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Produktdetails
Trackliste
CD
1Lady B00:07:22
2Sky & Country00:06:39
3Elena Berenjena00:05:16
4CJ00:07:30
5Dharma Days00:05:06
6Anandananda00:10:34
7Perla Morena00:05:44
8Transfigured00:08:36
9Super Sister00:10:50
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2010

Trio auf Zehenspitzen

Das Fly-Trio ist eine junge Formation, der in einem besonders vertrackten Genre - dem Saxophon-Trio - auf Anhieb ein geradezu klassisches Album geglückt ist.

Das Saxophon-Trio gehört zu den Besetzungen, von denen man etwas bösartig sagen könnte, sie seien bei Musikern beliebter als beim Publikum, da das Fehlen eines vierten Mannes zwar den Transport verbilligt und die Gagen erhöht, keinesfalls aber das Klangspektrum erweitert.

Auch in der Geschichte des Jazz hat das Saxophon-Trio trotz eines Meilensteins wie der "Freedom Suite" Sonny Rollins' niemals zu den klassisch zu nennenden Formationen gehört. Mehr noch als etwa das Klaviertrio erfordert diese Besetzung, die ohne echtes Harmonieinstrument auskommen will, zündende Einfälle auf allen Ebenen, das heißt vielschichtige Kompositionen und ökonomische Arrangements, einen gediegenen performativen Fluss im Geben und Nehmen der Ideen sowie feine rhythmische und klangliche Nuancen, die aus der Not, faktisch über allerlei Klangfarben eben nicht zu verfügen, eine Tugend machen: die nämlich, das Instrument neu entdecken zu wollen.

Nicht nur aufgrund dieser besonderen Herausforderungen der Gattung, sondern auch, weil sie in den letzten Monaten an einigen bedeutsamen Veröffentlichungen beteiligt gewesen sind, wurde das Zusammenspiel dieser drei Musiker als "Fly-Trio" mit großer Spannung erwartet: Während der Bassist Larry Grenadier gemeinsam mit dem Saxophonisten Mark Turner auf Enrico Ravas stupendem Album "New York Days" zu hören war (siehe F.A.Z. vom 2. Juni 2009), bilden Grenadier und der Drummer Jeff Ballard die Rhythmussektion des Brad Mehldau Trios, das mit seinem Livealbum einen fulminanten Epilog auf das Jahrzehnt des Klaviertrios eingespielt hat (siehe F.A.Z. vom 25. Oktober 2008). Dass dieses lange, in den späten Neunzigern beginnende Klaviertrio- Jahrzehnt nun langsam zu Ende geht, sofern sich Originelles und Richtungweisendes zunehmend im Rahmen anderer Besetzungen Bahn zu brechen beginnen, ist eine Entwicklung, die das Fly-Trio exemplarisch verkörpert.

Ein neuer Zeitgeist weht in dieser wie auf Zehenspitzen vorgetragenen Musik, der es in ihren besten Momenten gelingt, eine mythische Gefühlswelt funktionsharmonischer Linearitäten und Zeitraffungen aus den Angeln zu heben, um sie in utopisch-ahistorische Schwebezustände zu versetzen. Dazu trägt auch ein fabelhafter Überfluss an melodischen Einfällen bei.

Die Welt, in der das Fly-Trio musiziert, ist weder die der beginnenden Informationsüberflutung der Achtziger noch jene der archäologischen Besinnung auf Folkloren der Neunziger. Es ist eher eine neue, ungewohnte Welt des ungezwungenen Sicheinklinkens und Mitgehenkönnens in mannigfaltige Richtungen. In dieser Welt ist Crossover zum Standard geworden, und es wird nun ganz selbstverständlich jener Pluralismus praktiziert, den die Postmoderne einst mit ihrer oft etwas verkrampften Brechstangen-Ironie gepredigt hatte - denken wir, zum Beispiel, an Heroen wie John Zorn oder den frühen Bill Frisell. Der Jazz des Fly-Trios dagegen zerfällt nie in narrative Fragmente und Klangcollagen, er nimmt unentwegt neues Material in sich auf, assimiliert und reflektiert es, um ein subjekthaftes Zentrum aller Perspektivenwechsel zu nähren.

Sammlung, nicht Verausgabung oder ironische Brechung fungiert hier als Grundhaltung. Prägend für Stimmung und Ästhetik der neun Eigenkompositionen dieses Albums ist zunächst das eloquente Spiel des Tenor- und Sopransaxophonisten Mark Turner. Dessen sprudelnd-vibratoloser Duktus gemahnt in der Beweglichkeit seiner Motivverwebungen oft an Coltrane, bezieht seine Impulse und dramaturgische Binnengliederung jedoch nicht aus der psychagogischen Entfesselung spiritueller Energien, vielmehr aus der Gelassenheit des Beobachtens. Das Melos dieses zweiundvierzigjährigen Eigenbrötlers, der sich im vergangenen Herbst beinahe zwei Finger mit der Motorsäge abgetrennt hätte und seit Jahren ohne Manager irrlichternd seine Bahnen im Jazzhimmel zieht, hat auf "Sky & Country" einen unverwechselbaren deskriptiv-idyllischen, fast stoisch-heiteren Grundton angenommen, der sich eher in Spiralen und Episoden als in den für das Saxophon stereotypen Terrassen und Steigerungen artikuliert, die bis hin zum Verglühen im existentialistischen "dernier cri" reichen. Man könnte von einer objektiven Versonnenheit sprechen, die nun in Turners Spiel Regie führt und der man auch, beispielsweise, in den Stillleben eines Giorgio Morandi begegnen kann.

In der Themenexposition des federnden Eingangsstücks "Lady B" assoziiert man binnen weniger Takte Abzählreime, Seemannslieder und Bossa nova - musikalische Düfte, die wie Assoziationsschwaden vorbeiziehen, später wiederauftauchen und sich immer neu als durchlässig für anderes Material erweisen, mit dem die melodischen Kristallisationskerne des Stücks weiterentwickelt und in stets neuen Konstellationen kontrastiert werden.

Das darauffolgende Titelstück bremst das Motivkarussell von "Lady B" mit Flageoletts und einer weitausholend-zarten, leicht orientalisierenden Melodie aus, die Bass und Sopransaxophon kontrapunktisch einführen, bevor Jeff Ballard und Larry Grenadier bei Anbruch der Nacht eine kleine Karawane in Bewegung setzen. Nicht zuletzt die delikaten dynamischen Abstufungen, die das Trio meisterhaft beherrscht, um sein Zusammenspiel auf Mikroebene zu organisieren, verleihen den dramaturgischen Bögen der Musik ganz eigentümliche organische Entwicklungen. So kann dann etwa in Larry Grenadiers abstrakt-bluesiger Ballade "CJ" ein chromatisch-absteigendes Vierton-Bass-Motiv als Grundlage einer achtminütigen Improvisation dienen: Keine Sekunde zu lang ist dieser Ausflug, weil im Improvisieren selbst aus den Interferenzen von Beckenschwingungen und Flageoletts ein Spannungselement wird.

Der an der Grenze zwischen High-speed-Swing und modernem Jungle rhythmisierte Bebop "Dharma Days" gibt Jeff Ballard dann erstmals Gelegenheit, seiner Vision einer eher spür- als hörbaren Virtuosität Gestalt zu geben. Das Stück kehrt - ähnlich wie das bezaubernd optimistische "Perla Morena" - zu der hellwach-versonnenen Grundhaltung des Albums zurück. Später, in der von gestrichenem Kontrabass und Sopransaxophon eingeleiteten Selbstvergewisserung "Transfigured", die stellenweise wie eine meditative Versenkung in den Beatles-Song "Blackbird" anmutet, lernt man sogar das Schlagzeug als ein Melodieinstrument hören. Und man begreift am Ende, dass die innere Notwendigkeit, mit der Turners Ideenstrom aus dem Zusammenspiel der Band zu resultieren scheint, nicht weniger für die anderen beiden Instrumente in Kraft ist.

Stets mit Blick auf die Gesamtästhetik agierend, unaffektiert in der Haltung, hochkultiviert in Formensprache und Klanggebung, organisch in jedem Augenblick, ist dem Fly-Trio mit "Sky & Country" im schwierigen Genre des Saxophon-Trios tatsächlich ein Klassiker gelungen.

ALESSANDRO TOPA

Fly, Sky & Country. ECM 2067 (Universal)

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