Produktdetails
  • Herstellerkennzeichnung
  • Beggars UK Ltd.
  • 375 Media GmbH
  • Schachthofstraße 36a
  • 21079 Hamburg
  • https://375media.com/
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2012

Die dunkle Seite der Sonne

Cat Power hat einen neuen Stil in die amerikanische Musik eingeführt. Nach vier Jahren bringt sie jetzt ein neues Album: "Sun" ist anders als alles, was man von ihr kennt.

Von Niklas Maak

Vor ein paar Jahren tauchte das Gesicht von Cat Power plötzlich in den Straßen von Manhattan auf: groß wie ein Haus, flackernd im Halblicht eines dunkelgrauen New Yorker Februarabends. Damals spielte die Sängerin eine kurze Rolle in einem kurzen Film, den der Künstler Doug Aitken vor dem Museum of Modern Art in die Nacht projizierte, während weiter südlich, in den Cafés und Shops der Bowery, überall ihre Stimme zu hören war. Seit Jahren schon spielten sie hier geradezu manisch die Alben von Cat Power, im Wechsel mit alten Songs von Serge Gainsbourg. Wo an einem Lebensgefühl der nuller Jahre gebastelt wurde, war dies der Soundtrack dazu.

Cat Power, geboren 1972 in Atlanta als Charlyn Marie "Chan" Marshall, ist eine einmalige Erscheinung in der amerikanischen Musik. Als in der matten Hitze des Sommers 1999 in New York in jeder Bar ihre Version des Stones-Hits "Satisfaction" lief, während nachts Tanklastwagen durch die leeren Straßen von Manhattan fuhren und Gift versprühten, um die Mücken zu töten, die das West-Nil-Virus übertrugen, spürte man, dass mit Cat Powers Musik etwas Neues begann, so, wie man ein paar Jahre früher gemerkt hatte, dass Kurt Cobain in Seattle etwas grundlegend Neues erfand, nur, dass dieses Neue in Cat Powers Fall sehr viel leiser war. Wenn Cat Power auftrat, klang es oft so, als hätte sie eben gerade auf der Bühne einen neuen Musikstil erfunden: Das war so, als sie 1996 mit ihren ersten Alben und dem surreal glitzernden Song "Nude as the News" auftauchte, und das war so, als sie im Oktober 1998 vor der grüngestrichenen Wand eines Clubs in Berkeley, dem Starry Plough, stand und "Silent Machine" spielte, einen Song, der jetzt, vierzehn Jahre später, auf dem neuen Album zu finden ist. Und sosehr Musikjournalisten versuchten, ihre Songs mit irgendetwas zu vergleichen (Countryfolk? Independent/Alternative? PJ-Harvey? Sonic-Youth?), so sehr bleibt das, was sie macht, etwas Eigenes zwischen minimalistischem Folk, Soul, Independent-Rock und Südstaatenblues.

Lange wurde Cat Power mit ihrer "Satisfaction"-Version identifiziert: Sie hatte dem Song, den man nicht mehr hören konnte, alles Eingängige genommen, die Anfangssequenz, den Refrain, den Beat. Übrig blieb eine intensive südliche Mattheit, eine große schwüle Hitze, der gemurmelte, gesummte, geflüsterte Text, begleitet von einer minimalistisch eingesetzten Gitarre - und plötzlich wirkte der Song wie gerade erst erfunden: rätselhaft, intim, verzaubert. Es folgten erste Alben, betrunkene, prekäre Auftritte, eigenartige, herrliche Tänze auf der Bühne und die Vorführung eines Eigensinns, der verhinderte, dass Chan Marshall die Massen in die Stadien brachte. Sie blieb, auf den Alben "You Are Free" und "The Greatest", im tiefen Süden der Musik.

Unter den gegenwärtigen Sängerinnen ist Chan Marshall vielleicht die amerikanischste, wenn man unter amerikanisch einen schwer bestimmbaren Vielklang versteht: Ihre Stimme bringt, mal gelassen, mal schläfrig erhitzt, mal sich überschlagend wach, alle Tonlagen der amerikanischen Musik von Soul über Blues bis Country und Folk zusammen; einige wollen sogar Spurenelemente der Stimmlage alter Indianerlieder, Tonlagen der Gesänge der Native Americans herausgehört haben.

Was macht Chan Marshalls Stimme neben dieser erstaunlichen Bandbreite von Tonlagen und Unterströmungen so besonders? 2008 veröffentlichte sie ein Album mit Coverversion, die das Öffentlichste der Popkultur, den Hit, in etwas idiosynkratisch Eigenes, Intimes verwandelten. Schon Chan Marshalls Version von "New York, New York" war eine Immersion: Das Lied handelte nicht mehr von Frank Sinatras Amerika, nicht mehr von Hochhausglitzer und Bourbon im Chromkühler; es hatte das metallische große Orchester mit dem Wodka Martini auf dem Notenständer verloren und auch die Stimme mit den Haifischflossen. Es war ihr New York, das man dort hörte, das New York nach der Finanzkrise, ein stilles, dunkleres, einsameres New York, von dem das Lied jetzt handelte. Diese Form der Aneignung, der Griff zur Gitarre, das Nachspielen der Harmomien, das Begreifen des Rhythmus, das Tastende Zum-Eigenen-Werden des bekannten Hits, macht ihre Musik so außergewöhnlich; ihre Coverversionen sind Reverse Pop, die Einmaligwerdung des Massenprodukts Musik, die Entfernung von allem Eingängigen aus den Songs.

Manche finden Cat Powers Musik melancholisch. Das ist sie auch, aber auf eine präzisere Weise als die lauwarme Mattheit vieler anderer Singer-Songwriter-Songs, deren Lieder so zäh wie das Wachs an einer herunterbrennenden Kerze vor sich hin fließen. Der leichte Hall, das hoffnungsvolle, tiefe Moll in Chan Marshalls Musik haben nichts mit der verdrucksten Melancholie der neuen Milden der Popmusik und auch nicht mit dem kraftlos ausgewaideten, fahrstuhlfähig gemachten Rock'n'Roll französischer Bands zu tun. Es ist keine Musik für Gestalten, die mit dünnen Ärmchen bei mittelmäßigen Halbhingehauchtheiten ihre neblige Sommermelancholie pflegen, ganz im Gegenteil: Cat Power hat Klarheit und Schärfe - und einen lakonischen Humor: "I met a doctor he wants to be a dance", heißt es in "Real Life", "I met a mother she want to be alone . . . I met a dog, he just wanna bone".

Gemessen an den alten Alben, ist "Sun" allerdings geradezu verwirrend unmelancholisch - eher an der Sonne entlangschwebend als am Mond, der in so großartigen alten Songs wie "The Moon" die Nachtseiten des Lebens beleuchtete. Jetzt heißt es in dem sanft plätschernden Song "Manhattan": "Don't look at the moon tonight", und man findet viel Dur statt Moll und Dance satt Blues in diesem Album. Einer der Helfer dabei war der Franzose Philippe Zdar, der die letzte Platte der französischen Band Phoenix produziert hat und jetzt die Songs von Cat Power mit selbsttanzenden Elektronen und intelligenten Flügelglättern verkabelt hat und ganz neue Leitungen in die Musikgeschichte legt. In "Always on My Own" klingen plötzlich Spurenelemente von Trip-Hop durch; die euphorisch hochjodelnde Gitarre in der neuesten Version des alten Cat-Power-Songs "Silent Machine" hat einen ordentlichen Schluck 1978er Ron Wood intus, und wenn man diese Version auf "Sun" vergleicht mit der auf Youtube gezeigten von 1998, dann sieht man den Wandel vom schrammelig intimen Independent-Auftritt zu einer Form von glitzerndem Industrial Techno.

Das titelgebende "The Sun" ist wie eine schnelle Autobahnfahrt ins Gegenlicht, und auch an den durchgedrehten Latin-Piano-Loop in "Ruin" muss man sich erst mal gewöhnen. Es könnte dabei der größte kommerzielle Hit von Cat Power werden, obwohl das Lied eher zufällig auf das Album kam. "Das war eigentlich ein Witz", sagt Chan Marshall, als wir sie trafen, "ich war damals mit ,You Are Free' auf Tour und hatte meine Patentochter mit, die heute sechzehn ist. Im Auto sangen wir einfach so: ,What are we doin'? We're sittin' on a ruin!' Einfach so aus Spaß. Und daraus wurde dieser Song. Alle, die damals mit im Auto waren, konnten nicht glauben, dass ich das wirklich aufs Album genommen habe."

Einigen Fans wird dieses neue Album nicht dunkel genug sein, zu glatt, zu produziert. Aber das Dunkel ist nicht fort. "Cherokee" handelt vom Schmerz einer großen Liebe und natürlich von Amerika. Chan Marshalls Vorfahren waren Cherokee-Indianer. "Meine Eltern haben mir gesagt, dass ich Cherokee-Blut in mir trage. Aber es wurde nicht viel darüber geredet. Es gibt auf beiden Seiten in Amerika große Scham bei diesem Thema. Niemand hat dieses Erbe ernst genommen. Für mich ist dieser Geist sehr präsent. Es ist in meinem Blut, es ist die nächste Vergangenheit."

Das sonnig Gelassene von "Sun" ist also kein platter Optimismus; man hat eher das Gefühl, dass die Figuren im Gegenlicht dieser Sonne noch dunkler aussehen als sonst. "There's a crack in everything; that's how the light gets in", sang Leonard Cohen einmal, und diese Weisheit gilt auch für dieses Album.

Cat Power,

Sun

Matador Records 773 (Indigo)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr