Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 29. August 2008
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / EMI,
- EAN: 5099923483026
- Artikelnr.: 24721720
CD | |||
1 | That Lucky Old Sun | 00:00:56 | |
2 | Morning beat | 00:02:54 | |
3 | Room With A View | 00:00:45 | |
4 | Good Kind Of Love | 00:03:20 | |
5 | Forever She'll Be My Surfer Girl | 00:02:52 | |
6 | Venice Beach | 00:00:45 | |
7 | Live Let Live / That Lucky Old Sun (Reprise) | 00:02:34 | |
8 | Mexican girl | 00:02:42 | |
9 | Cinco De Mayo | 00:00:46 | |
10 | California Role / That Lucky Old Sun (Reprise) | 00:02:40 | |
11 | Between Pictures | 00:00:47 | |
12 | Oxygen To The Brain | 00:03:27 | |
13 | Can't Wait Too Long | 00:00:54 | |
14 | Midnight's another day | 00:03:57 | |
15 | That Lucky Old Sun | 00:00:43 | |
16 | Going Home | 00:03:04 | |
17 | Southern California | 00:04:55 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2008Aus der Echokammer der sechziger Jahre
Lieber ins Restaurant als ans Meer: Für einen Beach Boy ist das nicht selbstverständlich. Brian Wilson hat nach einem finsteren Leben ein unwahrscheinlich sonniges Album eingespielt.
Im Grunde ist das Procedere bei betagten Superrockstars immer gleich: Alle paar Jahre veröffentlichen sie eine neue Platte, in deren Folge sie auf Tournee gehen und mit drei neuen Songs gewürzte Best-Of-Programme kredenzen. Ein paar besonders glückliche Journalisten werden von der Plattenfirma anlässlich der neuen Veröffentlichung werbewirksam mit Telefoninterviews versorgt, was zur Folge hat, dass lustigerweise zwischen Telefonaten mit Eltern, Freunden und Arbeitskollegen Rock-Legenden aus Los Angeles daheim anrufen und routinierte Promo-Phrasen in den Hörer murmeln. So weit, so immergleich.
Bei Brian Wilson, 66, dem Mann, der mit den Beach Boys einige der schönsten und erratischsten Alben der Musikgeschichte schuf (darunter das immer wieder zum besten Pop-Album aller Zeiten ausgerufene "Pet Sounds"), ist fast gar nichts so, wie man es üblicherweise im Pop-Geschäft gewohnt ist. Wilsons Biographie ist die unglaublichste, weil verrückteste und traurigste unter all den seltsamen Rock-'n'-Roll-Geschichten. Sie wird irgendwann verfilmt werden, so viel dürfte sicher sein; hoffentlich aber nicht als melodramatisches Biopic im Stile von "Ray", besser von einem Mann wie dem Dylan-Deuter Todd Haynes: als zerdeppertes Spiegelkabinett aus halbwegs klaren und verzerrten Erinnerungen. Die eher melodramatische Variante hat Wilson selbst schließlich oft genug geliefert.
Es ist schwer zu sagen, wann in Brian Wilsons Leben alles endgültig aus dem Ruder zu laufen begann und er zu dieser rührenden und gruseligen Wachskabinett-Nachbildung seiner selbst wurde, in deren Augen doch immer wieder allzu lebendig Angst, Misstrauen, Verrücktheit aufblitzen - aber auch schiere kindliche Freude. War es in seiner Kindheit, als sein cholerischer Vater ihn regelmäßig verprügelte? War es 1965, als der scheue Hit-Lieferant, der nie das in seinen Songs glorifizierte sorglose Strandleben zu führen vermochte, sich nach einem Nervenzusammenbruch vom Tourleben mit seiner Band zurückzog und Drogen - Marihuana und LSD - zu nehmen begann? War es 1966, während der aufreibenden Arbeiten zu "Pet Sounds", seinem barocken Meisterwerk - dieser Platte, die klingt, als sei sie direkt aus dem Himmel in die Echokammern der Sechziger gefallen? Oder war es während der Arbeit an "Smile", das der zunehmend weltentfremdete Musiker in seinem mit Sand ausgeschütteten Wohnzimmer als "teenage symphony to God" konzipierte. Im Mai 1967 wurde die Arbeit an "Smile" wegen wachsender Unpässlichkeit Wilsons und auf Druck seiner Beach-Boys-Kollegen abgebrochen - ein Schock, von dem er sich nie wieder erholt hat.
Möglicherweise kam der entscheidende Knick auch erst in den Jahren danach, als sich Wilson, viel zu früh an den eigenen Ansprüchen zerbrochen, kokainabhängig in sein Schlafzimmer zurückzog, wo er geschlagene drei Jahre vor sich hin vegetierte. Vielleicht kam der finale Stoß paradoxerweise sogar erst in Gestalt eines vermeintlichen Retters, als 1982 der umstrittene Therapeut Eugene Landy für neun Jahre die Kontrolle über Wilsons Leben übernahm, ihn von Drogenkonsum und Fress-Sucht befreite, den psychisch schwerkranken Musiker aber auch leichtfertig mit falschen Medikamenten vollpumpte und von seinem Umfeld isolierte. In Wilsons 1988 erschienener Autobiographie "Mein kalifornischer Alptraum" wird Landy zu einer fast überirdischen Rettergestalt mystifiziert.
Später stellte sich heraus, dass Landy große Teile des Buchs selbst geschrieben und Wilson nicht einmal das Manuskript vorgelegt hatte. In den Neunzigern konnte sich Wilson dann aus Landys Fängen befreien. Zwar war er immer noch schwer krank und hörte Stimmen - böse Stimmen. Aber mit Hilfe seiner Familie und "leichter Medikamentierung" begann er wieder zu einem sozialen Wesen zu werden. In einer Art betreuten Musizierens führte er "Pet Sounds" live auf, vollendete endlich das "Smile"-Projekt und spielte etliche neue Alben ein.
Es ist folglich kein Wunder, dass sich dieser Brian Wilson während der Telefoninterviews zu seinem neuen Album nicht wie der durchschnittliche Alt-Rockstar aufführt. Meist antwortet er nur mit "Ja" oder "Nein", manchmal auch mit einem ganzen Satz. Nein, das Meer möge er gar nicht, sagt er beispielsweise, er gehe lieber ins Restaurant. Und auf die Frage, wie er denn seinen Tag verbringe, antwortet er etwas zu laut: "Exercise! Exercise! Exercise." Dabei ist es tatsächlich ein Wunder, dass Brian Wilson, der seine Brüder Dennis und Carl überlebt hat, überhaupt noch da ist. Er, das schwerkranke Genie, das immer, wenn es schlecht lief, die fatalste aller möglichen Entscheidungen traf; dem so weh getan wurde und der sich selbst immer noch mehr Schmerzen zufügen musste; der Kindskopf, der die schönste Musik auf Erden schreiben wollte und dafür vom Teufel in den Knast seines eigenen Kopfes gesteckt wurde.
Das häufig über unangenehme Gniedel-Gitarristen verbreitete Klischee, sie könnten nur durch ihre Musik kommunizieren - bei Brian Wilson stimmt es einmal. Und deshalb ist seine trotzig harmonische Musik so schwer angreifbar. "That Lucky Old Sun" heißt seine neue CD. Sie klingt, nun ja, wie eine Brian-Wilson-CD: triefend vor naivem Optimismus, nostalgisch im Kalifornien der frühen Sechziger umherwandelnd - einer Ära wohlgemerkt, an der Wilson kaum teilhatte. Es ist die Platte eines Mannes, der geradezu zwangsfröhlich von der Sonne und dem leichten Leben erzählen muss.
Irritieren anfangs noch die scheinbar schlichten Arrangements, die muskulösen Klavierakkorde und das Mucker-Schlagzeug, wickelt die Musik den Hörer zunehmend ein. Sicher, einfältige Songs wie "Forever My Surfer Girl" und "Mexican Girl" überstrapazieren den sonnig-romantischen Gestus doch arg, auch die überleitenden Zwischenerzählungen (verfasst von Van Dyke Parks, Wilsons Texter aus "Smile"-Tagen) klingen, als trüge Wilson beim Vortrag eine Nikolausmütze. Nach mehreren Hördurchläufen erkennt man jedoch wieder diese leichte Finesse, die nur Wilson, der liebe arme Onkel aus Los Angeles, hinbekommt.
Gegen Ende des Albums gelingen ihm die besten Songs: Im grandiosen A-cappella-Refrain von "Going Home" besingt er den frühen Niedergang und die schwere Aufgabe seiner Herbstjahre: "At 25 I turned out the light cos' I couldn't handle the glare in my tired eyes / But now I'm back drawing shades across the sky." Der Song "Midnight's Another Day" wiederum bläst leichte Wattewölkchen über das nostalgische Idyll und erinnert an die depressiven Siebziger-Balladen. "I had to chase the sun", singt Wilson. Und genau hier liegt der Schlüssel: Für Brian Wilson ist das Besingen der Sonne kein alberner Luxus. Er muss das Schöne und den Schein besingen. Die dunkle Realität kennt er schließlich nur zu gut.
ERIC PFEIL.
Brian Wilson, That Lucky Old Sun, Capitol Records, EMI 00148 (EMI)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lieber ins Restaurant als ans Meer: Für einen Beach Boy ist das nicht selbstverständlich. Brian Wilson hat nach einem finsteren Leben ein unwahrscheinlich sonniges Album eingespielt.
Im Grunde ist das Procedere bei betagten Superrockstars immer gleich: Alle paar Jahre veröffentlichen sie eine neue Platte, in deren Folge sie auf Tournee gehen und mit drei neuen Songs gewürzte Best-Of-Programme kredenzen. Ein paar besonders glückliche Journalisten werden von der Plattenfirma anlässlich der neuen Veröffentlichung werbewirksam mit Telefoninterviews versorgt, was zur Folge hat, dass lustigerweise zwischen Telefonaten mit Eltern, Freunden und Arbeitskollegen Rock-Legenden aus Los Angeles daheim anrufen und routinierte Promo-Phrasen in den Hörer murmeln. So weit, so immergleich.
Bei Brian Wilson, 66, dem Mann, der mit den Beach Boys einige der schönsten und erratischsten Alben der Musikgeschichte schuf (darunter das immer wieder zum besten Pop-Album aller Zeiten ausgerufene "Pet Sounds"), ist fast gar nichts so, wie man es üblicherweise im Pop-Geschäft gewohnt ist. Wilsons Biographie ist die unglaublichste, weil verrückteste und traurigste unter all den seltsamen Rock-'n'-Roll-Geschichten. Sie wird irgendwann verfilmt werden, so viel dürfte sicher sein; hoffentlich aber nicht als melodramatisches Biopic im Stile von "Ray", besser von einem Mann wie dem Dylan-Deuter Todd Haynes: als zerdeppertes Spiegelkabinett aus halbwegs klaren und verzerrten Erinnerungen. Die eher melodramatische Variante hat Wilson selbst schließlich oft genug geliefert.
Es ist schwer zu sagen, wann in Brian Wilsons Leben alles endgültig aus dem Ruder zu laufen begann und er zu dieser rührenden und gruseligen Wachskabinett-Nachbildung seiner selbst wurde, in deren Augen doch immer wieder allzu lebendig Angst, Misstrauen, Verrücktheit aufblitzen - aber auch schiere kindliche Freude. War es in seiner Kindheit, als sein cholerischer Vater ihn regelmäßig verprügelte? War es 1965, als der scheue Hit-Lieferant, der nie das in seinen Songs glorifizierte sorglose Strandleben zu führen vermochte, sich nach einem Nervenzusammenbruch vom Tourleben mit seiner Band zurückzog und Drogen - Marihuana und LSD - zu nehmen begann? War es 1966, während der aufreibenden Arbeiten zu "Pet Sounds", seinem barocken Meisterwerk - dieser Platte, die klingt, als sei sie direkt aus dem Himmel in die Echokammern der Sechziger gefallen? Oder war es während der Arbeit an "Smile", das der zunehmend weltentfremdete Musiker in seinem mit Sand ausgeschütteten Wohnzimmer als "teenage symphony to God" konzipierte. Im Mai 1967 wurde die Arbeit an "Smile" wegen wachsender Unpässlichkeit Wilsons und auf Druck seiner Beach-Boys-Kollegen abgebrochen - ein Schock, von dem er sich nie wieder erholt hat.
Möglicherweise kam der entscheidende Knick auch erst in den Jahren danach, als sich Wilson, viel zu früh an den eigenen Ansprüchen zerbrochen, kokainabhängig in sein Schlafzimmer zurückzog, wo er geschlagene drei Jahre vor sich hin vegetierte. Vielleicht kam der finale Stoß paradoxerweise sogar erst in Gestalt eines vermeintlichen Retters, als 1982 der umstrittene Therapeut Eugene Landy für neun Jahre die Kontrolle über Wilsons Leben übernahm, ihn von Drogenkonsum und Fress-Sucht befreite, den psychisch schwerkranken Musiker aber auch leichtfertig mit falschen Medikamenten vollpumpte und von seinem Umfeld isolierte. In Wilsons 1988 erschienener Autobiographie "Mein kalifornischer Alptraum" wird Landy zu einer fast überirdischen Rettergestalt mystifiziert.
Später stellte sich heraus, dass Landy große Teile des Buchs selbst geschrieben und Wilson nicht einmal das Manuskript vorgelegt hatte. In den Neunzigern konnte sich Wilson dann aus Landys Fängen befreien. Zwar war er immer noch schwer krank und hörte Stimmen - böse Stimmen. Aber mit Hilfe seiner Familie und "leichter Medikamentierung" begann er wieder zu einem sozialen Wesen zu werden. In einer Art betreuten Musizierens führte er "Pet Sounds" live auf, vollendete endlich das "Smile"-Projekt und spielte etliche neue Alben ein.
Es ist folglich kein Wunder, dass sich dieser Brian Wilson während der Telefoninterviews zu seinem neuen Album nicht wie der durchschnittliche Alt-Rockstar aufführt. Meist antwortet er nur mit "Ja" oder "Nein", manchmal auch mit einem ganzen Satz. Nein, das Meer möge er gar nicht, sagt er beispielsweise, er gehe lieber ins Restaurant. Und auf die Frage, wie er denn seinen Tag verbringe, antwortet er etwas zu laut: "Exercise! Exercise! Exercise." Dabei ist es tatsächlich ein Wunder, dass Brian Wilson, der seine Brüder Dennis und Carl überlebt hat, überhaupt noch da ist. Er, das schwerkranke Genie, das immer, wenn es schlecht lief, die fatalste aller möglichen Entscheidungen traf; dem so weh getan wurde und der sich selbst immer noch mehr Schmerzen zufügen musste; der Kindskopf, der die schönste Musik auf Erden schreiben wollte und dafür vom Teufel in den Knast seines eigenen Kopfes gesteckt wurde.
Das häufig über unangenehme Gniedel-Gitarristen verbreitete Klischee, sie könnten nur durch ihre Musik kommunizieren - bei Brian Wilson stimmt es einmal. Und deshalb ist seine trotzig harmonische Musik so schwer angreifbar. "That Lucky Old Sun" heißt seine neue CD. Sie klingt, nun ja, wie eine Brian-Wilson-CD: triefend vor naivem Optimismus, nostalgisch im Kalifornien der frühen Sechziger umherwandelnd - einer Ära wohlgemerkt, an der Wilson kaum teilhatte. Es ist die Platte eines Mannes, der geradezu zwangsfröhlich von der Sonne und dem leichten Leben erzählen muss.
Irritieren anfangs noch die scheinbar schlichten Arrangements, die muskulösen Klavierakkorde und das Mucker-Schlagzeug, wickelt die Musik den Hörer zunehmend ein. Sicher, einfältige Songs wie "Forever My Surfer Girl" und "Mexican Girl" überstrapazieren den sonnig-romantischen Gestus doch arg, auch die überleitenden Zwischenerzählungen (verfasst von Van Dyke Parks, Wilsons Texter aus "Smile"-Tagen) klingen, als trüge Wilson beim Vortrag eine Nikolausmütze. Nach mehreren Hördurchläufen erkennt man jedoch wieder diese leichte Finesse, die nur Wilson, der liebe arme Onkel aus Los Angeles, hinbekommt.
Gegen Ende des Albums gelingen ihm die besten Songs: Im grandiosen A-cappella-Refrain von "Going Home" besingt er den frühen Niedergang und die schwere Aufgabe seiner Herbstjahre: "At 25 I turned out the light cos' I couldn't handle the glare in my tired eyes / But now I'm back drawing shades across the sky." Der Song "Midnight's Another Day" wiederum bläst leichte Wattewölkchen über das nostalgische Idyll und erinnert an die depressiven Siebziger-Balladen. "I had to chase the sun", singt Wilson. Und genau hier liegt der Schlüssel: Für Brian Wilson ist das Besingen der Sonne kein alberner Luxus. Er muss das Schöne und den Schein besingen. Die dunkle Realität kennt er schließlich nur zu gut.
ERIC PFEIL.
Brian Wilson, That Lucky Old Sun, Capitol Records, EMI 00148 (EMI)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main