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Trackliste
CD
1Warsaw
2Give Out
3Serpents
4Kevin's
5Leonard
6In Line
7All I Can
8We Are Fine
9Magic Chords
10Ask
11I'm Wrong
12Joke Or A Lie
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2012

Du bist der Grund, warum ich mich der Stadt nähere
Sharon van Etten legt nach unruhigen Jahren ein ausgeruhtes Singer-Songwriter-Album vor

Von Daniel Grinsted

Das Albumcover zeigt eine junge Frau im Halbprofil, schwarz-weiße Großaufnahme ihres Gesichts, ernster Blick in die Kamera: eine unverhohlene Hommage an John Cale, der sich 1974 in fast identischer Weise für seine Platte "Fear" ablichten ließ. Unter ihrem Namen der doppelsinnige Titel: "Tramp", vor allem in Amerika ein abwertender Ausdruck für Frauen mit, sagen wir mal, lockerem Lebenswandel. Oder für Menschen, die ein Vagabundenleben führen.

Sharon van Etten spielt mit dieser Zweideutigkeit, doch auf sie zutreffend ist allein letztere Bedeutung. Nicht wegen ihres Kleidungsstils, sondern weil sie kein Zuhause hat, als sie das Album in einem New Yorker Garagenstudio aufnimmt. Während dieser zehn Monate schläft sie jede Nacht woanders, meistens bei Freunden auf der Couch. Die Zusammenarbeit mit Produzent Aaron Dessner - sonst Gitarrist bei der Band The National - ist für sie die einzige Konstante.

Ihre Mischung aus Folk und Independent-Rock wirkt indes keinesfalls unstet, sondern hochkonzentriert und sehr emotional, was vor allem an Sharon van Ettens eigentümlicher Stimme liegt. Über den dröhnenden Lo-Fi-Gitarren klingt sie selbstbewusst und sensibel - eine Kombination, die einen sofort gefangennimmt. Meistens schlängelt sie sich fast wie in Zeitlupe durch die Melodien. "You're the reason why I'll move to the city or / Why I'll need to leave", singt sie zweistimmig im minimalistischen Ohrwurm "Give Out" mit einer Eindringlichkeit, die einem Wonneschauer über den Rücken jagt.

Beinahe wütend rocken sie und ihre Band in "Serpents": Zur Slide-Gitarre zischt sie ihre Anklagen gegen den Ex-Freund, der sie offenbar jahrelang gedemütigt hat, grandios phrasiert und mit ordentlich Druck von Matt Barricks treibendem Schlagzeug. Sharon van Ettens Geschichte klingt fast wie ein Klischee: Der Liebe wegen zieht sie 1999 von New Jersey in die Nähe von Nashville, schmeißt das College und arbeitet als Kellnerin. Ihr Partner verbietet ihr das Songschreiben und spricht ihr jegliches Talent ab. Nach Jahren der Erniedrigung flüchtet sie zurück zu den Eltern und trifft in New York ihren alten Kumpel Kyp Malone von den Artrockern TV On The Radio. Von da an geht es bergauf.

Im Gegensatz zu den beiden Vorgängeralben reflektiert die dreißig Jahre alte Singer-Songwriterin ihre Erfahrungen nun mit größerer Distanz. Noch immer packt einen ihre entwaffnende Offenheit; doch inzwischen weiß sie offenbar, was sie kann und will. Manchmal geht es Richtung Country, mit verschleppter Westerngitarre und viel Hall in der glockenhellen Kopfstimme. Dazu ein Drumcomputer, der klingt, als schlage jemand auf einen Sandsack ein. Eines der schönsten Stücke des Albums heißt "Leonard": Die Mandoline spielt einen Walzer, während Klavier, Harmonium und Kontrabass für einen samtweichen Sound sorgen - fabelhaft, welch berührende Wirkung Van Etten aus diesem schlichten Stück herauszuholen vermag, wunderbare Melodien und ein mehrstimmiger Gesang, der tief beginnt und sich weit nach oben schraubt: "Well, well, hell / I am bad at loving you."

Der längste Song, "All I Can", baut sich minutenlang auf, bis er in einem bombastischen Softrock-Triumph gipfelt, Blechbläser inklusive. Zweimal darf auch Zach Condon mitsingen, sonst Frontmann der Balkan-trifft-Independentpop-Combo Beirut. Sharon van Etten selbst greift zur Ukulele, sogar ein Streichquartett ist dabei. Die beiden Duette sind wirklich gelungen, vielleicht sollte man das einmal auf Albumlänge probieren. Das andere Stück mit Condon kommt gänzlich ohne Gitarre aus, es dominieren Orgel, Keyboard und Klavier. Der entspannte Gesang bildet einen schönen Kontrast zum abgedrehten Shuffle des Schlagzeugs.

Ein anderes Mal sind gleich zwei Schlagzeuger damit beschäftigt, sich mit dem besten Achtziger-Sound zu übertreffen. Und Sharon van Etten klingt wie eine vielstimmige Mischung aus Patti Smith und PJ Harvey. Besonders hier wird deutlich, dass ihre simplen Gitarrenakkorde nur als Fundament dienen, über dem sie ihre kunstvollen Gesangsmelodien auftürmen kann. Die Songs ähneln dabei meistens Skizzen oder Collagen. Das gilt vor allem für "I'm Wrong": ein Stück mit sich überlagernden Schichten aus dröhnendem Feedback, Glockenspiel, Posaune und E-Bow-Gitarre. Mal scheint ihre Stimme über der Musik zu thronen, mal droht sie in ihr zu verschwinden. Es ist der Höhepunkt eines bezaubernden Albums. Und blickt man nach dem Hören noch mal aufs Cover, dann scheint Sharon van Etten sogar zu lächeln.

Sharon Van Etten, Tramp

Jagjaguwar 1676736 (Cargo Records)

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