Produktdetails
- Anzahl: 2 Audio CDs
- Erscheinungstermin: 17. Februar 1998
- Hersteller: AIG / Decca Records,
- Gesamtlaufzeit: 60 Min.
- EAN: 0028945502922
- Artikelnr.: 34845999
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
CD 1 | |||
1 | Spem in alium | ||
2 | In manus tuas | ||
3 | In ieiunio et fletu | ||
4 | Te lucis ante terminum I | ||
5 | Te lucis ante terminum II | ||
6 | Ecce tempus idoneum | ||
7 | Veni Redemptor gentium | ||
8 | O nata lux de lumine | ||
9 | Salvator mundi | ||
10 | Derelinquat impius | ||
11 | Videte miraculum | ||
12 | Organ Lesson | ||
13 | Sancte Deus | ||
CD 2 | |||
1 | Lamentatio Ieremiae I | ||
2 | Lamentatio Ieremiae II | ||
3 | Te Deum | ||
4 | Iam lucis orto sidere | ||
5 | Clarifica me, pater | ||
6 | Fantasy | ||
7 | Audivi vocem | ||
8 | Dum transisset sabbatum | ||
9 | Honor, virtus et potestas | ||
10 | Loquebantur variis linguis |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2016Klingender Kosmos aus "Fifty Shades of Grey"
Das russische Gesangsensemble "Musica Aeterna" präsentiert bei der Ruhrtriennale postchristliche Sakralmusik
Der Leiter des russischen Gesangssolistenensembles "Musica Aeterna", Vitaly Polonsky, steckt voller Tatendrang. Ihm sei wichtig, erklärt der drahtig durchtrainierte Polonsky, dass sein Ausnahmechor, der bei der Eröffnung der Ruhrtriennale in Christoph Willibald Glucks "Alceste" mit seiner Sanges- wie Schauspielkunst brillierte und unlängst im heimatlichen Perm Philipp Hersants Choroper "Tristia" mit Texten von Ossip Mandelstam, Warlam Schalamow und französischen Gefängnisinsassen herausbrachte, zu dem wichtigen deutschen Festival auch christliche Sakralmusik beisteuert. Der politische Kurs in seiner Heimat und die Verfilzung der Russischen Orthodoxen Kirche mit dem Machtapparat machten ihn sehr unglücklich, bekennt der Musiker. Doch wenn er nach Europa komme, das er der christlichen Welt zurechne, ängstige ihn die Islamisierung dort, gesteht Polonsky und holt, zum Zeichen seines orthodoxen Glaubens, ein kleines Goldkreuz unter seinem T-Shirt hervor.
Der Russe legt Wert darauf, dass die geistlichen A-cappella-Werke, die an diesem Abend in der prächtigen Maschinenhalle der Dortmunder Zeche Zollern erklingen, unterschiedlichen Konfessionen zuzurechnen sind, im Fall von György Ligetis "Lux Aeterna" gar von einem Atheisten geschrieben wurden. Der von dem griechischen Stardirigenten Teodor Currentzis gegründete Chor "Musica Aeterna" und das gleichnamige Orchester nehmen sich in der nicht gerade wohlhabenden Uralstadt Perm, wo Currentzis als Opernchef auch das ambitionierte Diaghilev-Festival leitet, aus wie ein Raumschiff.
Die Musiker, die aus allen Teilen Russlands stammen, verdienen viel mehr als Permer Bürger. Gleichwohl ist der Publikumszuspruch groß, außer erfahrenen Kennern gibt es eine jüngere Generation von Musikbegeisterten; der Permer Geschäftsmann Alexander Fleginski hat für Currentzis gar eine Philharmonie eingerichtet. Nur die auf den russischen Isolationskurs eingeschworene Kulturbürokratie vermeidet jeden Kontakt zu dem international gefragten Theater, erfährt man vom Chorleiter, wie der Teufel das Weihwasser.
Dabei macht "Musica Aeterna" nicht zuletzt wichtige russische Werke im Westen bekannt, sagt Polonsky. Beispielsweise das Chorkonzert von Alfred Schnittke, das freilich erst kürzlich auch vom Chor des Bayerischen Rundfunks in Salzburg gesungen wurde. Mit diesem Stück versuchte der Sohn einer katholischen Agnostikerin und eines jüdischen Kommunisten in sowjetisch-atheistischer Zeit seine christlichen Wurzeln wiederzubeleben. Dem während der Perestrojka uraufgeführten Konzert liegt das "Buch der Klagen" des armenischen Mönchs und Mystikers Gregor von Narek (951 bis 1003) zugrunde, das die Qualen beim Kampf um den Glauben ausmisst.
In dessen zweitem Satz, den das "Musica Aeterna"-Ensemble in Dortmund intoniert, erklingt über ostinat beschwörendem Halleluja-Gesang das Bekenntnis dieses "Kenners der menschlichen Leidenschaften", seine Verse seien bis zum Rand erfüllt von schwarzer Trauer. Die Musik übersetzt das in seufzende, obsessiv in sich kreisende Sekundfiguren. Zerknirschung und Gotteslob gehören als zwei Seiten derselben Seelenarbeit zusammen, wird so vergegenwärtigt. Dabei scheut Schnittke keine illustrativen Effekte, wenn er etwa der "Sklaven der Sünde" oder "Täter und Opfer" im expressiv schreienden Fortissimo gedenken lässt. Der vierte Satz bittet Gott, das Werk durch seinen Segen zu vollenden und ihm Heilkraft zu verleihen. Wie hier Klangzeichen gesetzt werden - durch triumphale Konsonanzen bei den Worten "göttlicher Geist" oder "Lobpreis" - das empfiehlt Schnittke auch als Literaturmusiker, und die lange wiederholte Terzfigur der Schlussformel "Amen", die im Diminuendo in der Stille verschwindet, zugleich als Vater des religiösen russischen Minimalismus.
Welch ein Kontrast zu dem zwanzig Jahre früher entstandenen Meisterwerk "Lux Aeterna" des Atheisten György Ligeti! In diesem Stück, dessen Darbietung das Triennale-Publikum zu Beifallsstürmen hinreißt, wird Licht durch hochpräzis gesungene Klangfarbenbänder gleichsam hörbar. Hohe Stimmeinsätze verflechten melodische Progressionen mit abweichenden Verläufen oder Tempi, brillant dargebotene Vierteltonglissandi bringen Ligetis Mikropolyphonie zum Leuchten und erzeugen eine Empfindung von verrutschender Statik und unheimlicher Substanzveränderung. Kein Wunder, dass Stanley Kubrick diese Musik in seinem Film "Odyssee im Weltraum" verwendete, um einen schicksalhaften Erkenntnissprung zu veranschaulichen. Die Kathedralenakustik der Dortmunder Industriekathedrale verleiht dieser Musik eine postchristlich erhabene Aura.
Eingerahmt wird dieser ungewöhnliche Kirchenmusikabend von dem leider nur selten aufgeführten Hauptwerk des englischen Renaissance-Komponisten Thomas Tallis (1505 bis 1585), "Spem in alium", eine Motette für acht fünfstimmige Chöre zu Versen aus dem alttestamentarischen Buch Judith. Tallis, der das Kunststück fertigbrachte, trotz der anglikanischen Kirchenreform am katholischen Glauben festzuhalten, lateinische Texte zu vertonen und Komponist der Royal Chapel zu bleiben, unternahm damit ein überwältigendes Raumklang-Experiment. Die in schwarze Kutten gehüllten Sänger intonieren die grazil körperlosen Melodieformeln, die in Spiralen durch die Stimmgruppen wandern, eingangs hinter der Tribüne wie ein mönchisches Exerzitium. Abschließend scheint es, nach weiteren Hymnen von Schnittke und Purcell, die Ordnung des Universums zu vergegenwärtigen. Die vibratofrei, flötenhaft instrumental geführten Stimmen, die einander reihum imitieren, antiphonisch die Bälle zuspielen, im Tutti erstrahlen, sich immer wieder kurz solistisch lösen, um wieder mit dem Ganzen eins zu werden, erzeugen einen transparent schillernden, elektrisierenden Klangozean. Auch diese Musik wurde durch einen Kinofilm populär, den Sado-Maso-Softporno "Fifty Shades of Grey". Tallis wäre darüber entsetzt gewesen. Das Argument, dass sich auch beim Sex kosmische Dinge abspielen, hätte ihn kaum beschwichtigt.
KERSTIN HOLM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das russische Gesangsensemble "Musica Aeterna" präsentiert bei der Ruhrtriennale postchristliche Sakralmusik
Der Leiter des russischen Gesangssolistenensembles "Musica Aeterna", Vitaly Polonsky, steckt voller Tatendrang. Ihm sei wichtig, erklärt der drahtig durchtrainierte Polonsky, dass sein Ausnahmechor, der bei der Eröffnung der Ruhrtriennale in Christoph Willibald Glucks "Alceste" mit seiner Sanges- wie Schauspielkunst brillierte und unlängst im heimatlichen Perm Philipp Hersants Choroper "Tristia" mit Texten von Ossip Mandelstam, Warlam Schalamow und französischen Gefängnisinsassen herausbrachte, zu dem wichtigen deutschen Festival auch christliche Sakralmusik beisteuert. Der politische Kurs in seiner Heimat und die Verfilzung der Russischen Orthodoxen Kirche mit dem Machtapparat machten ihn sehr unglücklich, bekennt der Musiker. Doch wenn er nach Europa komme, das er der christlichen Welt zurechne, ängstige ihn die Islamisierung dort, gesteht Polonsky und holt, zum Zeichen seines orthodoxen Glaubens, ein kleines Goldkreuz unter seinem T-Shirt hervor.
Der Russe legt Wert darauf, dass die geistlichen A-cappella-Werke, die an diesem Abend in der prächtigen Maschinenhalle der Dortmunder Zeche Zollern erklingen, unterschiedlichen Konfessionen zuzurechnen sind, im Fall von György Ligetis "Lux Aeterna" gar von einem Atheisten geschrieben wurden. Der von dem griechischen Stardirigenten Teodor Currentzis gegründete Chor "Musica Aeterna" und das gleichnamige Orchester nehmen sich in der nicht gerade wohlhabenden Uralstadt Perm, wo Currentzis als Opernchef auch das ambitionierte Diaghilev-Festival leitet, aus wie ein Raumschiff.
Die Musiker, die aus allen Teilen Russlands stammen, verdienen viel mehr als Permer Bürger. Gleichwohl ist der Publikumszuspruch groß, außer erfahrenen Kennern gibt es eine jüngere Generation von Musikbegeisterten; der Permer Geschäftsmann Alexander Fleginski hat für Currentzis gar eine Philharmonie eingerichtet. Nur die auf den russischen Isolationskurs eingeschworene Kulturbürokratie vermeidet jeden Kontakt zu dem international gefragten Theater, erfährt man vom Chorleiter, wie der Teufel das Weihwasser.
Dabei macht "Musica Aeterna" nicht zuletzt wichtige russische Werke im Westen bekannt, sagt Polonsky. Beispielsweise das Chorkonzert von Alfred Schnittke, das freilich erst kürzlich auch vom Chor des Bayerischen Rundfunks in Salzburg gesungen wurde. Mit diesem Stück versuchte der Sohn einer katholischen Agnostikerin und eines jüdischen Kommunisten in sowjetisch-atheistischer Zeit seine christlichen Wurzeln wiederzubeleben. Dem während der Perestrojka uraufgeführten Konzert liegt das "Buch der Klagen" des armenischen Mönchs und Mystikers Gregor von Narek (951 bis 1003) zugrunde, das die Qualen beim Kampf um den Glauben ausmisst.
In dessen zweitem Satz, den das "Musica Aeterna"-Ensemble in Dortmund intoniert, erklingt über ostinat beschwörendem Halleluja-Gesang das Bekenntnis dieses "Kenners der menschlichen Leidenschaften", seine Verse seien bis zum Rand erfüllt von schwarzer Trauer. Die Musik übersetzt das in seufzende, obsessiv in sich kreisende Sekundfiguren. Zerknirschung und Gotteslob gehören als zwei Seiten derselben Seelenarbeit zusammen, wird so vergegenwärtigt. Dabei scheut Schnittke keine illustrativen Effekte, wenn er etwa der "Sklaven der Sünde" oder "Täter und Opfer" im expressiv schreienden Fortissimo gedenken lässt. Der vierte Satz bittet Gott, das Werk durch seinen Segen zu vollenden und ihm Heilkraft zu verleihen. Wie hier Klangzeichen gesetzt werden - durch triumphale Konsonanzen bei den Worten "göttlicher Geist" oder "Lobpreis" - das empfiehlt Schnittke auch als Literaturmusiker, und die lange wiederholte Terzfigur der Schlussformel "Amen", die im Diminuendo in der Stille verschwindet, zugleich als Vater des religiösen russischen Minimalismus.
Welch ein Kontrast zu dem zwanzig Jahre früher entstandenen Meisterwerk "Lux Aeterna" des Atheisten György Ligeti! In diesem Stück, dessen Darbietung das Triennale-Publikum zu Beifallsstürmen hinreißt, wird Licht durch hochpräzis gesungene Klangfarbenbänder gleichsam hörbar. Hohe Stimmeinsätze verflechten melodische Progressionen mit abweichenden Verläufen oder Tempi, brillant dargebotene Vierteltonglissandi bringen Ligetis Mikropolyphonie zum Leuchten und erzeugen eine Empfindung von verrutschender Statik und unheimlicher Substanzveränderung. Kein Wunder, dass Stanley Kubrick diese Musik in seinem Film "Odyssee im Weltraum" verwendete, um einen schicksalhaften Erkenntnissprung zu veranschaulichen. Die Kathedralenakustik der Dortmunder Industriekathedrale verleiht dieser Musik eine postchristlich erhabene Aura.
Eingerahmt wird dieser ungewöhnliche Kirchenmusikabend von dem leider nur selten aufgeführten Hauptwerk des englischen Renaissance-Komponisten Thomas Tallis (1505 bis 1585), "Spem in alium", eine Motette für acht fünfstimmige Chöre zu Versen aus dem alttestamentarischen Buch Judith. Tallis, der das Kunststück fertigbrachte, trotz der anglikanischen Kirchenreform am katholischen Glauben festzuhalten, lateinische Texte zu vertonen und Komponist der Royal Chapel zu bleiben, unternahm damit ein überwältigendes Raumklang-Experiment. Die in schwarze Kutten gehüllten Sänger intonieren die grazil körperlosen Melodieformeln, die in Spiralen durch die Stimmgruppen wandern, eingangs hinter der Tribüne wie ein mönchisches Exerzitium. Abschließend scheint es, nach weiteren Hymnen von Schnittke und Purcell, die Ordnung des Universums zu vergegenwärtigen. Die vibratofrei, flötenhaft instrumental geführten Stimmen, die einander reihum imitieren, antiphonisch die Bälle zuspielen, im Tutti erstrahlen, sich immer wieder kurz solistisch lösen, um wieder mit dem Ganzen eins zu werden, erzeugen einen transparent schillernden, elektrisierenden Klangozean. Auch diese Musik wurde durch einen Kinofilm populär, den Sado-Maso-Softporno "Fifty Shades of Grey". Tallis wäre darüber entsetzt gewesen. Das Argument, dass sich auch beim Sex kosmische Dinge abspielen, hätte ihn kaum beschwichtigt.
KERSTIN HOLM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main