Produktdetails
- Hersteller: Walhall, ADD, m,
- EAN: 4035122651751
- Artikelnr.: 28226258
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2024Da hilft auch kein Zaubertrank
Muss Bayreuth mehr für die Jugend tun? Wenn man nur einmal im Jahr dort ist, lässt sich das nicht seriös beantworten, und welche deutsche Stadt müsste sich nicht stärker um ihre jungen Bewohnerinnen und Bewohner kümmern? Im vergangenen Jahr, auf dem Heimweg von der Premiere der Wagner-Festspiele, die immer am 25. Juli gefeiert wird, trieb ein Einsatzwagen der Polizei eine Gruppe junger Leute aus dem abendlichen Park vom Haus Wahnfried vor sich her und heraus, Studierende, die sich gar nicht weiter darüber beschwerten. Kein schöner Anblick. Und auch an diesem Jahr patrouilliert die Polizei in der Innenstadt zwischen Markt und Hofgarten wieder, die Cafés und Bars sind voll, und wie jedes Jahr kann man am Zustand der Garderobe erkennen, wer gerade vom Festspielhügel heruntergekommen ist. Wo an diesem 25. Juli "Tristan und Isolde" Premiere gefeiert hatte und wo sich jetzt die Scheinwerfer der Limousinen und die Blaulichter ihrer Eskorten in der Nacht verlieren, die meisten in Richtung München. Vorher hatten die Insassen nach fast sechs wie immer stickigen Stunden in Wagners Festspielhaus die Neu-Inszenierung von Thorleifur Örn Arnasson bejubelt, die etwas für Traditionalisten und Auskenner war, also: etwas für Bayreuth.
Und dieses Bayreuth müsse, sinngemäß, jünger und diverser werden: Das hatte sich vor Kurzem die Kulturstaatsministerin Claudia Roth im "Spiegel" für die dortigen Festspiele gewünscht. Und gleichzeitig laut darüber nachgedacht, ob man nicht statt immer nur der gleichen zehn Wagner-Opern auch mal was anderes spielen könnte. Zum Beispiel Humperdincks "Hänsel und Gretel". Seitdem ist Staatsministerin Roth dafür etwas überorchestriert aufgebracht beschimpft worden von der Musikkritik, ihr bayrischer Kunstministerkollege Blume hat Bayreuth in Schutz genommen, Roth selbst hat sich selbst inzwischen relativiert. Bei der Auftaktpressekonferenz der Festspiele konnten Festspielchefin Katharina Wagner und ihre Leute das Ganze zudem sehr leicht damit abwehren, dass die Bayreuther Statuten halt nichts anderes gestatten als Wagner, Wagner und nochmals Wagner - 2026, zum hundertfünfzigsten Jubiläum des Hauses, darf dann ausnahmsweise auch mal was anderes als die zehn üblichen Opern gespielt werden - aber von Wagner, natürlich.
Dass im selben "Spiegel"-Artikel die Rechtsesoterikerin Fürstin Gloria von Thurn und Taxis als Kronzeugin mangelnder "Wow"-Haftigkeit der Bayreuther Festspiele von heute herangezogen wurde, hätte eigentlich nachdenklich machen sollen. So aber hatte Bayreuth auch in diesem Jahr pünktlich vor dem 25. Juli eine Art Debatte, das ist ja das Leitmotiv der Festspiele für den Leitmotiverfinder Richard Wagner.
Und leitmotiviger als dessen Oper "Tristan und Isolde" geht es kaum, die Geschichte eines Paars, das sich zwar gefunden hat, aber nicht zueinanderfindet, was bei jeder Annäherung gleich wieder Loslösung und Abstoßung bedeutet. Und dann wieder von vorn. Erzählt wird das Drama eigentlich nur in der Musik, weil die Action schon vorbei ist, bevor die Oper beginnt. Tristan aus Cornwall hat den irischen Fürsten Morold getötet, den Verlobten Isoldes. Im Kampf ist er verletzt worden und hofft, dass die Heilerin Isolde etwas für ihn tun kann. Also reist er unter Pseudonym zu ihr, sie erkennt ihn, aber tötet ihn nicht. Geheilt kehrt Tristan nach Cornwall zurück und zieht gleich wieder los, als Brautwerber, denn Isolde soll Tristans König Marke heiraten. Gemeinsam brechen sie auf.
Und was dann geschieht, geschieht im Inneren der beiden, gesungen von Camilla Nylund als Isolde und Andreas Schwager als Tristan, ein Kampf um Liebe auf Leben und Tod. Die Unmöglichkeit ewiger unendlicher Liebe angesichts der weltlichen Verhältnisse. Den süßen, bösen Schmerz über diese Unmöglichkeit hat Wagner in den Tönen seines berühmten Tristan-Akkords aufgefangen, die sich über die ganze Oper hinweg immer wieder erheben, um dann wieder auseinanderzufallen. Es gibt Leute, die nichts Schöneres als diese Oper kennen (und dazu gehört offenbar auch der Schauspieler Francis Fulton-Smith, der in Reihe 25 raumgreifend mitdirigiert). Und es gibt andere, die vor ihr in Deckung gehen, die unter dieser nervenverzehrenden Qual einer nie zur Ruhe kommenden Melodie selbst einknicken.
Das Bühnenbild (Vytautas Narbutas) transportiert diesen Zerfall über die drei Aufzüge hinweg, indem es ein Schiff im fortschreitenden Zustand seiner Abwrackung zeigt, erst sind wir an Deck, dann im Inneren, dann zwischen den auseinandergebrochenen Planken des Rumpfs. In diesen Eingeweiden bewegen sich die Figuren, wenn sie sich denn bewegen, das Meiste darf das Fläschchen mit dem Liebestrank, der eigentlich ein Todestrank sein sollte, erleben, mal wandert es zwischen den Figuren hin und her, mal starrt Tristan auf die Flasche wie auf sein Smartphone, als könnte er Antworten erwarten, mal wirft er es weg. Aber es spricht viel dafür, dass alles eh schon entschieden war, bevor Tristan und Isolde sich das erste Mal sahen. Kein Zaubertrank hätte an ihrem Schicksal etwas ändern können, und so wandert das Fläschchen wie ein MacGuffin bei Hitchcock durch die Handlung und treibt sie voran, ohne etwas dafür tun zu müssen, weil es schon reicht, dass man sich fragt, was drin ist, damit es spannend bleibt. Am Ende sind die Liebenden tot, was sonst, und der Saal tobt, feiert die Stimmen (nur Günther Groissböck als Marke bekommt vereinzelte Buhrufe ab) und den Dirigenten Semyon Bychkov.
Ob Bayreuth mit diesem neuen "Tristan" etwas für die Erneuerung der Festspiele getan hat? Nein, aber das ist auch gar nicht die Frage. Denn die Festspielchefin Katharina Wagner (ihr Vertrag ist verlängert bis 2030, ab 2025 ist sie nur noch für künstlerische Fragen verantwortlich und bekommt für alles andere einen "General Manager" an die Seite) hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass in Bayreuth Dirigentinnen am Pult stehen (in diesem Jahr sind es drei), dass digitale Techniken zum Einsatz kommen und die hermetischen Festspiele sich endlich auch mit einem Open Air der Stadt öffnen, Familienfeste bei klassischer Musik unter freiem Himmel, kein Eintritt.
Das Schönste an Bayreuth sind sowieso die Kinderopern, in diesem Jahr ist es der "Fliegende Holländer". Hätte man natürlich alles wissen können, bevor man sich Innovation wünscht. Claudia Roth war bei der Premiere da. Sie saß dort, wo sonst die Wagnerianerin Angela Merkel den immergleichen Opern zuhört, auf Sitzen, die für alle im Saal gleich hart sind. TOBIAS RÜTHER
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Muss Bayreuth mehr für die Jugend tun? Wenn man nur einmal im Jahr dort ist, lässt sich das nicht seriös beantworten, und welche deutsche Stadt müsste sich nicht stärker um ihre jungen Bewohnerinnen und Bewohner kümmern? Im vergangenen Jahr, auf dem Heimweg von der Premiere der Wagner-Festspiele, die immer am 25. Juli gefeiert wird, trieb ein Einsatzwagen der Polizei eine Gruppe junger Leute aus dem abendlichen Park vom Haus Wahnfried vor sich her und heraus, Studierende, die sich gar nicht weiter darüber beschwerten. Kein schöner Anblick. Und auch an diesem Jahr patrouilliert die Polizei in der Innenstadt zwischen Markt und Hofgarten wieder, die Cafés und Bars sind voll, und wie jedes Jahr kann man am Zustand der Garderobe erkennen, wer gerade vom Festspielhügel heruntergekommen ist. Wo an diesem 25. Juli "Tristan und Isolde" Premiere gefeiert hatte und wo sich jetzt die Scheinwerfer der Limousinen und die Blaulichter ihrer Eskorten in der Nacht verlieren, die meisten in Richtung München. Vorher hatten die Insassen nach fast sechs wie immer stickigen Stunden in Wagners Festspielhaus die Neu-Inszenierung von Thorleifur Örn Arnasson bejubelt, die etwas für Traditionalisten und Auskenner war, also: etwas für Bayreuth.
Und dieses Bayreuth müsse, sinngemäß, jünger und diverser werden: Das hatte sich vor Kurzem die Kulturstaatsministerin Claudia Roth im "Spiegel" für die dortigen Festspiele gewünscht. Und gleichzeitig laut darüber nachgedacht, ob man nicht statt immer nur der gleichen zehn Wagner-Opern auch mal was anderes spielen könnte. Zum Beispiel Humperdincks "Hänsel und Gretel". Seitdem ist Staatsministerin Roth dafür etwas überorchestriert aufgebracht beschimpft worden von der Musikkritik, ihr bayrischer Kunstministerkollege Blume hat Bayreuth in Schutz genommen, Roth selbst hat sich selbst inzwischen relativiert. Bei der Auftaktpressekonferenz der Festspiele konnten Festspielchefin Katharina Wagner und ihre Leute das Ganze zudem sehr leicht damit abwehren, dass die Bayreuther Statuten halt nichts anderes gestatten als Wagner, Wagner und nochmals Wagner - 2026, zum hundertfünfzigsten Jubiläum des Hauses, darf dann ausnahmsweise auch mal was anderes als die zehn üblichen Opern gespielt werden - aber von Wagner, natürlich.
Dass im selben "Spiegel"-Artikel die Rechtsesoterikerin Fürstin Gloria von Thurn und Taxis als Kronzeugin mangelnder "Wow"-Haftigkeit der Bayreuther Festspiele von heute herangezogen wurde, hätte eigentlich nachdenklich machen sollen. So aber hatte Bayreuth auch in diesem Jahr pünktlich vor dem 25. Juli eine Art Debatte, das ist ja das Leitmotiv der Festspiele für den Leitmotiverfinder Richard Wagner.
Und leitmotiviger als dessen Oper "Tristan und Isolde" geht es kaum, die Geschichte eines Paars, das sich zwar gefunden hat, aber nicht zueinanderfindet, was bei jeder Annäherung gleich wieder Loslösung und Abstoßung bedeutet. Und dann wieder von vorn. Erzählt wird das Drama eigentlich nur in der Musik, weil die Action schon vorbei ist, bevor die Oper beginnt. Tristan aus Cornwall hat den irischen Fürsten Morold getötet, den Verlobten Isoldes. Im Kampf ist er verletzt worden und hofft, dass die Heilerin Isolde etwas für ihn tun kann. Also reist er unter Pseudonym zu ihr, sie erkennt ihn, aber tötet ihn nicht. Geheilt kehrt Tristan nach Cornwall zurück und zieht gleich wieder los, als Brautwerber, denn Isolde soll Tristans König Marke heiraten. Gemeinsam brechen sie auf.
Und was dann geschieht, geschieht im Inneren der beiden, gesungen von Camilla Nylund als Isolde und Andreas Schwager als Tristan, ein Kampf um Liebe auf Leben und Tod. Die Unmöglichkeit ewiger unendlicher Liebe angesichts der weltlichen Verhältnisse. Den süßen, bösen Schmerz über diese Unmöglichkeit hat Wagner in den Tönen seines berühmten Tristan-Akkords aufgefangen, die sich über die ganze Oper hinweg immer wieder erheben, um dann wieder auseinanderzufallen. Es gibt Leute, die nichts Schöneres als diese Oper kennen (und dazu gehört offenbar auch der Schauspieler Francis Fulton-Smith, der in Reihe 25 raumgreifend mitdirigiert). Und es gibt andere, die vor ihr in Deckung gehen, die unter dieser nervenverzehrenden Qual einer nie zur Ruhe kommenden Melodie selbst einknicken.
Das Bühnenbild (Vytautas Narbutas) transportiert diesen Zerfall über die drei Aufzüge hinweg, indem es ein Schiff im fortschreitenden Zustand seiner Abwrackung zeigt, erst sind wir an Deck, dann im Inneren, dann zwischen den auseinandergebrochenen Planken des Rumpfs. In diesen Eingeweiden bewegen sich die Figuren, wenn sie sich denn bewegen, das Meiste darf das Fläschchen mit dem Liebestrank, der eigentlich ein Todestrank sein sollte, erleben, mal wandert es zwischen den Figuren hin und her, mal starrt Tristan auf die Flasche wie auf sein Smartphone, als könnte er Antworten erwarten, mal wirft er es weg. Aber es spricht viel dafür, dass alles eh schon entschieden war, bevor Tristan und Isolde sich das erste Mal sahen. Kein Zaubertrank hätte an ihrem Schicksal etwas ändern können, und so wandert das Fläschchen wie ein MacGuffin bei Hitchcock durch die Handlung und treibt sie voran, ohne etwas dafür tun zu müssen, weil es schon reicht, dass man sich fragt, was drin ist, damit es spannend bleibt. Am Ende sind die Liebenden tot, was sonst, und der Saal tobt, feiert die Stimmen (nur Günther Groissböck als Marke bekommt vereinzelte Buhrufe ab) und den Dirigenten Semyon Bychkov.
Ob Bayreuth mit diesem neuen "Tristan" etwas für die Erneuerung der Festspiele getan hat? Nein, aber das ist auch gar nicht die Frage. Denn die Festspielchefin Katharina Wagner (ihr Vertrag ist verlängert bis 2030, ab 2025 ist sie nur noch für künstlerische Fragen verantwortlich und bekommt für alles andere einen "General Manager" an die Seite) hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass in Bayreuth Dirigentinnen am Pult stehen (in diesem Jahr sind es drei), dass digitale Techniken zum Einsatz kommen und die hermetischen Festspiele sich endlich auch mit einem Open Air der Stadt öffnen, Familienfeste bei klassischer Musik unter freiem Himmel, kein Eintritt.
Das Schönste an Bayreuth sind sowieso die Kinderopern, in diesem Jahr ist es der "Fliegende Holländer". Hätte man natürlich alles wissen können, bevor man sich Innovation wünscht. Claudia Roth war bei der Premiere da. Sie saß dort, wo sonst die Wagnerianerin Angela Merkel den immergleichen Opern zuhört, auf Sitzen, die für alle im Saal gleich hart sind. TOBIAS RÜTHER
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