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Produktdetails
Trackliste
CD
1The times they are a-changin'00:03:15
2Ballad of Hollis Brown00:05:06
3With God on our side00:07:08
4One too many mornings00:02:41
5North country blues00:04:35
6Only a pawn in their game00:03:33
7Boots of Spanish leather00:04:40
8When the ship comes in00:03:18
9The lonesome death of Hattie Carroll00:05:48
10Restless farewell00:05:32
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2006

Akrobaten schööön
Nichtmusical: Twyla Tharp inszeniert Dylans "The Times They Are A-Changin'"

SAN DIEGO, 10. Februar

Unplugged ist das Ding, das da unter dem irgendwie vertraut klingenden Titel "The Times They Are A-Changin'" über die Bühne dröhnt, nachweislich nicht. Wer seinen phonstark beanspruchten Ohren nicht traut, kann sich im Programmheft vergewissern: Dort wird nicht nur die Mitwirkung Henry Aronsons als Music Director und William Meades als Musical Coordinator bestätigt, sondern auch François Bergeron fürs Sounddesign verantwortlich gemacht und der vielbeschäftigte Michael Dansicker als Allroundmusiker vorgestellt, der die Musik für eine Fünf-Mann-Band adaptiert, arrangiert, orchestriert und sogar überwacht hat. Für ein Ding, das zwar im Old Globe Theatre von San Diego uraufgeführt wird, dabei aber Kurs auf den Broadway nimmt, obwohl es statt Musical lieber "Musical Event" heißen will, ist solch eine musiktechnologische Aufbereitung eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dennoch wollen sich die Ohren nicht fügen, allein weil der Lieferant des musikalischen Grundmaterials den Namen Bob Dylan trägt.

Bevor jetzt zeitbedingt auch vom Pazifik her fundamentalistisches Geheul über die blasphemische Behandlung eines Propheten ausbrechen könnte, sei daran erinnert, wie schon der heilige Bob persönlich seine Musik in die Steckdose steckte und andere, von Jimi Hendrix bis Sheryl Crow und von Duke Ellington bis Garth Brooks, nicht immer in demutsvollem Uneigennutz damit verfuhren. Mit dem Ding, das kein Musical sein mag, hat es indes seine besondere Bewandtnis. Es klingt unüberhörbar nach Musical. Was im Bannkreis von Dylan doch jenseits des Sakrilegs Probleme aufwirft, sehr besondere Probleme, die von Sängern, die viel besser singen als der Singer/Songwriter gestern oder heute, noch glamourös verschärft werden. In diesem Glamour aber, der dem Broadway nicht auszutreiben ist, gerinnen die knapp dreißig, vornehmlich klassischen Dylan-Songs, aus denen sich "The Times They Are A-Changin'" zusammensetzt, zur zuckrigen Hitparade, wenn nicht zur Las-Vegas-tauglichen Nummernrevue. Es darf mitgeklatscht werden.

Der Titelsong, den Michael Arden so bravourös intoniert, als wär's eine Ballade aus "A Chorus Line", und darum bald pathetisch in den Hymnus steigert, ist das Modell für den gesamten, gerade mal neunzig pausenlose Minuten kurzen Abend. Wo einst der Folkrocker knurrig und knarzig auf Authentizitätssuche ging, verschaffen sich jetzt Showtunes mit all ihrem magischen Illusionsklimbim Gehör. "Blowin' in the Wind" und "I Believe in You" kehren als verführerisch geschminkte Duette zurück, aus denen Lord Lloyd Webber ein halbes Dutzend Hitmusicals geschneidert hätte. "Mr. Tambourine Man" bietet Arden die Gelegenheit, revueselig auf einem glitzernden Halbmond über die Bühne zu schweben, während im Schattenriß ein Knochenmann die Szene verdüstert.

Worauf das abzielen könnte, müßten wir nun nicht Dylan, sondern Twyla Tharp fragen, die Regie führt, sich die Choreographie und vor allem das dramatische Konzept ausgedacht hat. Amerikas Starchoreographin, aus demselben Jahrgang wie Dylan und auf ihre Art kaum weniger legendär, hat sich offenbar vorgenommen, dem Meister der poetischen Verrätselung Konkurrenz zu machen. Dabei folgt sie zunächst ihrer eigenen Erfolgsformel, der sie "Movin' Out" verdankt, ein unwiderstehliches Hit-Musical, in dem Billy Joel mit seinen Songs die Fahrkarten für eine getanzte Zeitreise in die Vietnam-Ära verteilt. Bei allen poppigen Piano-Man-Meriten ist Joel kein Dylan, wie auch Tharp weiß, und sicher erzählt sie darum keine einfache Geschichte, strengt sich vielmehr mächtig an, einer tieflotenden, anspielungsreichen und, wie es scheint, möglichst unergründlichen Szenenfolge so etwas wie ein ontologisches Dreiecksdrama einzuverleiben. Zieht es amerikanische Künstler hinab in die Tiefe des Seins, machen sie gern bedeutungsschwanger bei Melville halt, und also verbandelt Tharp Melvilles Ahab mit Dylans Arab, der wie sein Sohn Coyote sich für die Reize der blonden Dompteuse Cleo empfänglich zeigt. Vorsicht, Generationenkonflikt!

Tharps "The Times They Are A-Changin'" spielt, ach was, verirrt und vermeditiert sich in einem heruntergekommenen Wanderzirkus, den Santo Loquasto, Woody Allens liebster Filmausstatter, malerisch verschmuddelt hat. Als hätte sie von Dylan einen Freibrief zur metaphorischen Verschlüsselung erhalten, steckt sie den alten Arab in die Maske des alten Dylan, erspart es seiner jungen Version aber, sich in Coyote zu verwandeln. Ob sich Tharp zudem in Cleo wiedererkennt, bleibt geheim. Jedenfalls drohen die drei hauptsächlich und gut singenden Protagonisten Dylans Weltdestillat zur Befindlichkeitslimonade zu verwässern. Das am amerikanischen Mythos zu allgemein herumwerkelnde Drama entspricht freilich genau dem Sound, der mit der Broadwayfizierung Dylans nichts hinzugewinnt, sondern unendlich viel verliert.

Für den Lichtblick sorgt die Choreographie. Und davon gibt es nicht genug. Denn dramenhaft steht ihr die Beziehungskiste im Weg. Sobald der Zirkus sich dagegen in den Vordergrund drängt oder auch nur im Hintergrund wuselt, beginnt das Nichtmusical zu leben, und zwar ekstatisch. Zu feiern und zu bewundern ist diesmal nicht nur Twyla Tharps untrügliches Pop- und Rockgespür, mit dem sie bereits zwischen Frank Sinatra und Bruce Springsteen Choreographie in atmosphärisch unvergeßliche, zarte und rauhe, sublime und explosive Bilder auflöst hatte. In der Zirkusluft steigert sie ihren Tanz in eine sagenhaft tänzerische Akrobatik. Nie hat sie ihr schlingerndes, gummigelenkiges Bewegungsvokabular virtuoser eingesetzt, selten eleganter die Körper über gebeugte Rücken quirlen und die Gliedmaßen expressiver flattern und baumeln lassen. Ihre fabelhaften Tänzer entwickeln mit Flickflackserien und freihändigem Radschlagen bis zum Schluß einen Drive, dem es fast gelingt, jeden Einwand hinwegzufegen. In den Bühnenboden eingebaute Trampolinstrecken schleudern die Choreographie in buchstäblich höhere und weitere Dimensionen. Dylans Musik tut das nicht immer gut. Die Applauskaskaden, die regelmäßig über Saltoketten und Körpergewirbel niedergehen, nehmen auf den Songwriter keine Rücksicht.

Den Abend retten die Akrobatentänzer allerdings nicht, obwohl er ganz vertan nicht sein kann, wenn dreißigmal Dylan auf dem Programm steht und dazu das Genie der Tharp sporadisch aufflackert. Die Enttäuschung über eine verpaßte Gelegenheit ist aber groß und wird auch nicht kleiner, weil das Publikum die obligaten Ovationen im Stehen abliefert. New York darf gleichwohl, schon der raren Legendenkombination wegen, nächste Station sein. Wie so viele andere für den Broadway bestimmte Stücke und Musicals ist "The Times They Are A-Changin'" in San Diego offiziell nur getestet worden. Das Testergebnis müßte Korrekturen nach sich ziehen. Vorausgesetzt, das Ding ist korrigierbar.

JORDAN MEJIAS

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