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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2005

Die Nerven liegen wieder blank
Da sollten bei Rockgegnern die Alarmglocken läuten: Das Debüt der britischen Band "Bloc Party"

Wie viele Rockplatten reichen für ein Leben? Kommen zu den Erfahrungen, die man in der Jugend damit gemacht hat, später überhaupt noch wirklich neue hinzu? Zu Songs, die älter sind als man selbst, wird man ohnehin nie mehr die gleiche Beziehung aufbauen können wie zu denen, die auf den frühen, den wirklich großen Partys liefen. Wenn man also nicht wegen einer amour fou zu exotischen Ländern oder Frauen ganz die Richtung wechselt und plötzlich Samba lernt oder das Bongotrommelspiel, dann wird man immer auf der Suche nach der verlorenen Zeit und den verschütteten Riffs bleiben. Da man sich aber zugleich dafür schämt, mit Vierzig immer noch die gleichen New-Wave- und Indie-Platten zu hören wie mit Fünfzehn, begrüßt man jede Retrowelle aufs neue mit einem dreifach donnernden "Yeah, yeah, yeah".

Also einmal konkret: Man hat die frühen "Cure" im Schrank, die "Talking Heads", "XTC", als die noch kein Lampenfieber hatten, natürlich auch "U2", die ja einmal eine wirklich gute Band waren (bis "War", 1983), dann die "Smiths". Später kam in dieser Richtung dann nicht mehr viel Neues dazu, "Generation Terrorist" von den "Manic Street Preachers" vielleicht und die frühen Sachen von "Radiohead", bevor die anfingen, jeden Ansatz einer guten Songidee durch den Mixer zu drehen. Dann galt es jahrelang, viel bräsigen oder wehleidigen Brit-Pop auszuhalten oder sich eben gleich ganz aufs Brettrocken zu verlegen (kann man ruhig eine Zeitlang mal machen, man geht in der kalten Jahreszeit ja auch ins Fitness-Studio).

Die Anhänger elektrifizierter Nervenkunst hatten lange nur die Wahl des kleineren Übels. Erst in jüngster Zeit kommen die Einschläge wieder näher: Mit den Kanadiern von "Hot Hot Heat" etwa und in Deutschland (immerhin) der Nürnberger Neo-New-Wave-Band "Robocop Kraus". Im vergangenen Jahr überschritten dann die großen britischen Importe "Franz Ferdinand" und "Razorlight" mit ihren makellosen Debütplatten die Grenze zum Trend.

Wave ist zurück: hart, aber nicht dumpf; klug, aber nicht verquast. Alternative Energie, aber kein Müsli-Kram. Recycling allerdings schon. Beim ersten, von der britischen Presse bereits ausgiebig vorab gefeierten Album der vierköpfigen Band "Bloc Party" könnte man sich bei jedem Song eine Scheibe Rockgeschichte abschneiden - was nicht gegen die Band spricht.

Stärker als "Silent Alarm" hat schon länger kein Album dieses Genres mehr begonnen. In das bedrohlich sirenenartig anschwellende Gitarren-Intro des ersten Songs "Like Eating Glass" platzt vorlaut das ungewöhnlich weit nach vorn gemischte Schlagzeug, darüber erhebt sich klar und dynamisch die variable Stimme des schwarzen Frontmanns Kele Okereke. Immer wieder verschieben sich die Rhythmen gegeneinander, bis sie schließlich in den zwingenden Refrain münden - ein "Sunday, Bloody Sunday" für unsere Zeit. Die schlackenlose, reduzierte Schärfe des Klangbilds paßt zu den aggressiven, politisch engagierten Texten Okerekes, dessen Stimme alle Register von der Qual Robert Smiths bis zum Pathos James Dean Bradfields beherrscht. Gleich das zweite Stück, "Helicopter", ist eine wütende Anklage gegen George W. Bush; in "Price of Gas" wird der Irak-Krieg auf seine wahren ökonomischen Motive hin abgeklopft.

Wozu die Band imstande ist, zeigt sie im dritten Song "Positive Tension", der ganz verhalten beginnt: Über eine Big-Beat-artige Drohkulisse von Baßlinie und Schlagzeug, die aus dem Klanglabor der "Chemical Brothers" stammen könnte, singt Okereke von Lebensleere und Langeweile und der scheinhaften Fluchtmöglichkeit ins Popstar-Dasein. In der Brigde imitiert die Gitarre dann unvermittelt ein "Nirvana"-Riff und spielt damit beiläufig das tragische Schicksal Kurt Cobains ein, um am Schluß eine scharfe Kurve in Richtung "Franz Ferdinand" zu nehmen: "Play it cool, boy!" Die Mittzwanziger von "Bloc Party" scheinen sich nicht nur ihrer Traditionen, sondern auch der Fallen des Musikgeschäfts sehr bewußt zu sein. Vom großkotzigen oder schnöseligen Auftreten manch anderer Band der Stunde - Biker, die Akademiker spielen, die Biker spielen - heben sie sich wohltuend ab.

Auch nehmen sie auf dem Album das Tempo raus, auf den Art-School-Rock der Hit-Single "Banquet" etwa folgt das intime "Blue Light". Wenn die Platte zwischendurch auch etwas an fiebriger Konsequenz verliert - und dann doch manchmal nach einer glücklich verdrängten "U2"-Single klingt ("So here we are") -, ist sie doch ein dramaturgisch durchdachter Entwurf, der die schwelgerischen Gesten und breiten Spannungsbögen des Britpop mit klaren Songstrukturen vereint - man höre nur "Luno", in dem "Franz Ferdinand"-Riffs ein Joint-venture mit hallendem Emo-Rock eingehen.

Nichts an diesem immer wieder verblüffenden Album ist vorhersehbar, fast alles dagegen zwingend. Vielleicht kommt mancher ja wirklich mit einer Handvoll Platten durchs Leben. Aber auch wenn man einen Schrank voll hätte - wäre diese nicht dabei, hätte man in jedem Fall etwas versäumt.

RICHARD KÄMMERLINGS

Bloc Party, Silent Alarm. V2 Records 1030562 (Rough Trade)

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