Produktdetails
- Anzahl: 2 Vinyls
- Erscheinungstermin: 30. September 2016
- Hersteller: Warner Music Group Germany Hol / Parlophone Label Group (PLG),
- EAN: 0094638511410
- Artikelnr.: 22611369
- Herstellerkennzeichnung
- Warner Music
- Warner Music Group Germany Holding GmbH
- Alter Wandrahm 14
- 20457 Hamburg
- anfrage@warnermusic.com
LP 1 | |||
1 | Get Innocuous! | 00:07:07 | |
2 | Time To Get Away | 00:04:11 | |
3 | North American Scum | 00:05:25 | |
4 | Someone Great | 00:06:23 | |
LP 2 | |||
1 | All My Friends | 00:07:39 | |
2 | Us V Them | 00:08:29 | |
3 | Watch The Tapes | 00:03:55 | |
4 | Sound Of Silver | 00:07:06 | |
5 | New York, I Love You But You're Bringing Me Down | 00:05:34 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2007Tanz den George W. Bush
LCD Soundsystem beweisen, dass ein Dance-Album nicht nach Justin Timberlake klingen muss
James Murphy, dem Mann hinter, vor und über LCD Soundsystem, müsste es zurzeit ziemlich gut gehen. In seinem Leben passiert viel Schönes, Aufregendes und Neues. Man könnte fast ein bisschen neidisch werden. Auf einer knapp formulierten Liste seiner Lebensnews läse sich das folgendermaßen: neue Platte, neue Frau, neuer Hund, neues Hobby. In dieser Reihenfolge. Die neue Platte heißt "Sound of Silver", erscheint in ein paar Tagen und ist wunderbar. Die neue Frau ist wunderschön, schreibt Murphy auf seiner My-Space-Seite, viel zu schön für jemanden wie ihn, er habe das eigentlich nicht verdient. Den neuen Hund ebenso wenig, weil dieser auch viel zu gut aussieht. Und Murphys neues Hobby, eine asiatische Kampfsportart namens "Ultimate Fighting", begeistert ihn ebenfalls. Vor allem die Ausführung von "Triangle Escapes", einer Technik, mit deren Hilfe man sich aus gegnerischen Arm- und Beinklammern befreien kann. So was muss man als Musiker heute können.
Alles läuft also bestens, aber in Interviews zweifelt Murphy gerne, an sich, an anderen und an der Welt. Meist auf höchst amüsante Weise und voller Selbstironie, manchmal auch böse und sarkastisch, was ihm nicht selten als Arroganz ausgelegt wird. Aber James Murphy darf das. Wer die Welt mit einem phantastischen Album wie "Sound of Silver" beglückt, darf ruhig mal großspurig daherkommen. Nur wenigen Musikern gelingt ein so mitreißendes Soundkonglomerat, das aus allem schöpft, was in den letzten Jahrzehnten Menschen zum Tanzen brachte: Rock, Disco, New Wave, House, Techno. Und noch viel mehr. Musikjournalisten haben sich für Murphys Sound das Genre "Dancepunk" ausgedacht, wobei sich über den Punkanteil wohl streiten lässt. "North American Scum", die erste Singleauskopplung des neuen Albums, ist auf jeden Fall das politischste Stück auf "Sound of Silver" oder soll es zumindest sein. Murphy ist New Yorker, tolerant, weltoffen, belesen, ein Vorzeige-New-Yorker eben, der im Szeneviertel Williamsburg wohnt, mit Bushs Politik nichts am Hut hat und mit dem Dilemma leben muss, sich trotzdem als Nordamerikaner definieren zu wollen. Darum geht es in dem Song, auch wenn man gleichzeitig darauf tanzen soll. Denn Murphy macht vor allem eines: Tanzmusik. Und man kann sich schon vorstellen, wie es sich für Murphy und alle US-Amerikaner, die Bush nicht gewählt haben, anfühlen mag, in Zeiten des Antiamerikanismus Europa zu bereisen, um dort selbst von aufgeklärten, muffinbackenden Zeitgenossen, die für das neue Apple-iPhone ihre Großmutter verkaufen würden, reflexartig als Repräsentant des Bush-Amerika wahrgenommen zu werden. I hate the feelin' when you're looking at me that way cause we're North Americans / But if we act all shy, it'll make it ok, makes it go away / We're from North America, we are North American scum! Mit seiner ironisch-verzweifelt herausgeschrienen Selbstbezichtigung, nordamerikanischer Abschaum zu sein, will Murphy sicher auch amerikanische Patrioten und die christliche Rechte provozieren, aber ob er diese Gruppierungen mit seiner Musik erreicht, ist mehr als fraglich. Den Versuch ist es aber schon wert. Andere ärgern macht Spaß.
Doch Murphys große Stärke ist weniger das politische Gesangsmanifest als der unbedingte Wille zum perfekten Dance-Album, das nicht nach Justin Timberlake klingen darf. Sein LCD-Sound ist hart, direkt und euphorisierend wie ein Gin Tonic mit sehr viel Gin und ganz wenig Tonic. Es fällt schwer, sich nicht zu seiner Musik zu bewegen. Und wenn er dann auch noch fünf Mal hintereinander "Where is the love, the love, the love tonight?" schreit und krächzt und ihm die Stimme dabei überkippt, will man ihn nur noch lieben und zurückschreien: "Hier ist sie, die Liebe!"
Die neun Songs auf "Sound of Silver" stecken voller pophistorischer Reminiszenzen an Kraftwerk, New Order oder die B-52's. Man merkt dem Album an, dass Murphy diese Musik liebt und sich ihrer auf ganz andere Weise bedient als ein achtzehnjähriger Nachwuchsgitarrist, der 2007 erstmalig die Beatles für sich entdeckt. In "Get Innocuous!" verwendet Murphy an Kraftwerks "Wir sind die Roboter" angelehnte Electrobeats. Trotz massivem Cowbell-Einsatz erinnern "Time to get away" und "Us v Them" an die Talking Heads. "Someone great", das schönste und bewegendste Stück des Albums, handelt vom Verlust eines Freundes und beschreibt die schmerzhaften Momente nach der telefonischen Überbringung der Todesnachricht. Ein Anruf, der alles verändert, obwohl alles gleich bleibt. Die Sonne scheint trotzdem, der Kaffee schmeckt nicht bitter, Jobs müssen erledigt werden. When someone great is gone. We are safe for the moment. Saved for the moment. Eine von blubbrigen Elektrobässen und hellen Glöckchen begleitete lakonische Ode an die Zerbrechlichkeit des Daseins, die sich sechs Minuten und fünfundzwanzig Sekunden wie ein Zählwerk durch ein paar sichere Momente des eigenen kleinen Lebens tickert.
STEPHAN HERCZEG
LCD Soundsystem: "Sound of Silver". DFA/EMI Records, Veröffentlichung 16. 03. 2007
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
LCD Soundsystem beweisen, dass ein Dance-Album nicht nach Justin Timberlake klingen muss
James Murphy, dem Mann hinter, vor und über LCD Soundsystem, müsste es zurzeit ziemlich gut gehen. In seinem Leben passiert viel Schönes, Aufregendes und Neues. Man könnte fast ein bisschen neidisch werden. Auf einer knapp formulierten Liste seiner Lebensnews läse sich das folgendermaßen: neue Platte, neue Frau, neuer Hund, neues Hobby. In dieser Reihenfolge. Die neue Platte heißt "Sound of Silver", erscheint in ein paar Tagen und ist wunderbar. Die neue Frau ist wunderschön, schreibt Murphy auf seiner My-Space-Seite, viel zu schön für jemanden wie ihn, er habe das eigentlich nicht verdient. Den neuen Hund ebenso wenig, weil dieser auch viel zu gut aussieht. Und Murphys neues Hobby, eine asiatische Kampfsportart namens "Ultimate Fighting", begeistert ihn ebenfalls. Vor allem die Ausführung von "Triangle Escapes", einer Technik, mit deren Hilfe man sich aus gegnerischen Arm- und Beinklammern befreien kann. So was muss man als Musiker heute können.
Alles läuft also bestens, aber in Interviews zweifelt Murphy gerne, an sich, an anderen und an der Welt. Meist auf höchst amüsante Weise und voller Selbstironie, manchmal auch böse und sarkastisch, was ihm nicht selten als Arroganz ausgelegt wird. Aber James Murphy darf das. Wer die Welt mit einem phantastischen Album wie "Sound of Silver" beglückt, darf ruhig mal großspurig daherkommen. Nur wenigen Musikern gelingt ein so mitreißendes Soundkonglomerat, das aus allem schöpft, was in den letzten Jahrzehnten Menschen zum Tanzen brachte: Rock, Disco, New Wave, House, Techno. Und noch viel mehr. Musikjournalisten haben sich für Murphys Sound das Genre "Dancepunk" ausgedacht, wobei sich über den Punkanteil wohl streiten lässt. "North American Scum", die erste Singleauskopplung des neuen Albums, ist auf jeden Fall das politischste Stück auf "Sound of Silver" oder soll es zumindest sein. Murphy ist New Yorker, tolerant, weltoffen, belesen, ein Vorzeige-New-Yorker eben, der im Szeneviertel Williamsburg wohnt, mit Bushs Politik nichts am Hut hat und mit dem Dilemma leben muss, sich trotzdem als Nordamerikaner definieren zu wollen. Darum geht es in dem Song, auch wenn man gleichzeitig darauf tanzen soll. Denn Murphy macht vor allem eines: Tanzmusik. Und man kann sich schon vorstellen, wie es sich für Murphy und alle US-Amerikaner, die Bush nicht gewählt haben, anfühlen mag, in Zeiten des Antiamerikanismus Europa zu bereisen, um dort selbst von aufgeklärten, muffinbackenden Zeitgenossen, die für das neue Apple-iPhone ihre Großmutter verkaufen würden, reflexartig als Repräsentant des Bush-Amerika wahrgenommen zu werden. I hate the feelin' when you're looking at me that way cause we're North Americans / But if we act all shy, it'll make it ok, makes it go away / We're from North America, we are North American scum! Mit seiner ironisch-verzweifelt herausgeschrienen Selbstbezichtigung, nordamerikanischer Abschaum zu sein, will Murphy sicher auch amerikanische Patrioten und die christliche Rechte provozieren, aber ob er diese Gruppierungen mit seiner Musik erreicht, ist mehr als fraglich. Den Versuch ist es aber schon wert. Andere ärgern macht Spaß.
Doch Murphys große Stärke ist weniger das politische Gesangsmanifest als der unbedingte Wille zum perfekten Dance-Album, das nicht nach Justin Timberlake klingen darf. Sein LCD-Sound ist hart, direkt und euphorisierend wie ein Gin Tonic mit sehr viel Gin und ganz wenig Tonic. Es fällt schwer, sich nicht zu seiner Musik zu bewegen. Und wenn er dann auch noch fünf Mal hintereinander "Where is the love, the love, the love tonight?" schreit und krächzt und ihm die Stimme dabei überkippt, will man ihn nur noch lieben und zurückschreien: "Hier ist sie, die Liebe!"
Die neun Songs auf "Sound of Silver" stecken voller pophistorischer Reminiszenzen an Kraftwerk, New Order oder die B-52's. Man merkt dem Album an, dass Murphy diese Musik liebt und sich ihrer auf ganz andere Weise bedient als ein achtzehnjähriger Nachwuchsgitarrist, der 2007 erstmalig die Beatles für sich entdeckt. In "Get Innocuous!" verwendet Murphy an Kraftwerks "Wir sind die Roboter" angelehnte Electrobeats. Trotz massivem Cowbell-Einsatz erinnern "Time to get away" und "Us v Them" an die Talking Heads. "Someone great", das schönste und bewegendste Stück des Albums, handelt vom Verlust eines Freundes und beschreibt die schmerzhaften Momente nach der telefonischen Überbringung der Todesnachricht. Ein Anruf, der alles verändert, obwohl alles gleich bleibt. Die Sonne scheint trotzdem, der Kaffee schmeckt nicht bitter, Jobs müssen erledigt werden. When someone great is gone. We are safe for the moment. Saved for the moment. Eine von blubbrigen Elektrobässen und hellen Glöckchen begleitete lakonische Ode an die Zerbrechlichkeit des Daseins, die sich sechs Minuten und fünfundzwanzig Sekunden wie ein Zählwerk durch ein paar sichere Momente des eigenen kleinen Lebens tickert.
STEPHAN HERCZEG
LCD Soundsystem: "Sound of Silver". DFA/EMI Records, Veröffentlichung 16. 03. 2007
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main