Produktdetails
- Hersteller: Sakkaris,
- EAN: 4011222992758
- Artikelnr.: 37037125
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Verdis "Nabucco" an der Deutschen Oper Berlin
Mit einem Ungetüm, einer Druckmaschine aus Stahl, die dekorativ auf der Drehbühne kreist, vervielfältigen die Hebräer ihre Schriften. Zaccaria, der Oberpriester, hat die Macht gedruckter Propaganda erkannt, bald hängt die Bühne voll mit biblischen Weisheiten. Nur nützt den Hebräern alle Druckerschwärze nichts, weil die militärisch überlegenen Babylonier sich den Teufel um Prophetensprüche scheren. Sie lassen den lieben Gott, der von Zeit zu Zeit mit Kummermiene durch die Kulissen schlurft, einen guten Mann sein. Verdammt heutig wirken diese Belagerer Jerusalems! Bei der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Frühwerk "Nabucco", mit dem die Deutsche Oper Berlin die Spielzeit eröffnete, verzichtet Regisseur Keith Warner auf den historischen Rahmen. Er verlegt das Geschehen um Abigaille, die machtversessene Bastard-Tochter Nabuccos, und ihren mit Wahnsinn geschlagenen Vater ins bürgerliche neunzehnte Jahrhundert, irgendwann kurz nach Erfindung des Rotationsdrucks. Das ist aber auch schon die einzig tragende Inszenierungsidee.
Ansonsten rotieren die Bühnenbauten von Tilo Steffens munter um sich selbst, Mauern gleiten auf und zu, die Bühne teilt ein mit Speeren bewehrtes Scherengitter, das jeden Nachbarschaftsstreit schlichten könnte; als Symbol für Nabuccos Wahn wirkt es dagegen plump. Wenn es ganz dramatisch wird, treten die Sänger an die Rampe, schicken ihre Spitzentöne ins Parkett und ringen die Hände. Nein, weder konzeptionell noch handwerklich ist der Regisseur so richtig fertig geworden mit dieser Produktion.
Jubel gibt es dagegen, zu Recht, für den Chor der Deutschen Oper. Ihm gelingt in der Einstudierung von William Spaulding das Kunststück, den berühmten Gefangenenchor vor aller Mitschunkelseligkeit zu bewahren. Das "Va, pensiero" erklingt hier fast durchweg leise, "sotto voce", wie von Verdi verlangt - als träumerisch versunkenes Gebet an die ferne Heimat. Alles bleibt Vision, Verheißung. Selbst der Fortissimo-Ausbruch "Arpa d'or", entrückt nach Cis-Dur, hat nichts Aufrührerisches. Im Programmheft weist Anselm Gerhard denn auch nach, dass die Politkarriere dieses Chores im Risorgimento offenbar zu den Legenden der Verdi-Rezeption gehört.
In der Rolle der Abigaille, die als "Killerpartie" verschrien ist, hat Verdi zwei grundverschiedene Stimmtypen verbunden: Spinto- und Koloratursopran. Anna Smirnova, die aus dem Mezzo-Fach kommt, schlägt sich wacker, vor allem in ihrer Belcanto-Szene "Anch'io dischiuso . . . Salgo già del trono". Später wird die Tongebung pastos, das Timbre monochrom, Schärfen schleichen sich ein.
Johan Reuter bleibt als Nabucco uncharismatisch und stimmlich blass; ihm fehlt die für Verdis Baritonrollen unabdingbare frei flutende Höhe. Yosep Kang singt einen technisch untadeligen Ismaele, weiß aber mit der Rolle des tragischen Lovers wenig anzufangen. Jana Kurucová hat als Königstochter Fenena mit ihrem schönen, aber wenig charakteristischen Sopran gegen die immer enthemmter auftrumpfende Abigaille keine Chance. Herausragend, mit wahrer Boris-Godunow-Wucht singt Vitalij Kowaljow die Partie des papiergläubigen Zaccaria.
Dem erst sechsundzwanzig Jahre alten Dirigenten Andrea Battistoni merkt man seine Erfahrung als Kapellmeister an italienischen Theatern und im Hexenkessel der Arena di Verona an: Er hat ein mitreißendes Gespür für Massenszenen und entfacht jene Dramatik, die der Szenerie so gründlich abgeht. Dass dabei manches "al fresco" gerät, passt durchaus zum Furor von Verdis jugendwilder Partitur. Ein Genieblitz wie das Solo der sechsfach geteilten Cellogruppe zur Preghiera des Zaccaria kommt dennoch plastisch zur Geltung, und das Orchester der Deutschen Oper lässt sich auch sonst mit Verve und Präzision auf den Feuerkopf am Pult ein.
CHRISTIAN WILDHAGEN
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