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Produktdetails
Trackliste
CD
1Good Lies00:05:25
2Where In This World00:04:39
3Gloomy Planets00:04:52
4Alphabet00:03:03
5The Devil, You + Me00:03:39
6Gravity00:03:56
7Sleep00:03:46
8On Planet Off00:05:06
9Boneless00:02:55
10Hands On Us00:04:29
11Gone Gone Gone00:02:10
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2008

Es ist einfach Rockmusik

Sechs Jahre nach dem epochalen "Neon Golden" erscheint endlich eine neue Platte der Band The Notwist aus Weilheim: "The Devil, You + Me".

Adressen eignen sich ungefähr genauso wenig zum Verständnis von Popmusik wie die Jahreszeiten, in denen neue Platten erscheinen. So ein Veröffentlichungskalender hängt von tausend Faktoren ab, und wenn sich dann eine Verbindung ergibt zwischen den Liedern und dem Wetter, geschieht das eigentlich nur zwischen den Ohren des Hörers. Weswegen es zum Beispiel auch schwer ist, Sommerhits zu planen - das geht meistens schief. Mit der Adresse ist es da schon komplizierter, es gibt offenbar wirklich so etwas wie einen Genius Loci. In den vergangenen Jahren war das in der amerikanischen Gitarrenmusik bei Portland und Montreal der Fall, für Seattle galt das in den Neunzigern, etwa zur selben Zeit in Deutschland für Hamburg. Die richtigen Leute im richtigen Moment am richtigen Ort - oft kommen sie allerdings von auswärts, und abermals hängt ihr Zuzug von tausend Faktoren ab: Zufall und billige Mieten gehören eigentlich immer dazu.

Über kaum eine zweite Adresse der deutschen Popmusik wurde in den vergangenen Jahren so oft geschrieben wie über Weilheim. Es herrschte, wie es sich für einen oberbayerischen Ort gehört, zeitweilig ein regelrechter Weilheim-Kult inklusive Pilgerreisen. Irgendwann hatten die Leute, die den Kult ausgelöst hatten - die Musiker um die Brüder Markus und Micha Acher von der erstaunlichen Band The Notwist -, es aber satt, dass sie ständig Journalisten aus dem Norden oder sonstwo in ihrer Heimat besuchen wollten, um das Wunder leibhaftig zu sehen, und sagten so was von vornherein ab. Es schrieb sich aber doch alles so schön: hier der Herrgottswinkel, dort der weltweite Ruhm der letzten zwei Notwist-Alben "Shrink" (1998) und vor allem "Neon Golden" aus dem Jahr 2002. Hier die heimische Dixiekapelle von Vater Acher, zu der auch die Söhne gehören, dort die unendliche Vielfalt der anderen Sonderpopbands von Weilheim, die alle bei The Notwist mitspielen - wie der Elektroniker Martin Gretschmann von Console - oder Ableger waren wie Lali Puna, Tied and Tickled Trio und Ms John Soda.

Inzwischen, nachdem Mitglieder der Band umgezogen sind, nennt der Pressezettel The Notwist eine Band "aus Weilheim und München", wohl, um aus dieser Ecke herauszukommen: der Provinz. Man kann es gut verstehen. Wer will denn ständig beantworten, woher er kommt, wenn es doch eigentlich darum geht, wohin er will?

The Notwist wurden 1986 gegründet und haben den internationalen Ruf deutscher Popmusik in etwa so beeinflusst wie vor ihnen nur Kraftwerk und die Einstürzenden Neubauten - komisch, dass es aus Deutschland immer die Tüftler und Freaks sind, die Sinnsucher. Mit ihrer sechsten Platte "The Devil, You + Me" feilt The Notwist jedenfalls weiter insektenforscherisch an einem Popsong, der wie aus Facettenaugen in die Welt hinausschaut - eine Perspektive ist der Band nicht genug; da wären der Reichtum und die Poesie des Popsongs doch verschenkt. Auf dem epochalen Album "Neon Golden" präparierten The Notwist damals zehn Lieder so lang, bis ein mordskompliziertes Cello, ein Banjo, Geräusche und elektronische Beats, Streicher und Gitarren gleichzeitig zusammenpassten, sich zu einem organischen Gesamtkunstwerksound zusammenfügten. "Neon Golden" verkaufte sich hundertfünfzigtausend Mal, die Band spielte weltweit in ausverkauften Clubs, alle jubelten, die Presse, die Leute, die Pilger. Aber das mussten sie auch, weil ein Lied wie das letzte des Albums, "Consequence", das klein beginnt, immer größer und größer wird und in den Zeilen "Leave me paralyzed ... love" gipfelt, unvergleichlich war - und unvergleichlich auch Markus Achers kleine, markante Stimme und sein im Wörterbuch nachgeschlagenes Englisch.

Gegen die Facetten von "Neon Golden" wirkt das lang und heiß herbeigesehnte neue Album "The Devil, You + Me" erst einmal enttäuschend gedrosselt. Wie das bei guten Platten nun einmal so ist, passiert erst beim zweiten, dritten, vierten Durchgang etwas. Die Melodien werden klarer. Oder besser: Es wird einem klar, dass es dieser Band am Ende immer nur um nachpfeifbare Melodien ging. The Notwist hatten einen auf "Neon Golden" gelehrt, in einem Popsong alles für möglich zu halten. Jetzt scheinen sie sagen zu wollen: Alles ist eben nicht alles. Nach einer raffinierten, bis ins Detail in- und auswendig produzierten Platte haben sie jetzt elf Lieder aufgenommen, die, wie das erste namens "Good Lies" oder das dritte namens "Gloomy Planets", von der Melodie leben und nicht davon, was eine Melodie noch aushalten kann, wenn man sie von allen Seiten mit Gimmicks beschießt, mit Banjos, Cellos und Bäuerchen aus dem Laptop.

Und kommt diese Melodie von The Notwist, dann hält sie viel aus, auch den Eindruck einer beiläufigen Produktion wie beim neuen Album, der kalkuliert sein muss: Wer den Dokumentarfilm "On/Off The Record" kennt, den Jörg Adolph in den Studiotagen von "Neon Golden" drehte, glaubt bei The Notwist nicht an Zufälle oder Nachlässigkeiten. Gimmicks gibt es auch auf "The Devil, You + Me" noch, aber die Platte wirkt insgesamt viel freier. Und man möchte die Band für ihren Mut bewundern, nach so einem Trip wie "Neon Golden" so viele Gänge herunterzuschalten. Dann liest man, dass Markus Acher beteuert, die Band habe überhaupt keinen Druck verspürt, aber glauben möchte man das eigentlich nicht. Nicht nach einer überdeterminierten Platte wie "Neon Golden", die so vielen Menschen so viel bedeutet.

Vor Jahren haben Depeche Mode den Tod der Gitarre erklärt, nur um danach mit gewaltigen Gitarren zurückzukommen. Darüber haben dann viele hämisch gelacht, die von der Eigendynamik der Popmusik nichts verstehen. Auch The Notwist hatten auf ihre Weise die Gitarre dem Erdboden gleichgemacht, sie eingeebnet als ein Instrument neben all den anderen. Jetzt, auf "The Devil, You + Me", was ja schon ein bluesartiger Plattentitel ist, sind es die Gitarren, die vor allem den Ton angeben: When I woke up this morning ... sah ich mit Facettenaugen in die Welt: eine akustisch, eine verzerrt, eine geschrammelt, eine, die das Feedback verzehrt, eine, von der die Melodie davongetragen wird. Das Kosmische, Wunderbare, Weilheim'sche an ihrer Musik haben The Notwist sehr angenehm geerdet.

Reden wir also nicht mehr von Adressen. Und auch nicht davon, dass es gefühlte Äonen gedauert hat, bis diese Platte erschien. Ab diesem Freitag kann man sie kaufen. Endlich.

TOBIAS RÜTHER

The Notwist, "The Devil, You + Me". City Slang 20184 (Universal)

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