Produktdetails
  • Anzahl: 1 Audio CD
  • Erscheinungstermin: 30. Juni 2011
  • Hersteller: Polydor / Universal Music,
  • EAN: 0602527742786
  • Artikelnr.: 33600225
Trackliste
CD
1Little Shocks00:03:42
2Things Change00:03:45
3Long Way From Celebrating00:03:04
4Starts With Nothing00:05:33
5Out Of Focus00:04:09
6Dead Or In Serious Trouble00:02:37
7When All Is Quiet00:03:28
8Kinda Girl You Are00:02:36
9Man On Mars00:04:10
10Child Of The Jago00:04:41
11Heard It Break00:03:09
12Coming Up For Air00:05:35
13If You Will Have Me00:13:28
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2011

Das gefällt dem Herrn von der Hamburg-Mannheimer
Die Bastelanleitung als Ablenkungsmanöver: Die Kaiser Chiefs halten sich für die Avantgarde, sind aber nur nett

Dinge wandeln sich. So singt es Ricky Wilsons klare Stimme im zweiten Stück des Albums. Dabei meint man, zwischen verspieltem Piano, jaulender Gitarre und hämmerndem Schlagzeug schwinge ein trotzig herausgepresstes Ausrufezeichen mit. "Things Change" kommt zwar als Beziehungstrennungslied daher, aber vielleicht kann man es zwischen den Zeilen auch als Warnung begreifen - als wollten die Kaiser Chiefs ihre Hörer wissen lassen: Nein, erwartet euch bloß kein allzu eingängiges Konzept von "The Future Is Medieval". So heißt nämlich die neue Platte.

Sie klingt zunächst etwas düsterer als der stilistisch gefällige Vorgänger "Yours Truly, Angry Mob" aus dem Jahr 2007. Seit sich die Fußball-Welt die Single "Ruby" für ihre Zwecke angeeignet hat, werden die Kaiser Chiefs jedenfalls kaum noch als würdige Erben des britischen Independent-Pop gehandelt - Massenkompatibilität ist eben der Rufmord schlechthin.

So entpuppt sich "The Future Is Medieval" insgesamt als der etwas bemühte Versuch, das Renommee, das die Band einst hatte, über das Marketing und den Sound des Zeitgeists zu erneuern. Denn es gibt dieses Album auch zum Selbstbasteln: Auf der Homepage kaiserchiefs.com kann man sich ganz nach Gusto eine eigene Version des Albums mit zehn Liedern zusammenstellen: Mit animierten Verstärkersteckern klickt man auf Symbole, die wie Setzkastenfigürchen ausschauen, und legt damit die Reihenfolge der Songs fest. Anschließend darf man sich gestalterisch verausgaben und sich einige der kuriosen bis gruseligen Motive für das Cover aussuchen. Der Rechenschieber mit bunten Totenkopfperlen macht sich zum Beispiel sehr gut neben einem Londoner Briefkasten mit Augen und roten Tintenfischtentakeln.

Zum anderen haben die Kaiser Chiefs zusammen mit Tony Visconti, der schon Sänger wie David Bowie und Morrissey produzierte, offensichtlich tief in den Zauberkasten der elektronischen Klangkunst gegriffen. Wie es heute üblich ist, kommt kaum ein Stück ohne Synthesizer und Computereffekte aus. Das überrascht im ersten Moment, ist man von der im Jahre 2003 in Leeds gegründeten Band doch vorrangig solide Gitarrenarbeit mit Schlagzeug gewohnt. Aber Dinge wandeln sich ja.

Nur leider kommt es einem von Lied zu Lied so vor, als feierten Kaiser Chiefs einen etwas verspäteten Avantgardismus, den man den jungen Männern mit ihren topfgeschnittenen Frisuren und den Gymnasiallehrersakkos nicht abnimmt. Anders als etwa bei der überraschenden Wende von Radiohead Ende der neunziger Jahre lässt "The Future Is Medieval" die Idee von einem Gesamtkonzept vermissen.

In den ersten Takten klingen die meisten Stücke, wie Stücke der Kaiser Chiefs nun einmal klingen, also nach einer Mischung aus Beatles, Beach Boys und Madness - ganz nett -, und man fängt irgendwann an, beim Hören mit dem Fuß zu wippen. Dann setzen irgendwann Synthesizervariationen ein, so dass sich der Zuhörer auf der glatten Tanzfläche eines Achtziger-Jahre-Clubs wähnen mag, und eine Diskokugel dreht sich über dem Kopf.

Aber so richtig stimmig sind die Arrangements nicht. Sie klingen vielmehr, als stünden Instrumente und synthetischer Sound in Konkurrenz zueinander, als versuchte hier jeder, so laut zu schreien und überhaupt so aufdringlich zu sein wie möglich. "Out of Focus" zum Beispiel entwickelt sich irgendwann zu einem Klangteppich des Gepiepses, der gehörig auf die Nerven geht. Vielleicht stimmt, was Ricky Wilson da singt: "I was just out of the focus".

Man sollte keiner Band vorwerfen, sie hätte zu viel experimentiert. Doch in diesem Fall verbergen sich unter der Oberfläche des Achtziger-Jahre-Synthesizer-Pops kaum mehr als die netten Kaiser Chiefs von nebenan. So gewinnt der Zuhörer den Eindruck, das Elektrozeug sei ein Ablenkungsmanöver, die Band wolle bloß ihre Einfallslosigkeit kaschieren. Bisweilen möchte man wirklich einfach auf Stopp drücken und lieber die Gruppe Madness hören, da piepst es nicht so aufdringlich.

Dabei präsentieren die Kaiser Chiefs in Gestalt von "Child the of Jago" nun auch ein Stück, das keine Elektro-Kopie des Britpop, sondern im besten Sinne anders ist. Diese dunkle Adaption der gleichnamigen Novelle von Arthur Morrison (1863 bis 1945) über die Verhältnisse in einem Londoner Slum Ende des neunzehnten Jahrhunderts ist eine sphärische Mischung aus bass- und gitarrenlastigem Gerummel, maßvoll eingestreutem Synthesizern und einer Botschaft, die man auch als Reflexion über die zeitgenössische Stadt und moderne Armut verstehen kann. Die Zukunft ist mittelalterlich - so sehen es zumindest diese fünf immer noch jungen Männer. Und eigentlich ist das auch eine ziemlich reife Erkenntnis: Wandel muss nicht immer Fortschritt bedeuten.

EVA BERENDSEN

Kaiser Chiefs,

The Future is Medieval

Polydor 2276858 (Universal Music)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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