Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 4. Dezember 2009
- Hersteller: Island / Universal Music,
- Gesamtlaufzeit: 48 Min.
- EAN: 0602527285955
- Artikelnr.: 27978782
CD | |||
1 | Sigh No More | 00:03:29 | |
2 | The Cave | 00:03:38 | |
3 | Winter Winds | 00:03:40 | |
4 | Roll Away Your Stone | 00:04:24 | |
5 | White Blank Page | 00:04:14 | |
6 | I Gave You All | 00:04:20 | |
7 | Little Lion Man | 00:04:07 | |
8 | Timshel | 00:02:53 | |
9 | Thistle & Weeds | 00:04:50 | |
10 | Awake My Soul | 00:04:16 | |
11 | Dust Bowl Dance | 00:04:43 | |
12 | After The Storm | 00:04:09 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2009Wir sind der Folk
Was nützt die schönste Depression ohne richtigen Soundtrack? Neue Platten von traurigen Jungs
Es ist ein Jammer. Der Sommer ist also definitiv vorbei. Im Sommer war alles viel leichter. Und wenn es schwierig war, dann war da immer noch der Sommer. Wenn man zum Beispiel abends nicht wusste, wohin mit sich oder überhaupt wohin, dann konnte man losradeln durch die Großstadtnacht und schauen, was passiert. Irgendjemand, den man mag, saß bestimmt auf dem Gehsteig vor einer Bar, und wenn man wollte, konnte man anhalten und auf ein Getränk bleiben oder zwei. Jetzt ist Herbst, und vorm Verlassen der Wohnung stehen Entscheidungen an: frieren beim Unterwegssein oder schwitzen beim Ankommen. Schon allein in modischer Hinsicht gestaltet sich der Herbst also heimtückisch: Hochgestellte Kragen nerven im Sommer höchstens bei den BWLern, jetzt ragen die Mantelspitzen überall hoch und stechen in die Atmosphäre. Immerhin kann man jetzt endlich wieder die schwarzen Lederstiefel tragen - und rutscht dann auf dem feuchten Laub aus. Überhaupt überlegt man jetzt dreimal, ob man raus und durch den Nebeltümpel schwimmen soll. Insgesamt also massig Gründe, zu Hause zu bleiben, um literweise Tee oder, je nach Naturell und Tageszeit, Rotwein zu trinken.
Und mit den Männern läuft es auch nicht besser. Überall nur traurige Männerherzen. The Leisure Society, Timber Timbre und Mumford & Sons können ein Lied davon singen. Wer sich so richtig im Unglück suhlen will, sollte sich an diese drei Bands halten. Sie liefern den perfekten Soundtrack zur gepflegten Herbstdepression: Im weiteren Kreis des Folks angesiedelt, exerzieren die drei Bands sämtliche Zustände der Depression durch, von der Apathie bis zum Zorn.
Ein Kind der Krise
Bis oben hin voll mit Verzweiflung und Pathos ist das grandiose und sehr britische Folk-Pop-Album von The Leisure Society. Zwischen Ukulele, Banjo, Mandoline, Glockenspiel, Melodica, Cello, Altflöte, Klarinette und einer Stimme, die an Sufjan Stevens und Jens Lekman erinnert, öffnet sich ein herzenswarmes und ganz dunkles Universum. "Come to Your Senses" und das titelgebende Stück "The Sleeper" mit der postapokalyptischen Bildersprache handeln von der Einsamkeit, der Hilflosigkeit und dem Schicksal, wie von einer Glasglocke abgeschirmt durch die Welt zu taumeln. Jeder Glockenschlag, jede Banjomelodie sitzt. Melancholie wird zur Tugend, wenn sie aus schlanken Folk-Arrangements solch epische Songs entstehen lässt wie "A Short Weekend Begins with Longing". Sogar Selbstvergewisserung kann gut klingen, wie zum Beispiel im Song "The Sleeper": "We change like the lights on a busy street / Checking constantly that we're happy to be here."
Das gebrochene Herz und die Verzweiflung von The Leisure Society sind echt. Tatsächlich ist das Album "The Sleeper" ein Kind der Krise, einer ausgewachsenen Lebenskrise von Nick Hemming, dem Kopf der Band The Leisure Society. Im Jahr 2005 ist seine Beziehung kaputtgegangen, und mit der Musik lief es auch nicht gut. Nick Hemming ist zu dem Zeitpunkt 33 Jahre alt und jobbt als Lagerarbeiter, um Zeit und Geld zum Musikmachen zu haben. Als ihn seine Freundin aus dem Haus wirft, geht Hemming nach London und zieht bei seinem alten Freund Christian Hardy ein. Tagsüber arbeitet er in einer Tapetenfabrik, nachts macht er, zusammen mit Hardy, aus seinem Liebeskummer ein sehnsuchtsvolles Indie-Folk-Album.
Ganz anders, aber nicht weniger trist klingt der Folk von Timber Timbre: "I get low low low on my own" klagt Taylor Kirk schon ganz am Anfang seiner gleichnamigen Platte zum Hammerklavier, während irgendwo im Hintergrund ein Hund kläfft. Viel abseitiger, als das nicht sehr subtile Wortspiel des Namens Timber Timbre vermuten ließe, das im Deutschen nicht funktioniert und einfach so viel wie "Die Klangfarbe von Holz" bedeutet. Der Kanadier singt von Leuten, die Dämonen mit sich herumtragen, menschlichen Abgründen und schmerzhaften Erfahrungen in einer Mischung aus Reduktion und Intensität. Sachte gestreichelte E-Gitarren, ein weiches Schlagzeug, ein paar Streicher und eine altmodisch klingende Orgel prägen das Soundgewand. Timber Timbre selbst nennen das Ganze "Gothic Rockabilly Blues": Gothic, weil ihre Musik so dunkel ist, Blues, weil sie ganz traurig ist, und Rockabilly, weil er trotz aller Schwere gerade mit seiner Stimme den Charme aller traurigen Männer versprüht.
Herbstlich, herzlich
Inbrunst, sogar in mehreren Stimmlagen gleichzeitig, bieten die Senkrechtdurchstarter von Mumford & Sons. "Sigh No More" heißt ihr Debütalbum, was natürlich schamlos gelogen ist. Von wegen kein Seufzen mehr. Mumford & Sons jammern auf ihrem Debütalbum ganz viel und feierlich zu herbstlich spröden Akustikgitarren, dem fast schon obligatorischen Banjo und Schlagzeug. Zu diesem Folk-Ansatz mit fein ziselierten Melodien, dem Einsatz von akustischen Instrumenten und Männerchören mit einem Hang zum Größenwahn setzt eine Wucht, die Artverwandten wie den Fleet Foxes immer fehlte, den schönsten Kontrapunkt. Der Höhepunkt der Platte ist kurz vor dem Ende: "Dust Bowl Dance" fängt fast schon apathisch an und wird dann immer aggressiver, bis sich der Zorn im knüppelnden Schlagzeug entlädt. Aggressionsabfuhr ist ja immer gut, erst recht, wenn sich, wie im Text, die Verzweiflung ins Pathologische steigert: "Steal my heart and break my pride", betteln Mumford & Sons. Herbstdepression hin oder her - das geht dann doch zu weit.
Außerdem pendelt sich das Glück ja doch immer wieder ein, und auch die größte Krise ist irgendwann vorbei; so geht es auch Nick Hemming von The Leisure Society wieder besser. Sein Song "The Last of the Melting Snow" wurde für den "Ivor Novello Award" nominiert, den wichtigsten Preis für Songwriter und Komponisten in England, den die British Academy vergibt. Seitdem geht es zumindest beruflich bergauf. Auch unsere Herbstdepression geht wieder vorbei. Ganz bestimmt. Das wird schon wieder. Spätestens am 20. März, dann beginnt der nächste Frühling. Die Zeit bis dahin vergeht vielleicht am schönsten, sicher aber sehr melancholisch mit The Leisure Society, Mumford & Sons und Timber Timbre.
CHRISTINA HOFFMANN
Mumford & Sons: "Sigh No More". Cooperative Music (Universal) Timber Timbre: "Timber Timbre". Alive (Arts & Crafts) The Leisure Society: "The Sleeper". Pias UK / Full Time Hobby (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was nützt die schönste Depression ohne richtigen Soundtrack? Neue Platten von traurigen Jungs
Es ist ein Jammer. Der Sommer ist also definitiv vorbei. Im Sommer war alles viel leichter. Und wenn es schwierig war, dann war da immer noch der Sommer. Wenn man zum Beispiel abends nicht wusste, wohin mit sich oder überhaupt wohin, dann konnte man losradeln durch die Großstadtnacht und schauen, was passiert. Irgendjemand, den man mag, saß bestimmt auf dem Gehsteig vor einer Bar, und wenn man wollte, konnte man anhalten und auf ein Getränk bleiben oder zwei. Jetzt ist Herbst, und vorm Verlassen der Wohnung stehen Entscheidungen an: frieren beim Unterwegssein oder schwitzen beim Ankommen. Schon allein in modischer Hinsicht gestaltet sich der Herbst also heimtückisch: Hochgestellte Kragen nerven im Sommer höchstens bei den BWLern, jetzt ragen die Mantelspitzen überall hoch und stechen in die Atmosphäre. Immerhin kann man jetzt endlich wieder die schwarzen Lederstiefel tragen - und rutscht dann auf dem feuchten Laub aus. Überhaupt überlegt man jetzt dreimal, ob man raus und durch den Nebeltümpel schwimmen soll. Insgesamt also massig Gründe, zu Hause zu bleiben, um literweise Tee oder, je nach Naturell und Tageszeit, Rotwein zu trinken.
Und mit den Männern läuft es auch nicht besser. Überall nur traurige Männerherzen. The Leisure Society, Timber Timbre und Mumford & Sons können ein Lied davon singen. Wer sich so richtig im Unglück suhlen will, sollte sich an diese drei Bands halten. Sie liefern den perfekten Soundtrack zur gepflegten Herbstdepression: Im weiteren Kreis des Folks angesiedelt, exerzieren die drei Bands sämtliche Zustände der Depression durch, von der Apathie bis zum Zorn.
Ein Kind der Krise
Bis oben hin voll mit Verzweiflung und Pathos ist das grandiose und sehr britische Folk-Pop-Album von The Leisure Society. Zwischen Ukulele, Banjo, Mandoline, Glockenspiel, Melodica, Cello, Altflöte, Klarinette und einer Stimme, die an Sufjan Stevens und Jens Lekman erinnert, öffnet sich ein herzenswarmes und ganz dunkles Universum. "Come to Your Senses" und das titelgebende Stück "The Sleeper" mit der postapokalyptischen Bildersprache handeln von der Einsamkeit, der Hilflosigkeit und dem Schicksal, wie von einer Glasglocke abgeschirmt durch die Welt zu taumeln. Jeder Glockenschlag, jede Banjomelodie sitzt. Melancholie wird zur Tugend, wenn sie aus schlanken Folk-Arrangements solch epische Songs entstehen lässt wie "A Short Weekend Begins with Longing". Sogar Selbstvergewisserung kann gut klingen, wie zum Beispiel im Song "The Sleeper": "We change like the lights on a busy street / Checking constantly that we're happy to be here."
Das gebrochene Herz und die Verzweiflung von The Leisure Society sind echt. Tatsächlich ist das Album "The Sleeper" ein Kind der Krise, einer ausgewachsenen Lebenskrise von Nick Hemming, dem Kopf der Band The Leisure Society. Im Jahr 2005 ist seine Beziehung kaputtgegangen, und mit der Musik lief es auch nicht gut. Nick Hemming ist zu dem Zeitpunkt 33 Jahre alt und jobbt als Lagerarbeiter, um Zeit und Geld zum Musikmachen zu haben. Als ihn seine Freundin aus dem Haus wirft, geht Hemming nach London und zieht bei seinem alten Freund Christian Hardy ein. Tagsüber arbeitet er in einer Tapetenfabrik, nachts macht er, zusammen mit Hardy, aus seinem Liebeskummer ein sehnsuchtsvolles Indie-Folk-Album.
Ganz anders, aber nicht weniger trist klingt der Folk von Timber Timbre: "I get low low low on my own" klagt Taylor Kirk schon ganz am Anfang seiner gleichnamigen Platte zum Hammerklavier, während irgendwo im Hintergrund ein Hund kläfft. Viel abseitiger, als das nicht sehr subtile Wortspiel des Namens Timber Timbre vermuten ließe, das im Deutschen nicht funktioniert und einfach so viel wie "Die Klangfarbe von Holz" bedeutet. Der Kanadier singt von Leuten, die Dämonen mit sich herumtragen, menschlichen Abgründen und schmerzhaften Erfahrungen in einer Mischung aus Reduktion und Intensität. Sachte gestreichelte E-Gitarren, ein weiches Schlagzeug, ein paar Streicher und eine altmodisch klingende Orgel prägen das Soundgewand. Timber Timbre selbst nennen das Ganze "Gothic Rockabilly Blues": Gothic, weil ihre Musik so dunkel ist, Blues, weil sie ganz traurig ist, und Rockabilly, weil er trotz aller Schwere gerade mit seiner Stimme den Charme aller traurigen Männer versprüht.
Herbstlich, herzlich
Inbrunst, sogar in mehreren Stimmlagen gleichzeitig, bieten die Senkrechtdurchstarter von Mumford & Sons. "Sigh No More" heißt ihr Debütalbum, was natürlich schamlos gelogen ist. Von wegen kein Seufzen mehr. Mumford & Sons jammern auf ihrem Debütalbum ganz viel und feierlich zu herbstlich spröden Akustikgitarren, dem fast schon obligatorischen Banjo und Schlagzeug. Zu diesem Folk-Ansatz mit fein ziselierten Melodien, dem Einsatz von akustischen Instrumenten und Männerchören mit einem Hang zum Größenwahn setzt eine Wucht, die Artverwandten wie den Fleet Foxes immer fehlte, den schönsten Kontrapunkt. Der Höhepunkt der Platte ist kurz vor dem Ende: "Dust Bowl Dance" fängt fast schon apathisch an und wird dann immer aggressiver, bis sich der Zorn im knüppelnden Schlagzeug entlädt. Aggressionsabfuhr ist ja immer gut, erst recht, wenn sich, wie im Text, die Verzweiflung ins Pathologische steigert: "Steal my heart and break my pride", betteln Mumford & Sons. Herbstdepression hin oder her - das geht dann doch zu weit.
Außerdem pendelt sich das Glück ja doch immer wieder ein, und auch die größte Krise ist irgendwann vorbei; so geht es auch Nick Hemming von The Leisure Society wieder besser. Sein Song "The Last of the Melting Snow" wurde für den "Ivor Novello Award" nominiert, den wichtigsten Preis für Songwriter und Komponisten in England, den die British Academy vergibt. Seitdem geht es zumindest beruflich bergauf. Auch unsere Herbstdepression geht wieder vorbei. Ganz bestimmt. Das wird schon wieder. Spätestens am 20. März, dann beginnt der nächste Frühling. Die Zeit bis dahin vergeht vielleicht am schönsten, sicher aber sehr melancholisch mit The Leisure Society, Mumford & Sons und Timber Timbre.
CHRISTINA HOFFMANN
Mumford & Sons: "Sigh No More". Cooperative Music (Universal) Timber Timbre: "Timber Timbre". Alive (Arts & Crafts) The Leisure Society: "The Sleeper". Pias UK / Full Time Hobby (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main