damit nichts anfangen kann? Ich als seine Frau würde sagen: vermutlich. Deswegen muss man aber noch lange nicht glauben, was aus dem Studio berichtet wird: dass sich die Leute dort vor Ergriffenheit weinend in den Armen gelegen hätten. Ich könnte auch heulen, aber aus anderen Gründen. Dieser saubere Columbia recording artist soll mir mal nach Hause kommen!

Aber zetern macht's ja nicht besser. Wie sagte Voltaire? "Es ist das Vorrecht des echten Genies, insbesondere dessen, das einen neuen Weg eröffnet, ungestraft große Fehler zu machen." Also Schwamm drüber über diesen kleinen Seitensprung.

EDO REENTS

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