CD 1 | |||
1 | Brown Sugar | 00:04:07 | |
2 | Wild Horses (Acoustic Version) | 00:05:47 | |
3 | Can't You Hear Me Knocking (Alternate Version) | 00:03:24 | |
4 | Bitch (Extended Version) | 00:05:53 | |
5 | Dead Flowers (Alternate Version) | 00:04:18 | |
6 | Live With Me (Live At The Roundhouse / 1971) | 00:04:22 | |
7 | Stray Cat Blues (Live At The Roundhouse / 1971) | 00:03:48 | |
8 | Love In Vain (Live At The Roundhouse / 1971) | 00:06:42 | |
9 | Midnight Rambler (Live At The Roundhouse / 1971) | 00:11:27 | |
10 | Honky Tonk Women (Live At The Roundhouse / 1971) | 00:04:14 | |
CD 2 | |||
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Frankfurter Allgemeine ZeitungHörer, ehrt die Originale!
Ihre Spitzentöne zückt die Sopranistin Christiane Karg so entschieden wie High Heels für einen Tritt in den Hintern: "Va, scellerato!" Auf gut Deutsch: "Hau ab, Mistkerl!" Doch ist ihr Herz nicht aus Stein. Und so wimmert sie wenige Minuten später in Beethovens grandioser Konzertszene "Ah, perfido" op. 65 kleinlaut und süß: "Ach nein, haltet ein, ihr rächenden Götter!" Kargs viertes Soloalbum "Scene!" (Berlin Classics/edel) vereint sechs solcher Gesangsnummern von Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn und Felix Mendelssohn Bartholdy, in denen allesamt der Umstand seine musikalische Form findet, dass ein Mensch seine Form verliert. Faszinierend, wie Karg genau diesen Widerspruch mit ihrer wandlungsreichen, teils brillanten, teils seidenmatt schimmernden Stimme zu gestalten weiß. Jeder Affekt ist hier zugleich raffiniert auf Wirkung berechnet. Das Ensemble Arcangelo unter Jonathan Cohen begleitet sie dabei wach und sprungbereit. Die Soli am Hammerflügel und an der Violine sind mit Malcolm Martineau und Alina Pogostkina geradezu verschwenderisch durch Spitzenkräfte besetzt.
jbm.
*
Über die Veröffentlichungs-"Politik" von Schallplattenfirmen ließe sich einiges sagen; dass sie (auch) von der Substanz leben (müssen) und, ob's nun gerade passt oder nicht, immer mal wieder ihren Backkatalog herausholen und Meilensteine mit Outtakes und Live-Liedern aufpolieren, die am Ende doch niemand so richtig braucht - dazu zwingt sie manchmal wohl auch die wirtschaftliche Situation. Die Frage ist jetzt aber trotzdem, was Eric Clapton damals eigentlich in Muscle Shoals zu suchen hatte, als die Rolling Stones dort "Brown Sugar" einspielten - rockhistorisch sicherlich von Interesse, aber ein Rhythm&Blues-Kracher dieses Kalibers ist auf eine solche Leadgitarre überhaupt nicht angewiesen; ehrlich gesagt, sie stört sogar den einzigartigen Fluss dieses Liedes: Hörer, ehrt die Originale! Ansonsten ist die nun aufs Doppelte angeschwollene, sagen wir ruhig: historisch-kritische Ausgabe von "Sticky Fingers" (Polydor/Universal) aber eine feine Sache, weniger wegen der auch hier wieder unnötigen Studio-Outtakes, vielmehr wegen der druckvollen Livestücke. Eine Kleinigkeit aber: Der Reißverschluss ist gut gemeint, aber die Zunge am Zip ist ein Stilfehler - gab's damals so nicht.
edo.
*
"Start As We Mean To Go On" ist nicht nur ein Versprechen und ein klasse Song. Für Thea Gilmore war das vor zwei Jahren auch so etwas wie ein Durchbruch. Kein Wunder, dass die immer noch junge Sängerin - sie war achtzehn, als ihr erstes Album erschien - jetzt mit dem Album "Ghosts & Graffiti" (Fullfill/Alive) schon eine Art Rückschau auf ihr bisheriges Schaffen wagt. Für ein herkömmliches "Best of"-Album ist Gilmore aber zum Glück zu eigensinnig, und so eignet sich die Platte auch für den, der schon alle anderen von ihr im Regal hat. Neben neuen Bearbeitungen alter Songs mit den Waterboys hat sie vier neue Stücke im Gepäck. "My Voice" ist eine fast schon verzweifelte Standortbestimmung angesichts jüngster britischer Politik, zu der Duettpartner Billy Bragg wie die Faust aufs Auge passt. Das gilt auch für eine andere spektakuläre Kollaboration: Das angesichts von Obamas Wahlsieg 2008 verfasste, bislang unveröffentlichte "Inch By Inch" singt Gilmore zusammen mit Joan Baez.
roth
*
Kein Komponist dürfe gottlos denken, predigte Karlheinz Stockhausen einst seinen Schülern, und einer von ihnen, Wolfgang Rihm, der schon in seiner tiefkatholischen Kindheit in Chören sang, Orgel spielte und früh damit begann, Kirchenmusiken zu schreiben, beherzigt den Rat bis heute. Obgleich längst aus der Kirche ausgetreten, schreibt er immer wieder Chor- und Orchesterstücke zu sakralen Texten. 2009 komponierte er für das Hilliard Ensemble und das Arditti Quartett ein Stück, das Textfragmente der römisch-katholischen Missa de Profunctis verarbeitet. Vier Vokal- und vier Streicherstimmen schwimmen gemeinsam rückwärts durch Zeit und Raum. Man versteht zwar bloß einzelne Worte: "in terra" oder "perpetua"; doch werden sie sofort ergänzt von der Erinnerung. Jemand ist gestorben. Eine Totenmesse: "ET LUX". Die Streicher klagen, die Stimmen ächzen. Süß klingt das und bitter. Denn dass uns ein ewiges Licht leuchten soll, irgendwo da draußen, das sei, meinte Rihm, zugleich Trost und Beunruhigung. So beginnt die Musik wie ein Choral in Pfundnoten, löst sich auf in motettenhafte Beweglichkeit, die Stimmführung taucht ein in harmonische Raffinessen früher Mehrstimmigkeit, einige Farben erinnern an Haydns "Letzte Worte", tiefe Bartók-Pizzikati gliedern den fließenden Strom in Sequenzen oder Strophen. Alte Bekannte grüßen uns im Vorübergehen. Und doch geht uns das direkt an, greift diese Musik ins Heute, diese Dissonanzen sind ja inzwischen zu tröstlichen Freunden geworden. Die Erstaufnahme von "ET LUX" hat jetzt Paul van Nevel mit seinem Huelgas Ensemble und dem Minguet-Quartett besorgt (ECM/Universal), wobei die Vokalstimmen verdoppelt wurden: eine neue Version.
eeb
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ihre Spitzentöne zückt die Sopranistin Christiane Karg so entschieden wie High Heels für einen Tritt in den Hintern: "Va, scellerato!" Auf gut Deutsch: "Hau ab, Mistkerl!" Doch ist ihr Herz nicht aus Stein. Und so wimmert sie wenige Minuten später in Beethovens grandioser Konzertszene "Ah, perfido" op. 65 kleinlaut und süß: "Ach nein, haltet ein, ihr rächenden Götter!" Kargs viertes Soloalbum "Scene!" (Berlin Classics/edel) vereint sechs solcher Gesangsnummern von Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn und Felix Mendelssohn Bartholdy, in denen allesamt der Umstand seine musikalische Form findet, dass ein Mensch seine Form verliert. Faszinierend, wie Karg genau diesen Widerspruch mit ihrer wandlungsreichen, teils brillanten, teils seidenmatt schimmernden Stimme zu gestalten weiß. Jeder Affekt ist hier zugleich raffiniert auf Wirkung berechnet. Das Ensemble Arcangelo unter Jonathan Cohen begleitet sie dabei wach und sprungbereit. Die Soli am Hammerflügel und an der Violine sind mit Malcolm Martineau und Alina Pogostkina geradezu verschwenderisch durch Spitzenkräfte besetzt.
jbm.
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Über die Veröffentlichungs-"Politik" von Schallplattenfirmen ließe sich einiges sagen; dass sie (auch) von der Substanz leben (müssen) und, ob's nun gerade passt oder nicht, immer mal wieder ihren Backkatalog herausholen und Meilensteine mit Outtakes und Live-Liedern aufpolieren, die am Ende doch niemand so richtig braucht - dazu zwingt sie manchmal wohl auch die wirtschaftliche Situation. Die Frage ist jetzt aber trotzdem, was Eric Clapton damals eigentlich in Muscle Shoals zu suchen hatte, als die Rolling Stones dort "Brown Sugar" einspielten - rockhistorisch sicherlich von Interesse, aber ein Rhythm&Blues-Kracher dieses Kalibers ist auf eine solche Leadgitarre überhaupt nicht angewiesen; ehrlich gesagt, sie stört sogar den einzigartigen Fluss dieses Liedes: Hörer, ehrt die Originale! Ansonsten ist die nun aufs Doppelte angeschwollene, sagen wir ruhig: historisch-kritische Ausgabe von "Sticky Fingers" (Polydor/Universal) aber eine feine Sache, weniger wegen der auch hier wieder unnötigen Studio-Outtakes, vielmehr wegen der druckvollen Livestücke. Eine Kleinigkeit aber: Der Reißverschluss ist gut gemeint, aber die Zunge am Zip ist ein Stilfehler - gab's damals so nicht.
edo.
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"Start As We Mean To Go On" ist nicht nur ein Versprechen und ein klasse Song. Für Thea Gilmore war das vor zwei Jahren auch so etwas wie ein Durchbruch. Kein Wunder, dass die immer noch junge Sängerin - sie war achtzehn, als ihr erstes Album erschien - jetzt mit dem Album "Ghosts & Graffiti" (Fullfill/Alive) schon eine Art Rückschau auf ihr bisheriges Schaffen wagt. Für ein herkömmliches "Best of"-Album ist Gilmore aber zum Glück zu eigensinnig, und so eignet sich die Platte auch für den, der schon alle anderen von ihr im Regal hat. Neben neuen Bearbeitungen alter Songs mit den Waterboys hat sie vier neue Stücke im Gepäck. "My Voice" ist eine fast schon verzweifelte Standortbestimmung angesichts jüngster britischer Politik, zu der Duettpartner Billy Bragg wie die Faust aufs Auge passt. Das gilt auch für eine andere spektakuläre Kollaboration: Das angesichts von Obamas Wahlsieg 2008 verfasste, bislang unveröffentlichte "Inch By Inch" singt Gilmore zusammen mit Joan Baez.
roth
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Kein Komponist dürfe gottlos denken, predigte Karlheinz Stockhausen einst seinen Schülern, und einer von ihnen, Wolfgang Rihm, der schon in seiner tiefkatholischen Kindheit in Chören sang, Orgel spielte und früh damit begann, Kirchenmusiken zu schreiben, beherzigt den Rat bis heute. Obgleich längst aus der Kirche ausgetreten, schreibt er immer wieder Chor- und Orchesterstücke zu sakralen Texten. 2009 komponierte er für das Hilliard Ensemble und das Arditti Quartett ein Stück, das Textfragmente der römisch-katholischen Missa de Profunctis verarbeitet. Vier Vokal- und vier Streicherstimmen schwimmen gemeinsam rückwärts durch Zeit und Raum. Man versteht zwar bloß einzelne Worte: "in terra" oder "perpetua"; doch werden sie sofort ergänzt von der Erinnerung. Jemand ist gestorben. Eine Totenmesse: "ET LUX". Die Streicher klagen, die Stimmen ächzen. Süß klingt das und bitter. Denn dass uns ein ewiges Licht leuchten soll, irgendwo da draußen, das sei, meinte Rihm, zugleich Trost und Beunruhigung. So beginnt die Musik wie ein Choral in Pfundnoten, löst sich auf in motettenhafte Beweglichkeit, die Stimmführung taucht ein in harmonische Raffinessen früher Mehrstimmigkeit, einige Farben erinnern an Haydns "Letzte Worte", tiefe Bartók-Pizzikati gliedern den fließenden Strom in Sequenzen oder Strophen. Alte Bekannte grüßen uns im Vorübergehen. Und doch geht uns das direkt an, greift diese Musik ins Heute, diese Dissonanzen sind ja inzwischen zu tröstlichen Freunden geworden. Die Erstaufnahme von "ET LUX" hat jetzt Paul van Nevel mit seinem Huelgas Ensemble und dem Minguet-Quartett besorgt (ECM/Universal), wobei die Vokalstimmen verdoppelt wurden: eine neue Version.
eeb
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