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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Gut, daß Berman wieder da ist

Der richtige Mann, um die Geschichte hinter dieser Platte zu verfilmen, wäre Wes Anderson, Regisseur der Off-Beat-Meisterwerke "The Royal Tennenbaums" und "Die Tiefseetaucher". David Berman (der Mann hinter dem Projekt Silver Jews) wäre exakt der richtige Protagonist für ein Anderson-Doku-Picture über einen mehr als kauzigen Musiker im Kampf gegen Depressionen, Drogen und Feuersbrünste. 1994, zur Hoch-Zeit des amerikanischen Indierock, erschien das erste Silver-Jews-Album "Starlite Walker". Mit von der Partie war Steven Malkmus, damals Sänger der großen Band Pavement, ein Antiposterboy des Indierock, was der Platte zu einiger Aufmerksamkeit verhalf. Doch schon "Starlite Walker" machte klar: Die Silver Jews waren die Show des jüdischen Schriftstellers David Berman. Ein dichtender Schrat, ein Meister der lakonischen Pose, der sich bis heute weigert, sein Projekt als Band zu begreifen und auf Tournee zu schicken.

Es folgten weitere Alben, die Bermans Mischung aus verstolperter Americana und trocken-humoriger Beat-Lyrik zunehmend auf den Punkt brachten. Oder: vom Punkt weg, je nachdem. Die Texte blieben seltsam und geheimnisvoll. Zwischen den Absurditäten blitzten immer wieder Aphorismen auf, die eine zugrundeliegende Melancholie nicht verbergen konnten, wie "They make it so you can't shake hands when they make your hands shake" (aus "Random Rules", vom besten Silver-Jews-Album "American Water"). Berman gelang auf seinen Platten etwas äußerst Seltenes: Verzweiflung und Komik darzustellen mit Gitarren. Man schüttelte den Kopf darüber, im nächsten Moment war man tief bewegt - es war gut, ihn zu haben.

Seit seinem vor vier Jahren erschienenen Album "Bright Flight" war es jedoch ruhig um Berman geworden. Gerüchte machten die Runde, er sei verprügelt worden, und befreundete Musiker spielten Benefiz-Gigs, um seine Krankenhauskosten zu zahlen. Ansonsten: Funkstille. Man war besorgt, und die Sorge war berechtigt. Schon 1998 hatte Berman verlauten lassen, er leide unter Depressionen und einer Schreibblockade, habe sich vom Musikmachen verabschiedet. Es war jedoch alles viel schlimmer. Im Jahr 2003 hatte Bermans Alkohol- und Drogenkonsum Ausmaße erreicht, die er nicht mehr kontrollieren konnte. Gegen Jahresende unternahm er einen Selbstmordversuch mit einer Überdosis des Antidepressiva Xanax. Er wurde gerettet, machte eine Entziehungskur, lüftete seine Seele aus und begann tatsächlich wieder Songs zu schreiben. Anfang 2005 ging er mit einigen prominenten Indiekumpanen - darunter wiederum Steven Malkmus, aber auch Will Oldham - nach Nashville ins Studio und nahm "Tanglewood Numbers" auf. Daß aus dieser Platte um ein Haar fast doch nichts geworden wäre, lag ausnahmsweise einmal nicht an Bermans Seelenpein. Kurz vor Fertigstellung brach im Easley-McCain-Studio zu Memphis, wo das Album gemastert werden sollte, ein Feuer aus. Nach Ende der Löscharbeiten konnten die Tapes aus einem unversehrt gebliebenen Trakt des Gebäudes geborgen werden.

Zum Glück. "Tanglewood Numbers" (Drag City 297, im Vertrieb von Rough Trade) ist ein aus der Zeit gefallenes Indie-Pop-Meisterwerk, das noch das große Album "American Water" von 1998 übertrifft. Musikalisch nimmt sich die Platte gar wie das üppig instrumentierte Gegenstück dazu aus. Wo früher allenfalls zwei Gitarren eine stoische Rhythmusgruppe umdrängelten, setzt es nun weiblichen Chorgesang, Synthie-Fill-Ins und gesampelte Banjos. Trotzdem ist die musikalische Attitüde die gleiche geblieben: Unprätentiöse Melodien fallen ineinander - vor allem Steven Malkmus' schlunzige Leadgitarre weiß zu gefallen; und es schlurft und schlurt, darüber sprechsingt sich Berman sexy brummend durch seine mal verstörenden, mal einfach nur ulkigen, immer aber sonderbar schönen Daseinsbetrachtungen. "Adam and Eve were jews / and I always loved you to the max" heißt es im Eröffnungsstück "Punks In The Beerlight". Und im folgenden "Sometimes a pony gets depressed": "Happiness won't leave me alone / sings the bird in the nest / get a load of this fucking view / it's the best in the West." Dies sind Zeilen, die in Anbetracht der Vorgeschichte dieser Platte eine um so krudere Poesie entfalten. Beim großartig betitelten "How can I love you if you won't lie down" klopft dann sogar Nietzsche an: "Time is a game only children play well." Mit wehmütigen Versen wie diesen grenzt sich Berman von den penälerhaften Provokations-Symbolismen eines Adam Green ab.

Gut also, daß David Berman wieder da ist. Zwar sieht er auf den Booklet-Fotos immer noch reichlich pflegebedürftig aus, aber das mag nur ein Versuch sein, das Image des depressiven Indie-Intellektuellen zu ironisieren. Bis zum nächsten Album werden sicher wieder einige Jahre vergehen und mit Konzerten ist nach wie vor nicht zu rechnen. Es bleibt also bei der guten Nachricht: Berman ist mit dem fünften Silver-Jews-Album das bislang beste seiner, nun ja, Karriere gelungen. In ihrer Mehrbödigkeit wird diese Platte lange vorhalten, und irgendwann, in zwei, vier oder sechs Jahren, kommt hoffentlich dann die nächste. Nur den Wes-Anderson-Film über David Berman, den wird es wohl niemals geben.

ERIC PFEIL

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