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Trackliste
CD
1Va00:04:26
2Viens m'emporter00:03:51
3Tu ne m'aimes plus00:04:53
4J'ai connu00:03:33
5Ce printemps-là00:05:37
6Elle00:03:17
7Flamenca Flamenco00:03:45
8Les jours00:03:32
9Que j'aime j'aime ça00:05:35
10Des coups de poing00:05:18
11La vie est faite de hasard00:04:55
12L'instinct Du Chasseur00:02:41
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Weisheit seines Lebens

Charles Aznavour ist jetzt 87 Jahre alt und steht immer noch mit Haut und Haar für das ein, was er singt. In Chanson-Krisenzeiten brauchen wir ihn mehr denn je.

Seit langem verwendet wohl kein Sanatorium der westlichen Welt mehr Zwangsjacken. Und doch kennen wir alle die Geste, in die dieses Utensil die Betroffenen zwang, diese um den eigenen Brustkorb geschlungenen Arme, die jede Aktion verhindern. Vor langer Zeit übernahm Charles Aznavour sie für sein Chanson "Comme il disent", in dem er das Leben eines Schwulen zwischen billigen Travestieshows, möblierten Zimmern, verleugneten Lieben und der großen Verachtung schildert. Endlose viereinhalb, das Publikum bannende, bewegungslose Minuten verharrte er bei der Liedpremiere im Olympia in dieser Pose, die ausweglosen Zwang symbolisiert, aber auch Selbstschutz - und die Fähigkeit, zu umarmen, Schutz zu schenken.

Jeder wusste, dass Aznavour alles andere als schwul ist, und doch identifizierte ihn in diesem Moment jeder mit denen, die seinerzeit noch als störende, lästige oder lächerliche Minderheit galten. Sang er "La Mamma", dann erkannten alle ihn ihm den süditalienischen Gastarbeiter, der nach Jahren zitternd ins Heimatdorf reist, um beim Sterben der Mutter anwesend zu sein. In "Que c'est triste Venise" war er ein Nachkomme von Thomas Manns Gustav von Aschenbach, der an Venedigs Melancholie zugrunde geht. In "Mes emmerdes" glaubte ihm, zwei Generationen vor dem Begriff, jeder den konkurrenzlosen womanizer, in "La Boheme" den ewig ausgegrenzten Künstler. Und mit "Elle" trieb er auf dem Höhepunkt der freien Liebe mit seiner zärtlichen scheuen Hymne auf die Lebensfrau selbst Achtundsechzigern sehnsüchtige Tränen in die Augen.

Jetzt ist Charles Aznavour 87 Jahre alt, und die Zeit scheint ihn und seine Kunst überholt zu haben. Idol ist heute, wer, wie Lady Gaga, Madonna oder Robbie Williams, sich wöchentlich neu erfindet, bei jedem Konzert die Identitäten wechselt wie unsereins das T-Shirt. Doch als der Altmeister vor drei Jahren im Pariser Palais des Congrès auftrat, füllten drei Abende lang fünfzigtausend die Riesenarena. Und als vor wenigen Wochen ein vierwöchiges Aznavour-Gastspiel im Olympia angekündigt wurde, waren sämtliche Vorstellungen binnen Stunden ausverkauft. Warum? Weil nicht nur in Frankreich das Grauen darüber umgeht, dass es keine Chansonetten und Chansonniers mehr gibt, niemand mehr mit Stimme und Körper, Musik und Text einsteht für die Dinge des Lebens, die trotz iPod und Twitter, Finanzkrise, Klimawandel und Neokapitalismus zählen. Edith Piaf, Regine, Barbara oder Juliette Greco, Charles Trenet, Maurice Chevalier, Georges Brassens, Yves Montand, Jacques Brel und Gilbert Bécaud - sie alle bürgten mit Haut und Haar für das, was sie sangen, seien es die großen Leidenschaften oder Alltagsbegebenheiten, ein Croissant am Morgen oder die letzten Schritte vor dem Tod.

Für fast jeden von ihnen hat Charles Aznavour komponiert und getextet, ehe er sein eigener Interpret wurde - und der vielleicht beständigste Darsteller seiner selbst, in dem, wie in jedem von uns, tausend Personen und mehr wohnen, Feiglinge und Helden, Gaukler, Partisanen, Buchhalter und Phantasten, Wüstlinge und Moralapostel, Kinder und Greise. Das macht Charles Aznavour, den neben der Greco Letzten dieser Kunst, in den Zeiten stetiger Verwandlung und Unverbindlichkeit so unentbehrlich - und es flößt einem Angst ein, den Siebenundachtzigjährigen könne die Kraft verlassen. Diese Angst ist noch unbegründet: Seit 2006 bei EMI unter Vertrag, hat er jetzt das dritte Album innerhalb von zwei Jahren vorgelegt, so souverän und vital, als hätte er erst vor einigen und nicht vor siebzig Jahren debütiert.

Natürlich federt die Stimme nicht mehr so elastisch wie einst und hört man bei Tonsprüngen die in zig Bühnenjahren gereiften Tricks wie Beiseitesingen oder kaschierendes Vibrato. Doch Aznavour ist noch immer Welten entfernt von der Schnappatmung, dem Nuscheln und Tremolieren, womit andere, wesentlich jüngere Altstars selbst treue Anhänger überfordern. Im Gegenteil: Weil er keinen Hehl aus seinem Alter macht, wirkt er schon nach kurzem Hören alterslos.

Das gilt auch für "Elle", das er nun im Duett mit Thomas Dutronc noch einmal aufgenommen hat. Der Sohn von Françoise Hardy und Jacques Dutronc hält sich wacker. Aber er bleibt bewundernder und verwunderter, sympathisch kleinlauter Stichwortgeber für Aznavour, der seine Zeilen nun nicht mehr breit und strömend aussingt, sondern sie, dem enorm swingenden Arrangement angepasst, im Stakkato vorträgt, lässig, augenzwinkernd und mit der bescheidenen Weisheit eines ganzen Lebens. Produziert haben der Brasilianer Eumir Deodato und der Franzose Yvan Cassar das Album. Ihnen verdankt es aktuelle lateinamerikanische und jazzige Glanzlichter. Doch der Grundton ist klassisch, viel getragener Flügel, Streicher manchmal, angedeuteter Walzer oder Tango sowie dezenter Swing, wie er seit den zwanziger Jahren, als Frankreich und Amerika einander bewunderten, zum Chanson gehört. Wer dabei an Nostalgie denkt, irrt. Aznavours neue, alte Musik und sein heiserer Tenor zaubern Verlässlichkeit, entschlacken das Gehör und machen frei für zeitlose Botschaften: "Geh ins Ungewisse", rät er, "dreh dich nicht um, geh ohne Reue, egal, was die anderen sagen." Und das hat mit dem Abenteurertum der Wolfskin-Spots so viel zu tun wie Champagner mit Schaumwein. "Mach mit mir, was du willst", sagt er einer Unbekannten, singt von Ketten und Hass, die er kennengelernt habe, von verdorrter Liebe, kalt wie eine Dezembersonne, von furchtbaren Risiken, die Krieg, aber auch nur ein unbedachtes Wort sein können, von der Zeit, die auslaugt und doch immer zu kurz ist, von der Jagd nach Liebe, Erfolg, Ansehen und Zufluchten.

Früher schloss Charles Aznavour seine Konzerte oft mit "Le comédiens" ab, dem Lied von den Künstlern, die, Götter für Minuten, doch immer dressierte Narren des Publikums bleiben. Die letzte Zeile sang er meistens im Weggehen, endend mit dem Rücken zum Saal und einer wegwerfenden Geste, in der sich Wut, Verachtung und Selbsthass zu mischen schienen. Das hat er aus seinem Repertoire gestrichen. Stattdessen lächelt er denen da unten zu, gelassen, dankbar, freundlich. Er weiß, wie sehr er gebraucht wird.

DIETER BARTETZKO

Charles Aznavour,

Toujours

Capitol Records 4920869 (EMI)

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