Produktdetails
- Anzahl: 2 Vinyls
- Erscheinungstermin: 16. April 2010
- Hersteller: ROUGH TRADE / City Slang,
- EAN: 4027795500559
- Artikelnr.: 28082457
- Herstellerkennzeichnung
- City Slang GmbH & Co KG
- Urbanstr. 70a
- 10967 Berlin
- info@cityslang.com
LP | |||
1 | Odessa | 00:05:16 | |
2 | Sun | 00:05:45 | |
3 | Kaili | 00:04:42 | |
4 | Found Out | 00:03:19 | |
5 | Bowls | 00:06:22 | |
6 | Leave House | 00:05:12 | |
7 | Hannibal | 00:06:16 | |
8 | Lalibela | 00:02:26 | |
9 | Jamelia | 00:03:59 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung38. Mit der Musik muss man rechnen
Das erste Lied, das ich von der Band Caribou gehört habe, war "Odessa". Es lief sehr laut auf einer Party, alle sprangen auf und tanzten wie verrückt unter einer kalten Diskokugel. Ich fand das Stück merkwürdig, nicht nur weil der Text ausgesprochen düster war, auch die Musik selbst hatte etwas Schizophrenes. Da gab es einen Gesang, unterkühlt und distanziert, und dann kamen auf einmal blubbernde Flöten und Synthesizer hoch, als verlöre der Komponist die Kontrolle über das Stück. Das alles hallte vor einer tiefen Schwärze, die Echos wurden in eine gruselige Stille hineingeworfen, wie elektronische Musik das ja haben kann, weil sie in simulierten Räumen schwingt. "Odessa" klang wie der Widerstreit zwischen zwei Prinzipien, einem von kühler Ordnung und einem wuchernden, organischen, das an die Oberfläche will. Tanzen musste ich trotzdem, und am Tag darauf kaufte ich mir "Swim", das jüngste Album von Caribou.
Ich hörte die Platte auf einer langen Zugfahrt und wurde darüber ganz aufgeregt. Ich habe dieses Jahr keine bessere elektronische Musik gehört, und ich habe keine bessere Band entdeckt dieses Jahr als Caribou, die seit zehn Jahren Musik machen und eine tolle Platte nach der anderen herausgebracht haben, wovon ich bis zu "Swim" nichts mitgekriegt hatte.
Caribou ist in Wirklichkeit nur ein einziger Mann, der bei Auftritten von wechselnden Musikern begleitet wird. Der Mann heißt Daniel Snaith, ist gebürtiger Kanadier, lebt aber schon lange in London. Snaith hat zwei Leidenschaften im Leben: die Musik und die Mathematik. Er ist in reiner Mathematik promoviert worden, die Arbeit heißt "Overconvergent Siegel Modular Symbols", man kann sie sich im Internet ansehen - was nun allerdings nicht das Gleiche ist, wie in diesem Haufen kryptischer Zeichen irgendeine Bedeutung zu erkennen. Man hört ja immer wieder, dass zwischen Mathematik und Musik enge Verbindungen bestehen, für Snaith aber sind es zwei völlig disparate Welten, die sich nur darin berühren, dass sie Kreativität erfordern und ihm die liebsten Spielzeuge sind.
Snaith sagt, er sei in Kanada in einem Dorf aufgewachsen, in dem lauter geläuterte Hippies ihre Kinder zu guten Bürgern der Gesellschaft aufzogen. Es gab überall Musik, aber die Musik schwebte gewissermaßen ohne Verbindung zu den Kulturen, aus denen sie gewachsen war, in dieses Dorf hinein, so dass er mit einem eklektischen Mix aus Klängen und Stilen aufwuchs, für die er keinen Namen hatte, die einfach Musik waren.
So klingt auch keine Platte von Caribou wie die andere. Nerdmäßig macht Snaith alles selbst zu Hause, allein sitzt er vor seinem Computer und kann sich ein Jahr lang nur mit den Reglern und Rhythmen befassen, bevor er sie in einer Platte zusammengießt, um sich dann wieder mit Mathematik zu beschäftigen. Seine ersten Experimente waren elektronische Stücke ohne Gesang, auf den Alben danach kam seine Stimme dazu und mit ihnen auch zunehmend eine psychedelische Note, so dass die letzte Platte vor "Swim", "Andorra", nach bekifftem Sonnenbrandpop aus Kalifornien klang.
"Swim" vereint das Psychedelische und das Elektronische. Es ist irgendwo ein düsteres, kaltes Album, auf dem die eisige Ordnung dann aber immer wieder durchbrochen wird von aufplatzenden Synthesizern, von Glocken und Bläsern, die sich durch die vorgegebenen Strukturen drängen, als schälte sich die Seele aus dem Skelett. Es gibt wunderbare Popstücke wie "Odessa" oder "Leave House", die eher von den Gesangsmelodien getragen werden. Interessanter sind allerdings die rein elektronischen Nummern wie "Sun" oder das phantastische "Bowls", die wie die sorgfältige Extrapolation einer Ursprungsidee wirken, bei der dann langsam die Ordnung verlorengeht. Und damit sind sie dann doch wieder so etwas wie vertonte Mathematik, wie eine gegebene Ordnung, durch die der Geist dringt, um ihr eine neue Form zu geben.
Alard von Kittlitz
Caribou: "Swim" (City Slang)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das erste Lied, das ich von der Band Caribou gehört habe, war "Odessa". Es lief sehr laut auf einer Party, alle sprangen auf und tanzten wie verrückt unter einer kalten Diskokugel. Ich fand das Stück merkwürdig, nicht nur weil der Text ausgesprochen düster war, auch die Musik selbst hatte etwas Schizophrenes. Da gab es einen Gesang, unterkühlt und distanziert, und dann kamen auf einmal blubbernde Flöten und Synthesizer hoch, als verlöre der Komponist die Kontrolle über das Stück. Das alles hallte vor einer tiefen Schwärze, die Echos wurden in eine gruselige Stille hineingeworfen, wie elektronische Musik das ja haben kann, weil sie in simulierten Räumen schwingt. "Odessa" klang wie der Widerstreit zwischen zwei Prinzipien, einem von kühler Ordnung und einem wuchernden, organischen, das an die Oberfläche will. Tanzen musste ich trotzdem, und am Tag darauf kaufte ich mir "Swim", das jüngste Album von Caribou.
Ich hörte die Platte auf einer langen Zugfahrt und wurde darüber ganz aufgeregt. Ich habe dieses Jahr keine bessere elektronische Musik gehört, und ich habe keine bessere Band entdeckt dieses Jahr als Caribou, die seit zehn Jahren Musik machen und eine tolle Platte nach der anderen herausgebracht haben, wovon ich bis zu "Swim" nichts mitgekriegt hatte.
Caribou ist in Wirklichkeit nur ein einziger Mann, der bei Auftritten von wechselnden Musikern begleitet wird. Der Mann heißt Daniel Snaith, ist gebürtiger Kanadier, lebt aber schon lange in London. Snaith hat zwei Leidenschaften im Leben: die Musik und die Mathematik. Er ist in reiner Mathematik promoviert worden, die Arbeit heißt "Overconvergent Siegel Modular Symbols", man kann sie sich im Internet ansehen - was nun allerdings nicht das Gleiche ist, wie in diesem Haufen kryptischer Zeichen irgendeine Bedeutung zu erkennen. Man hört ja immer wieder, dass zwischen Mathematik und Musik enge Verbindungen bestehen, für Snaith aber sind es zwei völlig disparate Welten, die sich nur darin berühren, dass sie Kreativität erfordern und ihm die liebsten Spielzeuge sind.
Snaith sagt, er sei in Kanada in einem Dorf aufgewachsen, in dem lauter geläuterte Hippies ihre Kinder zu guten Bürgern der Gesellschaft aufzogen. Es gab überall Musik, aber die Musik schwebte gewissermaßen ohne Verbindung zu den Kulturen, aus denen sie gewachsen war, in dieses Dorf hinein, so dass er mit einem eklektischen Mix aus Klängen und Stilen aufwuchs, für die er keinen Namen hatte, die einfach Musik waren.
So klingt auch keine Platte von Caribou wie die andere. Nerdmäßig macht Snaith alles selbst zu Hause, allein sitzt er vor seinem Computer und kann sich ein Jahr lang nur mit den Reglern und Rhythmen befassen, bevor er sie in einer Platte zusammengießt, um sich dann wieder mit Mathematik zu beschäftigen. Seine ersten Experimente waren elektronische Stücke ohne Gesang, auf den Alben danach kam seine Stimme dazu und mit ihnen auch zunehmend eine psychedelische Note, so dass die letzte Platte vor "Swim", "Andorra", nach bekifftem Sonnenbrandpop aus Kalifornien klang.
"Swim" vereint das Psychedelische und das Elektronische. Es ist irgendwo ein düsteres, kaltes Album, auf dem die eisige Ordnung dann aber immer wieder durchbrochen wird von aufplatzenden Synthesizern, von Glocken und Bläsern, die sich durch die vorgegebenen Strukturen drängen, als schälte sich die Seele aus dem Skelett. Es gibt wunderbare Popstücke wie "Odessa" oder "Leave House", die eher von den Gesangsmelodien getragen werden. Interessanter sind allerdings die rein elektronischen Nummern wie "Sun" oder das phantastische "Bowls", die wie die sorgfältige Extrapolation einer Ursprungsidee wirken, bei der dann langsam die Ordnung verlorengeht. Und damit sind sie dann doch wieder so etwas wie vertonte Mathematik, wie eine gegebene Ordnung, durch die der Geist dringt, um ihr eine neue Form zu geben.
Alard von Kittlitz
Caribou: "Swim" (City Slang)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main