Produktdetails
- Anzahl: 2 Audio CDs
- Erscheinungstermin: 22. September 2006
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / ECM Records,
- Gesamtlaufzeit: 76 Min.
- EAN: 0602498562246
- Artikelnr.: 20888090
CD 1 | |||
1 | Part 1 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:09:57 | |
2 | Part 2 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:03:33 | |
3 | Part 3 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:04:44 | |
4 | Part 4 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:05:19 | |
5 | Part 5 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:09:55 | |
CD 2 | |||
1 | Part 6 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:06:51 | |
2 | Part 7 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:08:35 | |
3 | Part 8 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:05:20 | |
4 | Part 9 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:08:26 | |
5 | Part 10 [From "The Carnegie Hall Concert"] | 00:09:47 | |
6 | The Good America | 00:06:47 | |
7 | Paint My Heart Red | 00:08:31 | |
8 | My Song | 00:08:05 | |
9 | True Blues | 00:07:01 | |
10 | Time On My Hands | 00:07:30 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2007Der Himmel voller Klangwolken
Genie in Hochform: Keith Jarrett spielt Klavier solo in der New Yorker Carnegie Hall
Wenn man die Ohren weit aufsperrt und die Augen ganz fest schließt, kann man sie alle bei seinem Konzert in der Carnegie Hall zu New York in der ersten Reihe sitzen und staunen sehen: Louis Armstrong, den bekanntesten schwarzen Amerikaner, und Duke Ellington, der ins Weiße Haus eingeladen worden war, Oscar Pettiford, der sich nie damit abfinden wollte, mit seinem Bass nur die Löcher in den Harmonien zu stopfen, und Jelly Roll Morton, der auf seinem verstimmten Klavier die ersten Suiten des Jazz ausheckte und danach mit seinem breiten Zuhältergrinsen verkündete: "I invented jazz in 1902", Dave Brubeck, der die Türkenmode in die amerikanische Musik einführte, und Billie Holiday, die von seltsamen Früchten sang, nur etwas ganz anderes damit meinte, Scott Joplin, der eine Oper geschrieben hat, in den Musikgeschichtsbüchern aber noch immer eine Fußnotenexistenz als Ragtime-Pianist fristet, Benny Goodman, der einer Generation auf die Sprünge half, indem er ebenjene Carnegie Hall als nahezu uneinnehmbare Bastion der klassischen Musik eroberte, und Charlie Parker, der die vier Viertel des Swing in acht Achtel spaltete und damit die Kernfrage des modernen Jazz - to be or not to bop - aufwarf, die der Witzbold Dizzy Gillespie so griffig formuliert hatte.
Sollten Sie alle die Klänge, die da aus dem von Keith Jarrett traktierten Steinway herausquollen, nicht wiedererkannt haben, dann deshalb, weil eine Pflanze selten ihren Wurzeln ähnelt. Keith Jarrett, der den Geist von Bud Powell aus den Händen von Miles Davis empfing, hat natürlich nicht lediglich gepflückt, was die Heroen des Jazz einst gesät und Generationen brillanter Musiker danach bewässert haben. Das Publikum in der wie stets bei ihm vollgepfropften Halle brachte es mit seinem nicht enden wollenden Applaus, den auch diese Doppel-CD noch festhält, zum Ausdruck: Das war mehr als ein musikalisches Erntedankfest.
Etwas Epiphanisches muss da an diesem 26. September 2005 im "Isaac Stern Auditorium" der Carnegie Hall von New York zu spüren gewesen sein. Vielleicht war es das beste Solokonzert, das Keith Jarrett in seiner langen Laufbahn je gegeben hat, und vielleicht ist es die beste CD in der stattlichen Reihe seiner nunmehr vierundzwanzig Soloaufnahmen geworden. Cum grano salis. Große Künstler geben oft auf die Frage, welches ihr Lieblingsstück sei, zur Antwort, das Werk, das gerade auf dem Notenpult liege. Und so hat man auch bei Keith Jarrett immer das Gefühl, jeweils das beste Konzert zu hören oder seine beste Aufnahme in Händen zu halten. Weil er sich ausliefert, sich mit Haut und Haaren schier um Kopf und Kragen spielt. Alles oder nichts war immer schon seine Devise. Das hat ihn an die Spitze des Jazz gebracht.
Höher kann auch er nicht mehr kommen, allenfalls tiefer schürfen. Es wäre eine weitere Herausforderung für seine Hörer, etwa in dem Sinne, wie ein kluger Wiener Kopf Georg Christoph Lichtenberg und dessen Wirkung auf seine Leser einmal charakterisiert hat: Er grabe tiefer als andere, aber er tauche nicht wieder auf. Wer ihn hören wolle, müsse ebenfalls so tief graben. Der Schriftsteller Geoff Dyer knüpft in seinem wundervollen Jazz-Buch "But Beautiful" indirekt daran an, wenn er davon spricht, dass der beeindruckendste Jazz heute sich mitunter an den Rändern der Form befinde, wo er strenggenommen kaum noch als Jazz bezeichnet werden könne.
Das trifft auch auf die fünfzehn Stücke zu, die die Doppel-CD von Keith Jarrett unter dem lakonischen Titel "The Carnegie Hall Concert" festhält. Es ist so, wie es Dyer plakativ beschrieben hat: Wenn Jarrett in Hochform ist - und das ist er in diesem Konzert gewesen -, dann schweben Fetzen aller möglichen Musik durch sein Spiel. Aber man spürt das Bewusstsein, besser vielleicht: eine bewusste Handlung dabei nicht. Auf nahezu magische Weise wirkt der Schaffensprozess, beileibe kein nachschöpferischer Prozess wie bei Interpretationen klassischer Musik, als sei das bewusste Denken weitgehend abgeschaltet worden und fege die Musik einfach durch ihn hindurch.
Im Spiel von Keith Jarrett klingt die Ahnengalerie des Jazz mit, am eindringlichsten bei den neuen Aufnahmen vielleicht in dem zweiten, titellosen Stück der ersten CD. Wie bei der von George Washington Cable so suggestiv beschriebenen Bamboula-Trommel der Sklaven auf dem Congo Square von New Orleans Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts oder den Hammerschlägen einer hoffnungslosen chain gang fahren einem da die schwer torkelnden Bassrhythmen von Jarretts linker Hand förmlich in die Glieder, während die rechte Hand ein ungemein ausdrucksstarkes Melos aus archetypischen Blue Notes wie einen befreienden Gospelsong darüberlegt. Hätte Arvo Pärt jemals ein Nocturno für Klavier komponiert, es würde dem ebenso namenlosen dritten Stück dieser CD mit seinem die extremen Lagen betonenden, romantischen Gestus nahe kommen, wobei vor allem fasziniert, wie es Keith Jarrett gelingt, die tiefen Töne so zu intonieren, als seien sie nicht durch die Stahlsaiten eines Flügels, sondern tatsächlich durch die Resonanzen eines Kontrabasses hervorgerufen worden.
Aber was besagen schon die Assoziationen, die sich etwa bei den aberwitzig wuselnden Motiven des vierten Stückes der ersten CD an das "Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen" aus Mussorgskis "Bildern einer Ausstellung" einstellen oder bei den insistierenden Harmonien und hymnischen Melodielinien des zweiten Stückes der zweiten CD an "Let it be", den Abgesang auf eine poppig bunte Ära von Lennon und McCartney? Wer in Jarretts bruchstückhaften Rhythmen eine Nähe zur mittelalterlichen Hoquetus-Technik heraushört, hat ebenso recht wie der Hörer, dem dabei Thelonious Monks unorthodox gespreizte Finger in den Sinn kommen.
Was man aber vor allem hört, ist ein pianistisches Genie, das jeden Klang einer Verwandlung unterzieht, so dass am Ende ein Ton entsteht, der unwiderruflich den Namen Keith Jarrett trägt. Meine zwei Lieblingsstücke? Das erste: ein stupend gespieltes Kompendium moderner Klaviermusik. Und der "True Blues" als dritte Zugabe: eine Verbeugung vor den Blues-Pianisten des alten Jazz, den nur ein junger Geist mit der Jazz-Erfahrung eines Jahrhunderts im Rücken so sensibel intonieren kann.
WOLFGANG SANDNER
Keith Jarrett, The Carnegie Hall Concert. ECM 1989/90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Genie in Hochform: Keith Jarrett spielt Klavier solo in der New Yorker Carnegie Hall
Wenn man die Ohren weit aufsperrt und die Augen ganz fest schließt, kann man sie alle bei seinem Konzert in der Carnegie Hall zu New York in der ersten Reihe sitzen und staunen sehen: Louis Armstrong, den bekanntesten schwarzen Amerikaner, und Duke Ellington, der ins Weiße Haus eingeladen worden war, Oscar Pettiford, der sich nie damit abfinden wollte, mit seinem Bass nur die Löcher in den Harmonien zu stopfen, und Jelly Roll Morton, der auf seinem verstimmten Klavier die ersten Suiten des Jazz ausheckte und danach mit seinem breiten Zuhältergrinsen verkündete: "I invented jazz in 1902", Dave Brubeck, der die Türkenmode in die amerikanische Musik einführte, und Billie Holiday, die von seltsamen Früchten sang, nur etwas ganz anderes damit meinte, Scott Joplin, der eine Oper geschrieben hat, in den Musikgeschichtsbüchern aber noch immer eine Fußnotenexistenz als Ragtime-Pianist fristet, Benny Goodman, der einer Generation auf die Sprünge half, indem er ebenjene Carnegie Hall als nahezu uneinnehmbare Bastion der klassischen Musik eroberte, und Charlie Parker, der die vier Viertel des Swing in acht Achtel spaltete und damit die Kernfrage des modernen Jazz - to be or not to bop - aufwarf, die der Witzbold Dizzy Gillespie so griffig formuliert hatte.
Sollten Sie alle die Klänge, die da aus dem von Keith Jarrett traktierten Steinway herausquollen, nicht wiedererkannt haben, dann deshalb, weil eine Pflanze selten ihren Wurzeln ähnelt. Keith Jarrett, der den Geist von Bud Powell aus den Händen von Miles Davis empfing, hat natürlich nicht lediglich gepflückt, was die Heroen des Jazz einst gesät und Generationen brillanter Musiker danach bewässert haben. Das Publikum in der wie stets bei ihm vollgepfropften Halle brachte es mit seinem nicht enden wollenden Applaus, den auch diese Doppel-CD noch festhält, zum Ausdruck: Das war mehr als ein musikalisches Erntedankfest.
Etwas Epiphanisches muss da an diesem 26. September 2005 im "Isaac Stern Auditorium" der Carnegie Hall von New York zu spüren gewesen sein. Vielleicht war es das beste Solokonzert, das Keith Jarrett in seiner langen Laufbahn je gegeben hat, und vielleicht ist es die beste CD in der stattlichen Reihe seiner nunmehr vierundzwanzig Soloaufnahmen geworden. Cum grano salis. Große Künstler geben oft auf die Frage, welches ihr Lieblingsstück sei, zur Antwort, das Werk, das gerade auf dem Notenpult liege. Und so hat man auch bei Keith Jarrett immer das Gefühl, jeweils das beste Konzert zu hören oder seine beste Aufnahme in Händen zu halten. Weil er sich ausliefert, sich mit Haut und Haaren schier um Kopf und Kragen spielt. Alles oder nichts war immer schon seine Devise. Das hat ihn an die Spitze des Jazz gebracht.
Höher kann auch er nicht mehr kommen, allenfalls tiefer schürfen. Es wäre eine weitere Herausforderung für seine Hörer, etwa in dem Sinne, wie ein kluger Wiener Kopf Georg Christoph Lichtenberg und dessen Wirkung auf seine Leser einmal charakterisiert hat: Er grabe tiefer als andere, aber er tauche nicht wieder auf. Wer ihn hören wolle, müsse ebenfalls so tief graben. Der Schriftsteller Geoff Dyer knüpft in seinem wundervollen Jazz-Buch "But Beautiful" indirekt daran an, wenn er davon spricht, dass der beeindruckendste Jazz heute sich mitunter an den Rändern der Form befinde, wo er strenggenommen kaum noch als Jazz bezeichnet werden könne.
Das trifft auch auf die fünfzehn Stücke zu, die die Doppel-CD von Keith Jarrett unter dem lakonischen Titel "The Carnegie Hall Concert" festhält. Es ist so, wie es Dyer plakativ beschrieben hat: Wenn Jarrett in Hochform ist - und das ist er in diesem Konzert gewesen -, dann schweben Fetzen aller möglichen Musik durch sein Spiel. Aber man spürt das Bewusstsein, besser vielleicht: eine bewusste Handlung dabei nicht. Auf nahezu magische Weise wirkt der Schaffensprozess, beileibe kein nachschöpferischer Prozess wie bei Interpretationen klassischer Musik, als sei das bewusste Denken weitgehend abgeschaltet worden und fege die Musik einfach durch ihn hindurch.
Im Spiel von Keith Jarrett klingt die Ahnengalerie des Jazz mit, am eindringlichsten bei den neuen Aufnahmen vielleicht in dem zweiten, titellosen Stück der ersten CD. Wie bei der von George Washington Cable so suggestiv beschriebenen Bamboula-Trommel der Sklaven auf dem Congo Square von New Orleans Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts oder den Hammerschlägen einer hoffnungslosen chain gang fahren einem da die schwer torkelnden Bassrhythmen von Jarretts linker Hand förmlich in die Glieder, während die rechte Hand ein ungemein ausdrucksstarkes Melos aus archetypischen Blue Notes wie einen befreienden Gospelsong darüberlegt. Hätte Arvo Pärt jemals ein Nocturno für Klavier komponiert, es würde dem ebenso namenlosen dritten Stück dieser CD mit seinem die extremen Lagen betonenden, romantischen Gestus nahe kommen, wobei vor allem fasziniert, wie es Keith Jarrett gelingt, die tiefen Töne so zu intonieren, als seien sie nicht durch die Stahlsaiten eines Flügels, sondern tatsächlich durch die Resonanzen eines Kontrabasses hervorgerufen worden.
Aber was besagen schon die Assoziationen, die sich etwa bei den aberwitzig wuselnden Motiven des vierten Stückes der ersten CD an das "Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen" aus Mussorgskis "Bildern einer Ausstellung" einstellen oder bei den insistierenden Harmonien und hymnischen Melodielinien des zweiten Stückes der zweiten CD an "Let it be", den Abgesang auf eine poppig bunte Ära von Lennon und McCartney? Wer in Jarretts bruchstückhaften Rhythmen eine Nähe zur mittelalterlichen Hoquetus-Technik heraushört, hat ebenso recht wie der Hörer, dem dabei Thelonious Monks unorthodox gespreizte Finger in den Sinn kommen.
Was man aber vor allem hört, ist ein pianistisches Genie, das jeden Klang einer Verwandlung unterzieht, so dass am Ende ein Ton entsteht, der unwiderruflich den Namen Keith Jarrett trägt. Meine zwei Lieblingsstücke? Das erste: ein stupend gespieltes Kompendium moderner Klaviermusik. Und der "True Blues" als dritte Zugabe: eine Verbeugung vor den Blues-Pianisten des alten Jazz, den nur ein junger Geist mit der Jazz-Erfahrung eines Jahrhunderts im Rücken so sensibel intonieren kann.
WOLFGANG SANDNER
Keith Jarrett, The Carnegie Hall Concert. ECM 1989/90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main