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Produktdetails
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  • Universal Music GmbH
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  • 10243 Berlin
  • productsafety@umusic.com
Autorenporträt
Sting, 1951 als Gordon Matthew Sumner in Wallsend, Northumberland bei Newcastle Upon Tyne geboren, hat die Geschichte der Popmusik wie kaum ein zweiter geprägt. Bevor er für "Police" zum Bass griff oder mit jungen Jazzmusikern an seinen ersten Soloalben feilte, lernte der Sohn eines Milchmanns wie man Gräben aushebt, Englisch unterrichtet, aus Teenagern eine Fußballmannschaft formt und im Jazz für Groove sorgt.
Nach dem komentenhaften Aufstieg des Trios "Police", setzte er seine Karriere solo fort - seine Schallplatten gewannen alle Preise und Awards, sein Engagement für Amnesty International und den brasilianischen Regenwald brachten ihm weltweit Respekt und Anerkennung.
Trackliste
LP
1The Last Ship00:03:50
2Dead Man's Boots00:03:30
3And Yet00:03:53
4August Winds00:03:18
5Language Of Birds00:03:30
6Practical Arrangement00:03:20
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2014

Wenn dein Eisenfuß es will

Der Rockmusiker Sting will den Broadway mit einem Musical erobern: "The Last Ship" ist in seinem eigenen Leben und in Warschau verankert. Und der Aufstand geht hier mit einem Aufstampfen los.

NEW YORK, 6. November

Der Zorn schwillt an, der Eifer braust, die Wut schäumt über: Der Männerchor drängt herbei, vorangepeitscht von einem Hymnus auf das grund- und bodenlose Hoffen, das Hoffen um des Hoffens willen, eine revolutionäre Springflut. Und dann springen sie wirklich, die entlassenen Arbeiter der stillgelegten Werft in Wellsend an der Nordseeküste Englands. Sie rennen auf den Zaun des Werftgeländes zu und heben ab, machen einen großen kollektiven Satz und krallen sich allesamt am Maschendraht fest. Die Musik bricht ab, das Bild friert ein, es wird schwarz im Neil-Simon-Theater: ein fabelhafter Schluss für den ersten Akt von "The Last Ship", dem Musical, mit dem Sting, alter Fahrensmann der Rockmusik-Weltmeere, als Broadway-Komponist debütiert. Das Material des gleichnamigen Konzeptalbums (F.A.Z. vom 27. September 2013) hat er um vier ältere Titel ergänzt.

Alles scheint möglich, als die Geschichte angehalten wird: Das Arbeiterklassenziel ist zum Greifen nah, hinter dem Zaun liegt noch unverschrottet und unverschifft der Maschinenpark, aus dem sagenumtoste Ozeanriesen emporgewachsen sind. Aber die Momentaufnahme des Aktschlussbildes setzt auch böse Ahnungen frei. Die sprunggewaltigen Recken hängen plötzlich fest, gefangen im Käfig ihrer heroischen Erinnerungen. Sie haben sich in die Überzeugung hineingesteigert, dass man den Gang der Dinge so einfach rückgängig machen kann, wie man einen Hebel umlegt: Alle Räder kreischen schrill, wenn dein Eisenfuß es will.

Die Arbeiterbewegung beginnt mit der Beinarbeit, der Aufstand entsteht aus dem Aufstampfen. Der Vorarbeiter mobilisiert die Kollegen mit der rhetorischen Frage: "What have we got?" Er will das Reimwort "nought" hören. Sie haben nichts - nichts zu verlieren als ihre Stimmbänder und Sprunggelenke. Wer nichts in der Hand hat und nichts in der Hinterhand, hat auch kein Argument für den Arbeitskampf. Der Rhythmus, der Rausch des Ganzkörpereinsatzes, ersetzt die Gründe.

Jedes Broadway-Musical braucht einen gewaltigen Apparat. Sting hat ein Sujet aus der Sphäre gewählt, die seit jeher die Untergrundmetaphorik der Branche liefert. Hinter den Kulissen eines Musicaltheaters sieht es aus wie im Maschinenraum eines Schiffes. Die Zugmaschinerie, mit der die Kulissenwände in die Unsichtbarkeit des Bühnenhimmels entrückt werden, bezeichnet man mit dem Wort für Takelage: "rigging". Manche Unglaubwürdigkeit der Handlung von "The Last Ship" toleriert man, weil das Setting unzweifelhaft authentisch ist: Man blickt in den Schiffsbauch des Theaterbetriebs, freut sich über Kletterstangen und Werkzeugkästen, Insignien einer Arbeit, die nicht ausgelagert werden kann.

Es ist üblich, dass Statisten und Chorsänger Requisiten von der Bühne tragen, der Schnelligkeit des Umbaus zuliebe. Hier sind die Sänger geborene Bühnenarbeiter. Wenn Tische und Stühle der Hafenkneipe von Hand zu Hand gehen, packen sie so beherzt an, dass es eine Wucht ist. Die schweren Jungs im Ensemble legen sich naturgemäß schwer ins Zeug.

Leider hält der zweite Akt nicht ganz, was der erste verspricht. Die lokale Occupy-Bewegung siegt beinahe kampflos. Zunächst liefern sich die Ausgesperrten eine Schlacht mit den Sicherheitsleuten des neuen Eigentümers. Warum die Firma für Altmetallverwertung dann ihre Truppen abzieht, wird nicht erklärt. Stolz haben die Schiffbauarbeiter es abgelehnt, sich als Industriemüllmänner ihr Gnadenbrot zu verdienen. Aus dem alten Eisen, zu dem sie geworfen werden, wollen sie lieber das letzte Schiff des Stücktitels heraushauen. Und wenn es auf Gottes weiter Erde nirgendwo einen Abnehmer für ein solches Einzelstück gibt, werden sie eben selbst an Bord gehen.

Diese Geschichte ist nicht so unrealistisch, wie von einigen Kritikern behauptet. Im Jahre 2009 stand sie mehr oder weniger so in der "New York Times". Demnach zimmern polnische Obdachlose, darunter Veteranen der Danziger Lenin-Werft, seit 2006 in Warschau einen Schiffsrumpf, in dem sie auf Weltreise gehen wollen, angestiftet von einem singenden Arbeiterpriester, der inzwischen verstorben ist und auf dessen Namen sie ihr Boot taufen wollen. So stellt in Stings Wallsend der katholische Ortspfarrer Mittel aus dem Baufonds der Pfarrkirche zur Verfügung sowie spirituellen Proviant in Form hochprozentiger Kneipenpredigten über die Würde der Arbeit.

Den Segen von Papst Franziskus hätte dieser Father Jim wohl, der die Umwidmung der Gelder nicht für eine Zweckentfremdung hält. Seine Vision des letzten Schiffes ist eine Kapelle, eine bewegliche Autobahnkirche für Wasserstraßen, die auf der Jungfernfahrt als seine Grabeskirche dienen wird. Wie die irischen Mönche des Frühmittelalters ist er ein Wanderer; nach der letzten Zigarette und dem letzten Bier wird er auf See seine letzte Unruhe finden. Seine Pfarrkinder dagegen haben das kirchenrechtliche Prinzip der stabilitas loci verinnerlicht: Sie beten und arbeiten ihr Leben lang an demselben Ort, auch wenn es dort keine Arbeit mehr gibt.

Die Fertigstellung des polnischen Prototyps des letzten Schiffs ist Jahr für Jahr hinausgeschoben worden. In diesem Jahr erhielt eine Besucherin die Auskunft, das Schiff sei ja längst in Betrieb: Es ziehe Journalisten und Spenden an und gebe den Obdachlosen etwas zu tun. Der Weltreisedampfer ist als Metapher konstruiert. So ist auch das opus ultimum der Werft von Wallsend eine poetische Idee, das Emblem einer Arbeitsleistung, die zuletzt ihr eigener Lohn ist. Ein Seelenkäufer: Wer Hand anlegt, erwirbt die Freiheit.

Gleich viermal wird im Musical der Titelsong angestimmt, die Beschwörung des apokalyptischen Lärms, der um den "Berg aus Stahl" ist, wenn der Glaube ihn vom Land aufs Wasser versetzt. Sting ist ein großartiges Bild gelungen. Die Kirche erkennt ihr Symbol in der Arche, aber dahinter zeichnet sich mit der Figur des Totenschiffs eine heidnische Motivik ab, die Vorstellungswelt einer natürlichen Religion, die sich dem Schicksal ergibt, indem sie den Elementen trotzt und ihre Tempel nahe am Wasser gebaut hat.

Als das Lebensgeisterschiff ablegt, fahren nicht alle mit. Der Realismus hat seine Sprecher in der Crew und siegt in der Liebeshandlung, die das Stück mit der Legende von der letzten Werftarbeitermeuterei zusammenschweißt. Am letzten Schiff hämmert Gideon Fletcher mit, der sich um keinen Preis in den Docks verdingen wollte und lieber aus Wallsend fortging, wie sein Erfinder, der dort vor 63 Jahren als Gordon Sumner geboren wurde. Als der verlorene Sohn heimkehrt, will er die Freundin zurückgewinnen, die er vor fünfzehn Jahren im Hafen stehen ließ. Sie lebt nun mit einem Mann zusammen, der sich mit dem Feind eingelassen hat, dem Abwrackunternehmer. Aber der Rivale ist kein Schurke. Sting möchte offenkundig, dass man es sich mit der Sympathie für seinen Doppelgänger nicht zu leicht macht. Das ist ein höchst sympathischer Zug, aber ohne Spielverderber fehlt es dem zweiten Akt an zwingender Dramatik.

Oder möchte Sting vorführen, wie Gewaltbereitschaft in Kooperationsfähigkeit verwandelt wird? In der Arrestzelle erzählt Gideon dem Sohn, von dem er nichts wusste, wie er sich als Halbstarker nur mit Fäusten artikulierte, ehe er sich das Tanzen beibrachte. Einen Kritiker ließ "The Night The Pugilist Learned How To Dance" an Jerry Herman denken, den Komponisten von "Hello, Dolly!", nur dass Herman sich einen schmissigeren Titel für das Lied habe einfallen lassen. Aber der altmodische Begriff "pugilist" zeigt, dass das Boxen ein altehrwürdiges Handwerk ist. Gideon hat es nicht verlernt.

Aus dem springlebendigen und stimmkräftigen Ensemble ragt der Vorarbeiter Jimmy Nail heraus, der in der Nähe von Wallsend aufwuchs, auf einer Werft gearbeitet hat und seinen Künstlernamen seit einem Arbeitsunfall trägt. Sein stentorisches "What have we got?" könnte man selbst an einem nebligen Tag zwanzig Kilometer gegen den Wind hören. Angesichts von Stings hochseetüchtigem Showboat muss die Antwort lauten: A heck of a lot!

PATRICK BAHNERS

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