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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2013

Ein Götzendienst an Mutter Wüste

Die Date Palms wirbeln Staub auf und beschwören Kalifornien als Land des Verglühens. Sie spielen in aller Ruhe, mit dem Temperament einer Wanderdüne.

Mehr Sonne geht nicht. Unbarmherzig steht sie am weißen Himmel dort droben, gleißt. Wabert. Dräut. Mehr Sonne geht nicht. Wenn jemand noch das ultimative Sommeralbum suchen sollte, unvermittelt dieses hier würden wir ihm, in unserem bewaberten, banngeschlagenen Sinne, in die Hand drücken und hätten dabei doch vergessen, was das gemeine Gemüt unter Sommer versteht: Sonne plus nämlich. Sonne plus Strand. Sonne plus Balkon. Sonne plus Schatten. Plus Radio, Eisladen, Bikinipanorama, Sonne plus Hechelhundchen, Sonnenöl, Frittenbude, Limonenbier, Urlaubszulage, Cabriofahren, Sonne plus Blattwerk, Waldschatten, Erfrischungstuch, Grillanzünder, Gelegenheitsbrise. Sonne plus Nichtsonne, dann und wann, wenn man sie braucht.

Wer an das alles bei Sonne denkt, der hat ja vom unerbittlichen Universum noch gar nichts verstanden. Der meint auch, es gäbe Geschichten zu erzählen, Lollipops zu lutschen, Popsongs zu singen, vom "Surfin' USA" der Beach Boys über Hüsker Düs "Celebrated Summer", Wellenkatis "Walkin' on Sunshine" bis hin zu, grübeln wir ermattend, na, wie auch immer diese drei Spanierinnen vor ein paar Jahren hießen, die auf den Tischen hupfend synchron mit ihren Armen gewedelt haben. Um diese Sonne geht es hier nicht, geht nicht um die Lebensspenderin, Blumensamenentwicklerin, Hormoneinspritzerin, geht nicht um den Zivilisationsmotor Sonne.

Was das erweiterte Duo Date Palms auf seinen "Dusted Sessions" eingespielt hat, ist vielmehr der monotone Gesang des brutzelnd einsamen Himmelskörpers, wie er vermittels seiner Radiowellen auf uns Irdische kommt beziehungsweise immer schon durchs Weltall gebrütet ist, lange, lange bevor wir - Farnwälder, Spinnen, Ameisen, Erdmännchen und Menschen - uns possierlich auf die trocknende Oberfläche des Planeten wagten: Da strahlte die Sonne ihr Lied schon seit Milliarden Jahren ab, so, wie sie auch nach unserer Zeit ihre prinzipiell ja durchaus vernichtenden Strahlen weiterhin durch die Gegend sengen wird. Kurz: Die Date Palms sind in die Wüste gefahren, haben vielleicht auch Inspiration aus einem träge zwischen Heißgestein sich dahinwindenden Fluss gesogen, der Unterschied ist ja nicht so groß, aus solarer Sicht - trocken, groß und tot ist die Welt, alles krabbelnde, liebende, fließende Gekreuch nur ein Zwischenspiel. Geschichten werden keine erzählt, gesungen wird nicht. Wozu auch? Sieben Stücke zerdehnen sich langsam, langsam über der CD. Analogsynthesizer, vor sich hin schmelzende Steel Guitars und die obertonreiche indische Tanpura wabern und klirren durch die Atmosphäre auf den Wüstenboden hinunter, dessen Fels unbeirrbar mit immer wieder denselben drei, vier Bassnoten reagiert. Violine und Gitarre geben die eine oder andere Verwirbelung im Sand, den einen oder anderen seltenen Lufthauch oder, wenn einem das als Vorstellung doch gar zu einsam erscheint, vielleicht eine leichte Verlagerung im Blick des todesmutigen Wüstenbesuchers - wobei der Tod ja auch nur eine abseitige Perspektive des Lebendigen ist. Die blanke, unhektische, zielbefreite Materie gibt es ja schon wesentlich länger, und eines ist gewiss: Könnte sie wählen, sie würde die Date Palms hören, dieses erweiterte Duo um Marielle Jakobsons und Gregg Kowalsky, die hiermit ihr drittes Album glücklicherweise vorlegen.

Ihr ganzer halbesoterischer, indianernaher Ansatz erscheint erst mal abschreckend - wann hat man zuletzt elfminütige Instrumentalstücke anhören wollen, in denen traditionelle indische Saiteninstrumente vorkommen? Doch ist alles viel, viel toller als befürchtet: Der schreckliche Muff der siebziger Jahre, der im hypnotisch Ausufernden die persönliche Entrückung und Überhebung suchte, die größtmögliche Grenzüberschreitung und den vollumfänglichen Orgasmus, hat hier keinen Platz. Die Date Palms spielen, was sie spielen, in aller Ruhe, mit dem Temperament einer Äolsharfe, Wanderdüne oder, natürlich, Dattelpalme. Und das macht ihre Musik wieder so hörbar, so kristallin: Mit anachronistisch anmutenden Mitteln wird hier doch im sachlichen Feingeist des Loops agiert, niemand will sich hervortun, niemand will ausbrechen, Haare schütteln, Schweiß verspritzen, den bösen Spießern seinen Po entgegenrecken. Niemand, kein Mensch also, soll eigentlich vorhanden sein in dieser Musik. Sie ist wie ein Gottesdienst an Mutter Wüste, nur eben nicht zur Menschenverblödung gespielt, sondern wirklich für die Wüste selbst. Oder, wem das lieber ist, für Papa Indianerfluss, den durch mehrere Titel des Albums still mäandernden Yuba. Ja, ja, auch das ist Kalifornien! Das Land des Verglühens. Der Transformation vielleicht.

Dass das Album, wie draufsteht, während einer Sonnenfinsternis eingespielt wurde, als die kalifornische Wüstensonne nämlich hinterm schwarzen Mond verschwand im Mai 2012, mag man ja gar nicht glauben. Aber die "Dusted Sessions" haben sicher geholfen, sie wieder hervorzulocken.

KLAUS UNGERER

Date Palms,

The Dusted

Sessions

Thrilljockey 336 (Rough Trade)

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