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Stitch Of The World - Tift Merritt
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Produktdetails
Trackliste
CD
1Dusty old man00:03:47
2Heartache is an uphill climb00:03:14
3My boat00:04:13
4Love soldiers on00:02:59
5Stitch of the world00:03:54
6Icarus00:03:51
7Proclamation bones00:03:16
8Something came over me00:03:25
9Eastern light00:04:34
10Wait for me00:04:32
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2017

Auf dem Speiseplan steht Egoismus

Tift Merritt hat das von ihr gar nicht gegebene Versprechen, so etwas wie die Emmylou Harris unserer Zeit zu werden, alles in allem gehalten. Ihre ersten beiden, hochdekorierten und von Ethan Johns beziehungsweise von George Drakoulias meisterlich produzierten Platten (2002, 2004) hatten die Latte für alles Folgende allerdings auch recht hoch gelegt: Fast schneller, als sich die Musikindustrie das wünscht, war sie ein Star des Country-Folk. Danach erfuhr ihr anmutiger Roots-Traditionalismus erst einmal eine Schwächung; er klang weniger intensiv, zu sehr nach Mauerblümchen. Doch längst hat sich die zweiundvierzigjährige Texanerin wieder gefangen, das Dreifachalbum "Traveling Alone" übertraf die zuletzt gedämpften Erwartungen genauso wie jetzt "Stitch Of The World" (Yep Roc Records), ein gutes Dutzend makellos geschriebener und interpretierter Songs, mit denen sie zwischen dem zaghaft, ja manchmal schon bang Innigen und dem dosiert Krachledernen wieder gekonnt changiert. Man weiß nicht, was einem lieber ist: wenn sie ihre Gitarreros mal so richtig von der Leine lässt ("Proclamation Bones") oder ganz auf ihre delikate Intonation vertraut, die in den Akustikballaden so unvergleichlich zur Geltung kommt. "Something Came Over Me" und vor allem "Wait For Me" sind eigentlich nur noch mit ihrem wohl besten Lied "When I Cross Over" vom Debüt zu vergleichen: Crescendo-Nummern, welche die Empfindsamkeit dieser allem Ordinären so strikt abholden Sängerin fast unmerklich sanft in Leidenschaft überführen.

edo.

*

Es gab Zeiten, in denen sich Diven wie Adelina Patti nach Aufführungen mit "Home, sweet home" von ihrem Publikum verabschiedeten. Der junge Bariton Benjamin Appl hat das honigsüße Schmankerl von Henry Rowley Bishop für ein Album unter dem Titel "Heimat" (Sony) gewählt. Musik der Seele, ja, aber eine Musik, die sich, wie Marcel Proust sagte, anfüllt mit den Träumen und Tränen der Menschen. Appl leitet die Anthologie ein mit einem Prolog. Es folgen Themen wie Wurzeln, Räume, Menschen, Unterwegs, Sehnsucht, Grenzenlos und Epilog. Es geht ihm um die Fragen nach Identität, Fremdsein und Heimweh, nach Vorurteilen und Ängsten. Dabei entgeht er der Gefahr, lyrische Lieder wie Schuberts "Seligkeit" oder Brahms' "Wiegenlied" in einen gefühligen oder gar in einen tümlichen Ton zu tauchen. Dass Heimat auch in der Fremde entstehen kann, zeigt er mit einer Auswahl englischer Lieder: darunter Francis Poulencs "Hyde Park" und, betörend geschmachtet, Benjamin Brittens "Greensleevs". Gesanglich nicht immer ideal ist der Kontrast zwischen der weich changierenden Kopfstimme und dem Forte. Ein eindringliches Recital gleichwohl, auch dank des exzellenten Klavier-Partners James Baillieu.

JK

*

Matt Vasquez wird doch nicht das Interesse an seiner Band Delta Spirit verloren haben?! Zwei Soloplatten innerhalb eines guten Jahres sind jedenfalls dazu geeignet, die Bandauflösungsgerüchteküche anzuheizen. Vielleicht geht es ihm ja wie Tom Petty, der seine Heartbreakers auch immer mal Heartbreakers sein lässt, um mit irgendeinem Jeff Lynne oder Rick Rubin etwas zu machen, das erheblich gefälliger daherkommt. Doch die stilistische Wandlung hin zu mehr Elektronik und gleichzeitig Geschmeidigkeit hatte sich auf den beiden jüngsten Band-Alben schon angekündigt. Matthew Logan Vasquez, wie er sich inzwischen amtlich nennt, als müssten die zusätzlichen Buchstaben die personellen Lücken füllen, erweist sich mit seiner zweiten Platte, die nicht ganz so zwingend ist wie sein Debüt, wieder als Melodramatiker ohne Scheu vor instrumentellem Schwulst. Wer seine melodiös zwingenden Lieder so herzzerreißend intoniert, ja manchmal sogar herausbrüllt, der darf im Titel des Albums ("Does What He Wants") und auf dem Label (Dine Alone Records) ruhig den Egoisten geben.

edo.

*

Hart sind die Fronten, an denen Angst und Zorn zusammenstoßen in der Fantasie c-Moll KV 475 von Wolfgang Amadeus Mozart. Jähe dynamische Wechsel schreibt der Komponist vor; sie legen ein eruptives Klavierspiel nahe, bei dem man den guten Ton vergessen darf. Piotr Anderszewski aber spielt dieses Ausnahmestück auf seinem Album "Fantaisies" (Warner Classics) scheu und verstört. Alles Explosive ist erstickt, als würde sich die Musik mit ihrem Interpreten am liebsten vor der Welt verkriechen. Ein defensiver Zug, der bei diesem Stück stark befremdet. Zu Robert Schumanns Fantasie C-Dur op. 17, die Anderszewski der Fantasie Mozarts gegenüberstellt, passt dieser Rückzug ins Innere aber ausgezeichnet. Mittelstimmen überwuchern die Hauptlinien, die Seele taucht ab in eine Welt, die sich dem ordnenden Zugriff entzieht. Es liegt viel Empathie mit Schumann in diesem Spiel. Sie berührt angenehm. Auf einer beigefügten DVD kann man Anderszewski als Filmemacher erleben: "Ich heiße Warschau" ist ein Gedicht in bewegten Bildern über seine Heimatstadt, das historische Wunden pflegt, aber auch Spiegel einer schönen Seele ist, welche die eigene Empfindsamkeit kultiviert.

jbm.

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