Produktdetails
Trackliste
CD
1Mi scusi
2Come up and see me
3Axolotl
4Buntmetalldiebe
5Still smiling
6Nocturnalie
7Alone with the moon
8What if...?
9Konjunktiv II
10Nur zur Erinnerung
11A quiet life
12Defenestrazioni
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Scusi wegen des deutschen Akzents
In der Muttermilch fehlen Endorphine: Auf Musikreise mit Blixa Bargeld und Teho Teardo

Für Leute, die jetzt in ihren Italien-Urlaub aufbrechen, kommt diese auf Italienisch, Deutsch und Englisch gesungene Platte besonders gelegen. Gleich das Eröffnungsstück "Mi Scusi" lässt sich an Stränden und Hotelbars prima zitieren: "Mi scusi la lingua, la parlata / Scusi il mio italiano / È ancora giovani e inesperto / È che va cosi, si perde un po' sperduto / Sul serio: / L'accento, che non se ne va." Aus dem Mund von Blixa Bargeld, der als schroff und divenhaft gilt, wirkt diese Bitte um Entschuldigung für seinen unverwüstlich deutschen Akzent und mangelnde Sprachkenntnisse regelrecht niedlich.

Im weiteren Verlauf des Albums "Still Smiling" berichtet der reiseerfahrene Sänger von allerhand Umständen und Fährnissen des Unterwegsseins. Er zählt empfangbare italienische Fernsehsender auf, warnt vor Kriminalität ("Die Junkies steigen über die Dächer in die Häuser ein, / kleine Kids, die durch kleine Fenster passen") und schildert auch die tristen Routinen des globalen Künstlerlebens: "Taxi Flugzeug Taxi / Hotel / Die Minibar ist traurig bis albern / Schokoriegel, schlechter Wein / Room Service oder Masturbation / Nichts eröffnet Perspektiven."

Das Reiseführen ist eine noch recht junge Facette von Blixa Bargelds weitgespanntem Schaffen. Der Kopf und Sänger der Berliner Gruppe Einstürzende Neubauten hat mit den Mitteln von Geräuschkunst und expressionistischer Lyrik neuartige Lärmpopmusik gemacht, er war im wichtigsten Nebenjob Teufelsgitarrist bei Nick Cave and the Bad Seeds und tourt seit den achtziger Jahren als Legende der Avantgardekultur um die Welt. Seine Wohnsitze sind nach letztem Informationsstand: Peking und San Francisco. Das künstlerische Credo der produktiven Zerstörung und Selbstzerstörung wurde ihm irgendwann zu aufreibend und zu unproduktiv; als Gourmet und Gourmand verlegte Bargeld seinen Interessenschwerpunkt von Drogen auf gehobene Küche. Daraus resultierte vor wenigen Jahren das literarisch-kulinarische Tourneetagebuch "Europa kreuzweise". Als dessen Fortsetzung in Form vertonter Reisenotizen lässt sich "Still Smiling" bezeichnen.

Das Album ist in Zusammenarbeit mit dem italienischen Filmkomponisten Teho Teardo in Rom und Berlin entstanden. Im Instrumentarium dominieren Gitarren und klassische Streicher. Deren Saiten werden zwar bisweilen mehr geschlissen als gestrichen, insgesamt jedoch haben die zwölf Stücke einen harmonisch fließenden, beinahe chansonhaften Charakter. Blixa Bargeld singt meist in entspannt sonorer Tonlage, seine berühmte kehlige Vokalartistik, die Nick Cave einmal mit dem Schrei einer gewürgten Katze verglichen hat, kommt nur dezent mephistophelisch zum Einsatz. In den Texten geht es - ungewöhnlich ungekünstelt und persönlich - um ihn selbst.

Lakonische Verse erzählen über fehlendes Endorphin in der Muttermilch, den Überdruss an Partys mit "Leuten, die ich gar nicht kennen will", den Ennui ewiggleicher Interviewfragen. Midlife-Crisis-Stimmung liegt in der Luft, aber auch heitere Selbstakzeptanz: "Ich bin ein lächelndes Axolotl / Zu nichts prädestiniert / Die Welt, mein Territorium / Ist so für mich kreiert."

Die Grenzen des Sagbaren und der Zusammenhang von Sprache, Weltanschauung und Identität waren für Bargeld immer wichtige Themen. Als Reisender sieht er sich mit ihnen besonders konfrontiert: "Wer bin ich in einer anderen Sprache? / Kommen die Metaphern mit mir mit / Kann ich in einer anderen Sprache küssen? Tenere a freno la lingua / Habe ich weiche Knie?"

Im schönsten und inbrünstigsten Stück "What if" wird die Übersetzungsproblematik mit grimmigem Humor in die Gedankenwelt islamischer Fundamentalisten übertragen: "What if in paradise there are no huris waiting? / What if but all you get is wine, beautiful wine? / You don't need to wear that belt / You don't need to learn to fly / It's all just a mistake, a mistake in the translation."

Weitere Ausflüge führen in eine rohstoffarme Zukunft als Buntmetalldieb und in "die tobende warme Ordnung" erdgeschichtlicher Frühzeit. Ein Sommerhit ist "Still Smiling" nicht gerade, die Atmosphäre wirkt wie die Coverfotos eher herbstlich. Aber immerhin tragen die beiden Musiker darauf neckische Harlekinhüte. Im Vergleich zu Blixa Bargelds apokalyptischem Frühwerk mit Titeln wie "Tanzen für den Untergang" zelebrieren sie jetzt fast schon Dolce Vita.

FELIX JOHANNES ENZIAN

Teho Teardo & Blixa Bargeld: Still Smiling

Specula Records 8016670103806 (Rough Trade)

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