Produktdetails
Trackliste
CD 1
1Like That Of Sky00:11:07
2Codona00:06:17
3Colemanwonder: Race Face / Sortie / Sir Duke00:03:43
4Mumakata00:08:18
5New Light00:13:27
CD 2
1Que Faser00:07:10
2Godumaduma00:01:58
3Malinye00:12:43
4Drip-Dry00:07:03
5Walking On Eggs00:03:04
6Again And Again, Again00:07:36
CD 3
1Goshakabuchi00:10:56
2Hey Da Ba Doom00:07:13
3Travel By Night00:05:49
4Lullaby00:03:41
5Trayra Boia00:05:19
6Clicky Clacky00:04:09
7Inner Organs00:09:21
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Noch einmal flugs über den Maghreb nach Al-Andalus

West-östlich ist jede dieser musikalischen Begegnungen zwischen Jazz und Orient: Was vor drei Jahrzehnten mit der "Codona Trilogy" begann, setzen jetzt drei neue Konzeptalben fort.

Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen." Diesen Satz des alten Goethe hat der Münchner Plattenproduzent Manfred Eicher beherzigt. Er hat in den vergangenen vierzig Jahren immer wieder der orientalischen Musik in einem sehr weiten, nämlich mindestens bis Indien reichenden Sinne Gehör verschafft.

In den Siebzigern war es der amerikanische Sitar- und Tabla-Studiosus Collin Walcott, der mit Musikern wie Jack DeJohnette und John Abercombie die Energien des Jazz in die Formenwelt der Ragas fließen ließ und zu Beginn der Achtziger mit Don Cherry und dem brasilianischen Percussionisten Nana Vascancelos einen Dialog etablierte, der schillerndste Weltmusik "avant la lettre" hervorbrachte. Mit der prächtigen "Codona Trilogy" legte Eichers Label kürzlich die drei Alben dieses ungewöhnlichen Trios als Wiederveröffentlichung neu auf. In den Neunzigern spielte dann der tunesische Oud-Virtuose Anouar Brahem eine Reihe inspirierter Aufnahmen ein. Auf Alben wie "Thimar" reflektierte sich freilich auch die Internationalisierung des Jazz, sofern es nicht mehr Pioniere wie Walcott oder McLaughlin waren, die uns den Orient erschlossen, sondern Orientalen, die ihre Musikkultur in den Jazz einbrachten. Und jetzt gibt es eine neue Generation von Grenzgängern, drei neue Alben: Gemeinsame Merkmale dieser an sich recht verschiedenen Konzepte west-östlicher Begegnung sind erstens die tragende Rolle weiblichen Gesangs und zweitens ein dezidierter Abstand zu experimenteller Hippie-Ästhetik.

Weder der urbane Jazz von "Cyminology" noch das Oriental-Jazz-Musical mit Marc Sinan und Julia Hülsmann geschweige denn die spekulative Musik-Archäologie des norwegischen Komponisten Jon Balke und der Marokkanerin Amina Alaoui haben Zeit für dudelige Skalenmessertänze um des Skalenmessertanzes willen. Es gilt nicht mehr, wie einst in den Siebzigern, das Abtasten, Entflammen und freudige Wiedererkennen der Musiker zu dokumentieren, heute wird ein humanistischer Konsens multikultureller Gesellschaften im Horizont des Monotheismus artikuliert. Das unterscheidet das Ethos dieser Musik auch von dem utopischen Konstruktivismus der imaginären Folklore der letzten Dekade: Wo man sich einst auf die Kraft der Klänge glaubte verlassen zu können, sucht man heute Orientierung in religiösen, literarischen und philosophischen Texten. Vielleicht sogar: Legitimation.

Das Album "Fasil" ist das Werk des deutsch-türkisch-armenischen Gitarristen Marc Sinan, der Pianistin Julia Hülsmann und des Librettisten Marc Schiffer. Es will uns die Entwicklung Aishes, der jüngsten Frau Mohammads, näherbringen, "von der unschuldigen Schönheit zur engsten Vertrauten des Propheten, zur politischen Führerin, Feldherrin und weisen Mutter der Gläubigen". Aus musikästhetischer Perspektive ist die Frage weniger die, ob man so ein Heroisierungs-Programm zündend findet, sondern die, wie so was klingt.

Solange noch nicht gesungen wird, hört man luftigen Jazz mit viel harmonisch Moll: elegant vom Hülsmann-Trio vorgetragen und durch die spanische Gitarre Marc Sinans und die Viola Lena Thies' mit Tupfern aus Klassik und Moderne angereichert. Sobald aber Yelena Kuljic singt, gerät die Balance aus den Fugen. Nicht, dass sie nicht eine starke Sängerin wäre, die Intonation und Timbres unter Kontrolle hat. Es liegt vielmehr daran, dass Sinn und Klang der englischen Texte oft ins musicalesk Verkitschte abdriften. Schade, denn "Fasil" hält anspruchsvolle Liedkompositionen, originelle Instrumentierungen, einen inspirierten Flow und nicht zuletzt auch eine Frage bereit: Wäre es nicht inhaltlich, auch mikromelodisch besser gewesen, beim Arabischen zu bleiben, um uns Aishe vorzustellen, zumal Koranpassagen und Hadithen ins Libretto eingeflossen sind?

Auf diese Frage antworten die Berliner Protagonisten des neuen deutschen Jazz von "Cyminology" auf Farsi. Das Quartett um die Sängerin Cymin Samawatie verknüpft auf seinem neuen Album "As Ney" persische Lyrik und europäisches Kunstlied in einem feinmaschigen Gewebe aus äußerst durchdachtem Jazz mit viel Mut zur Stille. Während bei Sinan und Hülsmann auch popmusikalische Redundanzen effektvoll Verwendung finden, herrscht bei "Cyminology" ein klassisches Formbewusstsein, und es gelingt überraschend einleuchtend, Werkstrukturen offenzulegen.

Samawatie ist als Iranerin in Deutschland aufgewachsen. Sie macht kein Geheimnis daraus, keine echte Muttersprachlerin zu sein, weshalb so mancher Perser die Nase rümpfen mag ob ihrer Aussprache. Dennoch ist sie im Vortrag der zum Teil selbstverfassten Texte auf sehr physische Weise mit Klang und Rhythmik jener Literatursprache verwachsen, die noch vor der ersten Jahrtausendwende in Samarkand entstand und in die Dichterfürsten wie Chayam, Rumi und Hafez ihre mystischen Metaphern einwoben. Auch wenn bei Samawatie zuweilen Intonationsmängel aufblitzen, fügen sich die Stücke dieses ihres dritten Albums zu einer bewegenden Szenologie menschlichen Gestimmtseins.

Womit wir bei der Metaphysik angelangt wären und flugs über den Maghreb nach Al-Andalus eilen können, um den west-östlichen Dialog in seinem Höhenflug hin zur unio mystica zu verfolgen. Denn wenn Amina Alaoui am Ende des Albums "Siwan" mit "Toda ciencia transcendiendo" die Vertonung eines kontemplativen Gedichts von Juan de la Cruz singt, des christlichen Mystikers und Ordensgründers (der unbeschuhten Karmeliten) aus dem sechzehnten Jahrhundert, dann haben wir schon allerhand erlebt. Lauschten Poesie in arabischer, kastilischer und portugiesischer Sprache aus sieben Jahrhunderten, weilten in einer Klangkuppel, durch deren Opaion das gleißende Licht des skandinavischen Ensembles für alte Musik "Barokksolistene" einfällt, gebrochen und rhythmisiert von den Wirbeln zweier Perkussionisten, zuweilen irisiert durch die Interferenzen der Trompete Jon Hassells und des algerischen Geigers Eddine M'Kachiche. Und wir haben eine Ahnung davon bekommen können, wie christliche Spiritualität in einer von islamischer Wissenschaft, Religion und Kunst geprägten Kultur bereichert werden mag. Stimme und Vortrag Amina Alaouis vermitteln, zumal wenn sie arios auf Arabisch vorträgt, das Gefühl, von einer exotischen Sensibilität angerührt oder von einem fremden Geist geleitet zu werden. Das ist schön. Denn wesentlich mehr, als uns aus der eigenen Haut fahren zu lassen, kann Musik nicht.

Die Rekonstruktion einer arabisch-europäischen Musik aus der Zeit, als Spanien von 730 bis 1492 muslimisch war, ist eine imaginäre Rekonstruktion. Was Balke und Alaoui unternehmen, widmet sich näherhin in der Art eines platonischen Aufstiegs des Eros zunächst der Schönheit der Heimaterde, bevor der des anderen Geschlechts gehuldigt wird und zuletzt - alle Wissenschaft transzendierend - jene Gottes erhascht wird.

Wir stehen somit unter dem Signum religiöser Toleranz als Bedingung dieses Aufstiegs. Und in gewisser Weise ist "Siwan" mit seiner stupend-transparenten, aber auch etwas digitalhall-glatten Euphonie der Beweis dafür, dass diese ascensio gelingen kann. Im Rahmen der Theorie Platons ist in der Praxis allerdings eines dafür unerlässlich: sokratische Ironie.

ALESSANDRO TOPA

Don Cherry & Nana Vasconcelos & Collin Walcott, The Codona Trilogy. ECM 2033-35 (Universal)

Marc Sinan & Julia Hülsmann, Fasil. ECM 2076 (Universal)

Cyminology, As Ney. ECM 2084 (Universal)

John Balke & Amina Alaoui, Siwan. ECM 2042 (Universal)

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