Vom Meister der Verfremdung
Bryan Ferry liebte es während der Produktion von „The Jazz Age“, Freunde und Bekannte mit dem Auflegen seiner neuesten musikalischen Streiche – welch Doppelbedeutung – zu verwirren. Tatsächlich ist diese 37 Minuten und 40 Sekunde kurze CD zum Teil auch ein Ratespiel.
Gerade jene Hörer, die von Bryan Ferry oder Roxy Music vielleicht nur zwei, drei Titel kennen, werden…mehrVom Meister der Verfremdung
Bryan Ferry liebte es während der Produktion von „The Jazz Age“, Freunde und Bekannte mit dem Auflegen seiner neuesten musikalischen Streiche – welch Doppelbedeutung – zu verwirren. Tatsächlich ist diese 37 Minuten und 40 Sekunde kurze CD zum Teil auch ein Ratespiel. Gerade jene Hörer, die von Bryan Ferry oder Roxy Music vielleicht nur zwei, drei Titel kennen, werden sich anfangs schwer tun. Die bekannten Melodien tauchen kurz auf, manchmal auch erst spät, und werden ansonsten der Interpretation durch eine beängstigend authentisch aufspielenden Retro-Band anheimgestellt.
Weil das aufspielende „The Bryan Ferry Orchestra“ auch so produziert ist, als hätte man es in den 1920ern aufgenommen, klingt das Ganze für heutige Pop-Ohren maximal verwirrend. Doch mit jedem weiteren Hören des Albums gewinnt dieser dünne New-Orleans-Sound an Wärme und Farbe. Irgendwo zwischen Louis Armstrong, dem Popgiganten seiner Zeit, und Duke Ellington, dem Meister der Verfeinerung, wollte Ferry 42 Jahre nach seinem ersten Hit „Virginia Plain“ diese Musik angesiedelt wissen. Die Musiker, die auf „The Jazz Age“ spielen, agierten bereits auf dem 1999er Album „As Time Goes By“, auf dem sich Ferry Stücken der 30er und 40er Jahre widmete.
„The Jazz Age“, auf dem weder Bryan Ferrys Stimme noch ein von ihm gespielter Ton zu hören ist, ist mit Sicherheit eine der radikalsten Popideen des vergangenen Jahres. Damit das Album im Sinne Ferrys auf dem favorisierten Vinyl-Format funktioniert, hielt er das Werk mit knapp 38 Minuten entsprechend kurz: Er spricht von A- und B-Seite, nur zwei Stücke überschreiten die Vier-Minuten-Grenze. Künstlerisch betrachtet sind die 13 Stücke – von den 1973er Roxy Music Klassikern „Do The Strand“ oder „The Bogus Man“ bis hin zu „Reason Or Rhyme“ vom 2010 erschienenen Album „Olympia“ – jedoch mehr als eine skurrile Idee.
Ähnlich wie in einem guten Woody Allen-Film hört selbst der vom Jazz der alten Tage unbeleckte Konsument im Verlauf des Kunstwerks immer weniger das Alter der Musik, sondern genießt mit zunehmender Vereinnahmung nur noch Melodie und Swing des akustischen Geschehens. Weg vom Frühschoppen mit Dixieland, hin zum ganz großen Gatsby.