Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 10. November 2003
- Hersteller: Sony Music Entertainment Germany / Sony Music,
- EAN: 0828765681322
- Artikelnr.: 20093474
CD | |||
1 | Trouble | 00:03:12 | |
2 | God Is A DJ | 00:03:44 | |
3 | Last To Know | 00:04:03 | |
4 | Tonight's The Night | 00:03:56 | |
5 | Oh My God | 00:03:42 | |
6 | Catch Me While I'm Sleeping | 00:05:03 | |
7 | Waiting For Love | 00:05:28 | |
8 | Save My Life | 00:03:16 | |
9 | Try Too Hard | 00:03:13 | |
10 | Humble Neighborhoods | 00:03:52 | |
11 | Walk Away | 00:03:38 | |
12 | Unwind | 00:03:12 | |
13 | Feel Good Time | 00:03:57 | |
14 | Love Song | 00:02:28 | |
15 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2003Schluß mit Britney!
Die neue Generation weiblicher Popikonen ist laut, wütend und eigensinnig. Oder sie tut zumindest so
Die Sängerin Pink, hier links im Bild, ist oft bekifft und gilt daher als wild. Und Brody Dalle, rechts, von der Band The Distillers, benimmt sich auch nicht gerade mädchenhaft. Die neue Frauenbewegung ist Punk.
Die Hüpf-Sängerin Jeanette Biedermann wäre noch jung genug, um jung zu sterben, falls sie das will. Es steht jedenfalls auf einem ihrer neuen T-Shirts ("Live fast, die young"), ist zwar ein alter Rocker-Trinkspruch - aber so, wie die Ärmel in türkisen Fetzen herunterhängen, der Gürtel mit drei Schnallen lose drüberliegt und auf der Fotokulisse der Stacheldraht wuchert, das soll wohl Punk sein. Und wenn Jeanette Biedermann jetzt Punk macht, dann ist es mit Punk wieder mal vorbei.
Letztes Jahr hatten die Jungs ihr Punk-Revival, mit Gitarrenbands, Wuschelköpfen und zu kleinen Sakkos - 2003 haben die Frauen und Mädchen ihr eigenes durchgesetzt. Unerhörte Personen traten härter auf denn je: die rauchende und saufende Sängerin Pink, um die es gleich noch gehen wird; das von einem russischen Psychologen ferngesteuerte Schülerinnen-Duo Tatu; das wunderbar fluchende Disco-Weib Peaches, das sich in Unterhose und mit Anklebebart scheinbar der Lächerlichkeit preisgab. Courtney Love machte ein paar Foto-Sessions und sogar ein wenig Musik, bis ihr - sagen wir mal: private Dinge dazwischenkamen.
Am bekanntesten ist Courtney Love in ihrer Funktion als Witwe von Nirvana-Sänger Kurt Cobain - eher im verborgenen steht sie als Symbol dafür, daß Frauen ihren Punk selber machen müssen. Als Ende der siebziger Jahre die Pioniere zur Stürmerei auf bürgerliche Bilder loszogen, da war das mit wenigen Ausnahmen ein Männerclub. Courtney Love, ein mit der Lust versöhnter Feminismus, weiblich geführte Punk-Plattenfirmen, das alles kam erst Anfang der Neunziger in der "Riot Grrrl"-Bewegung. Über die wurde weniger berichtet als 1977 über das doofe Konzert auf dem Themse-Boot, mit dem die Sex Pistols die englische Königin foppen wollten.
Die Lage im Jahr 2003 können einem auch Marketing-Planer prima erklären: Nachdem sich eine Mädchengeneration an der Niedlichkeit und Schlankheit der ehemaligen "Disney Club"-Moderatorin Britney Spears übersättigt hat, mußte etwas passieren. Es mußte aufgeräumt werden in der Puppenstube. So wie die 24 Jahre alte Pink aus Los Angeles im Video zu ihrer neuen Single "Trouble" die Gäste eines Western-Saloons verhaut. "Pink ist Punk!" titelt eine Männerzeitschrift, eine Nachricht, die wohl vor allem dem lustigen Stabreim geschuldet ist, sich aber am Ende selbst erfüllt: Wenn man intensiv genug an Pinks Faust riecht, dann duftet sie nach Ärger. Letzte Woche ist ihr drittes Album "Try This" weltweit hoch in die Charts eingestiegen, und acht von 14 Liedern der Platte hat ein gewisser Tim Armstrong mitkomponiert. Armstrong ist Sänger der Band Rancid aus San Francisco, die seit 13 Jahren als unkompromittiertes Punk-Originalmodell gilt, wie man es nur noch in der Hydrokultur ultralinker Jugendhäuser findet.
Bis vor kurzem hatte dieser Tim Armstrong sogar eine Punk-Ehefrau. Vor sechs Jahren, da war er 31, war ihm bei einem Festival in Australien die 17 Jahre alte Ausreißerin Brody Dalle begegnet, selbst Sängerin und Gitarristin. Die beiden ließen sich ihre Namen gegenseitig in die Oberarme tätowieren, heirateten, gingen nach Los Angeles. Das zweite Album von Brodys Band The Distillers brachte Armstrong bei seiner kleinen Plattenfirma heraus, und die chauvinistischsten unter seinen Fans schreiben ihm heute, er wäre mal besser nicht so großzügig gewesen. Diesen Sommer erfuhr Tim Armstrong nämlich auf besonders garstige Art, daß seine Frau einen Neuen hat. In der Zeitschrift "Rolling Stone" überraschte ihn ein Zungenkuß-Foto mit Brody und dem Rocksänger Joshua Homme. Sie kam nicht zurück.
Das muß deshalb erzählt werden, weil auf die sommerliche Celebrity-Affäre kaum zufällig ein Herbst folgte, in dem Brody Dalle in Amerika und England plötzlich als Premium-Rollenmodell für die starke, widerständige Rock-'n'-Roll-Frau ausgestellt wird. Obwohl sich jahrelang außerhalb der inneren Zirkel niemand für ihre Band interessiert hatte, hat das neue Distillers-Album "Coral Fang" (das in Deutschland erst im Januar erscheint) ohne eine einzige feministische Text-Aussage schon jetzt den Ruf eines weiblichen Punkrock-Manifests. Brody Dalles Platten werden sich nie so verkaufen wie die der gleichaltrigen Pink - aber mit ein wenig Verfolgungswahn läßt sich dieser simple Unterschied zum Zickenkrieg zwischen der echten und der gefälschten Punk-Frau verzerren, zwischen Brody, der Männerverlasserin und Zungenküsserin, und der harmlosen Pink, die sich ausgerechnet von Brodys Ex-Mann das Echtheits-Zertifikat schenken ließ, schlimmer: es ihm abkaufte.
Anders als die gewöhnliche "Frau im Pop", die schon vor über 20 Jahren in Rowohlt-Bändchen diskutiert wurde, untersteht die Punkrockerin ja einem doppelten Rechtfertigungszwang. Erstens muß sie beweisen, daß sie sich von den 90 Prozent männlichen Entscheidungsträgern in der Musikindustrie nicht alles vorschreiben läßt. Wenn das geklärt ist, bleibt immer noch die Frage, ob sie auch wirklich Punk ist und nichts anderes. Rülpst diese Frau dann live im Fernsehen, sagen die einen, sie tue das bloß, um rülpsende Männer zu imitieren. Die Feministin entgegnet: Das beweist, daß Männer einer Frau das nicht durchgehen lassen, was sie untereinander okay finden. Und die Mehrheit findet ohnehin: Rülpsen ist ekelhaft, egal, wer es tut.
Das symptomatischste Beispiel dafür stammt aus dem Jahr 1995: Damals war Kathleen Hanna, eine angemessen humorlose, politisierte Punk-Frau aus Washington, von dem Punk-Mann Mike Watt zur Mitarbeit an einem Allstar-Album eingeladen worden. Sie giftete auf seinen Anrufbeantworter, daß sie keine Lust habe, als Quotenfrau seinen Männerclub aufzuwerten, und dieses selbstbewußte, wenn auch unbeholfene Statement nahm Watt mit auf die Platte, als Lachnummer für zwischendurch. Wie ernsthaft eine Frau auch auftritt, einer im Publikum ruft immer "Ausziehen!".
Letzten Sonntag, Konzerthalle Grünspan in Hamburg: Es ist der erste Deutschland-Auftritt von Brody Dalles Distillers, in dem die Irokesenköpfe und Rattenfraß-Gestalten im Saal so unterrepräsentiert sind gegenüber den Mittelklasse-Hörern, die im Vorfeld was gelesen oder das Plakat gesehen haben. Da sitzt Brody inmitten der drei Tankstellenwärter-Typen ihrer Band und zeigt viel von ihren Brüsten. Im Hintergrund ein Bildtransparent mit einem nackten, weiblichen Christus am Kreuz, aus dessen Seite Blutbögen sprudeln.
Die Musik der Distillers ist rollende Wut, voller Dringlichkeit, ohne Zeit für Melodien. Brody singt, spuckt und röchelt. Im Geiste stellt man probeweise Pink daneben, die dann natürlich wie das leicht ausgeflippte Zimmermädchen eines Nobelhotels aussieht, und man denkt sich, daß deren großteils weibliche, junge Fans den Krach doch keine Minute lang aushalten würden.
Immerhin gibt es in Kinderboutiquen mittlerweile schon die besagten Band-T-Shirts in Babygrößen, kein Witz. Kaum auszudenken, wie Eltern ihren Kleinen die Musik für immer vergällen können, wenn sie ihnen mit zwei oder drei Jahren ein Hemd der linksradikalen Punks Dead Kennedys überziehen. Der Mythos, daß Rock 'n' Roll zuallererst eine Revolte gegen die Erziehungsberechtigten sei, ist zwar längst beseitigt, aber von der Mama direkt vorgesetzt bekommen möchte das trotzdem keiner. Und daß es in der Alltags-Popkultur des Mittelstandes sowieso nur um Verkleidungen geht, die man nach Wunsch an- und ausziehen kann, das will man als Teenager oft nicht wahrhaben. Eben deshalb, weil Pop so viel bedeutet.
Pink ist das beste Beispiel. Es gibt köstliche Fotoserien von ihr, mit verschiedenfarbigen Haaren und Kämmrichtungen, Netz- und Jeans-Oberteilen und allem möglichen Chou-Chou, die man nur deshalb als Bildnisse derselben Frau erkennt, weil sie jedes Mal zähnebleckend ihre Tigerschnute zieht. Pink hat genau die schlimme Jugend gehabt (Scheidung der Eltern mit sieben, mit 14 erste Psychoanalyse, mit 15 von der Mutter rausgeworfen), die einen laut Zunftordnung zum wahren Punkrock autorisieren würde. Trotzdem singt sie den falschen. Den, aus dem die blutigen Szenen rausgeschnitten sind, den für die Teenager.
Auch die Songs von Tim Armstrong ändern nichts daran, daß Pinks schwippender Pop-Rock für die Unterhaltung daheim völlig ungeeignet ist, daß die Musikabteilung von Bertelsmann viel Geld in die Image-Entwicklung investiert hat, nachdem vor Jahren ein erster Versuch mit Pink als Soulsängerin nicht richtig geklappt hatte. Man muß sie nicht verteidigen. Einige erwachsene Kritiker haben das lächerlich versucht, weil es ihnen offenbar zu langweilig wurde, Jugend-Entertainment immer nur blöd zu finden. Pink rülpst nicht mal im Fernsehen, Pink sagt dafür in Interviews mit Mädchen-Zeitschriften, daß es nicht schlimm sei, ein kleines bißchen zu dick zu sein.
Mama, wart's ab, eines Tages steht mein Name da oben in Leuchtbuchstaben!": Das steht auf dem gelben Trödelladen-Hemd, das Brody Dalle (Scheidungskind mit anderthalb, mit 16 von zu Hause ausgezogen) zu den Pressegesprächen trägt. Die meisten Fragen beantwortet sie mit einem knappen, widerwilligen Satz. Was gibt es zu erklären? Spricht man sie auf die Mädchen-Musikschule an, die sie als Teenager besucht hat, schimpft sie minutenlang über feministische Verbohrtheit. Erwähnt man Kathleen Hanna (die mit dem Anrufbeantworter), nennt Brody sie eine der schlimmsten Heuchlerinnen, die sie je kennengelernt hat. Mit Auskünften über Pink muß man besonders vorsichtig sein, wegen des Ex-Ehemanns. "Von all den Pop-Schlampen finde ich Pink noch am besten", sagt Brody Dalle mit hochgezogener Lippe. "Und Christina Aguilera, obwohl sie falsche Titten hat."
Wie man am besten lebt? Pink hat in einem älteren Lied gesungen, man solle nach Kalifornien gehen. Eine positive Utopie. Brody, da kann man sicher sein, findet auch Kalifornien zum Kotzen.
JOACHIM HENTSCHEL
Pink: "Try this". Erschienen bei BMG. Das neue Album der Distillers, "Coral Fang", erscheint im Januar bei WEA.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die neue Generation weiblicher Popikonen ist laut, wütend und eigensinnig. Oder sie tut zumindest so
Die Sängerin Pink, hier links im Bild, ist oft bekifft und gilt daher als wild. Und Brody Dalle, rechts, von der Band The Distillers, benimmt sich auch nicht gerade mädchenhaft. Die neue Frauenbewegung ist Punk.
Die Hüpf-Sängerin Jeanette Biedermann wäre noch jung genug, um jung zu sterben, falls sie das will. Es steht jedenfalls auf einem ihrer neuen T-Shirts ("Live fast, die young"), ist zwar ein alter Rocker-Trinkspruch - aber so, wie die Ärmel in türkisen Fetzen herunterhängen, der Gürtel mit drei Schnallen lose drüberliegt und auf der Fotokulisse der Stacheldraht wuchert, das soll wohl Punk sein. Und wenn Jeanette Biedermann jetzt Punk macht, dann ist es mit Punk wieder mal vorbei.
Letztes Jahr hatten die Jungs ihr Punk-Revival, mit Gitarrenbands, Wuschelköpfen und zu kleinen Sakkos - 2003 haben die Frauen und Mädchen ihr eigenes durchgesetzt. Unerhörte Personen traten härter auf denn je: die rauchende und saufende Sängerin Pink, um die es gleich noch gehen wird; das von einem russischen Psychologen ferngesteuerte Schülerinnen-Duo Tatu; das wunderbar fluchende Disco-Weib Peaches, das sich in Unterhose und mit Anklebebart scheinbar der Lächerlichkeit preisgab. Courtney Love machte ein paar Foto-Sessions und sogar ein wenig Musik, bis ihr - sagen wir mal: private Dinge dazwischenkamen.
Am bekanntesten ist Courtney Love in ihrer Funktion als Witwe von Nirvana-Sänger Kurt Cobain - eher im verborgenen steht sie als Symbol dafür, daß Frauen ihren Punk selber machen müssen. Als Ende der siebziger Jahre die Pioniere zur Stürmerei auf bürgerliche Bilder loszogen, da war das mit wenigen Ausnahmen ein Männerclub. Courtney Love, ein mit der Lust versöhnter Feminismus, weiblich geführte Punk-Plattenfirmen, das alles kam erst Anfang der Neunziger in der "Riot Grrrl"-Bewegung. Über die wurde weniger berichtet als 1977 über das doofe Konzert auf dem Themse-Boot, mit dem die Sex Pistols die englische Königin foppen wollten.
Die Lage im Jahr 2003 können einem auch Marketing-Planer prima erklären: Nachdem sich eine Mädchengeneration an der Niedlichkeit und Schlankheit der ehemaligen "Disney Club"-Moderatorin Britney Spears übersättigt hat, mußte etwas passieren. Es mußte aufgeräumt werden in der Puppenstube. So wie die 24 Jahre alte Pink aus Los Angeles im Video zu ihrer neuen Single "Trouble" die Gäste eines Western-Saloons verhaut. "Pink ist Punk!" titelt eine Männerzeitschrift, eine Nachricht, die wohl vor allem dem lustigen Stabreim geschuldet ist, sich aber am Ende selbst erfüllt: Wenn man intensiv genug an Pinks Faust riecht, dann duftet sie nach Ärger. Letzte Woche ist ihr drittes Album "Try This" weltweit hoch in die Charts eingestiegen, und acht von 14 Liedern der Platte hat ein gewisser Tim Armstrong mitkomponiert. Armstrong ist Sänger der Band Rancid aus San Francisco, die seit 13 Jahren als unkompromittiertes Punk-Originalmodell gilt, wie man es nur noch in der Hydrokultur ultralinker Jugendhäuser findet.
Bis vor kurzem hatte dieser Tim Armstrong sogar eine Punk-Ehefrau. Vor sechs Jahren, da war er 31, war ihm bei einem Festival in Australien die 17 Jahre alte Ausreißerin Brody Dalle begegnet, selbst Sängerin und Gitarristin. Die beiden ließen sich ihre Namen gegenseitig in die Oberarme tätowieren, heirateten, gingen nach Los Angeles. Das zweite Album von Brodys Band The Distillers brachte Armstrong bei seiner kleinen Plattenfirma heraus, und die chauvinistischsten unter seinen Fans schreiben ihm heute, er wäre mal besser nicht so großzügig gewesen. Diesen Sommer erfuhr Tim Armstrong nämlich auf besonders garstige Art, daß seine Frau einen Neuen hat. In der Zeitschrift "Rolling Stone" überraschte ihn ein Zungenkuß-Foto mit Brody und dem Rocksänger Joshua Homme. Sie kam nicht zurück.
Das muß deshalb erzählt werden, weil auf die sommerliche Celebrity-Affäre kaum zufällig ein Herbst folgte, in dem Brody Dalle in Amerika und England plötzlich als Premium-Rollenmodell für die starke, widerständige Rock-'n'-Roll-Frau ausgestellt wird. Obwohl sich jahrelang außerhalb der inneren Zirkel niemand für ihre Band interessiert hatte, hat das neue Distillers-Album "Coral Fang" (das in Deutschland erst im Januar erscheint) ohne eine einzige feministische Text-Aussage schon jetzt den Ruf eines weiblichen Punkrock-Manifests. Brody Dalles Platten werden sich nie so verkaufen wie die der gleichaltrigen Pink - aber mit ein wenig Verfolgungswahn läßt sich dieser simple Unterschied zum Zickenkrieg zwischen der echten und der gefälschten Punk-Frau verzerren, zwischen Brody, der Männerverlasserin und Zungenküsserin, und der harmlosen Pink, die sich ausgerechnet von Brodys Ex-Mann das Echtheits-Zertifikat schenken ließ, schlimmer: es ihm abkaufte.
Anders als die gewöhnliche "Frau im Pop", die schon vor über 20 Jahren in Rowohlt-Bändchen diskutiert wurde, untersteht die Punkrockerin ja einem doppelten Rechtfertigungszwang. Erstens muß sie beweisen, daß sie sich von den 90 Prozent männlichen Entscheidungsträgern in der Musikindustrie nicht alles vorschreiben läßt. Wenn das geklärt ist, bleibt immer noch die Frage, ob sie auch wirklich Punk ist und nichts anderes. Rülpst diese Frau dann live im Fernsehen, sagen die einen, sie tue das bloß, um rülpsende Männer zu imitieren. Die Feministin entgegnet: Das beweist, daß Männer einer Frau das nicht durchgehen lassen, was sie untereinander okay finden. Und die Mehrheit findet ohnehin: Rülpsen ist ekelhaft, egal, wer es tut.
Das symptomatischste Beispiel dafür stammt aus dem Jahr 1995: Damals war Kathleen Hanna, eine angemessen humorlose, politisierte Punk-Frau aus Washington, von dem Punk-Mann Mike Watt zur Mitarbeit an einem Allstar-Album eingeladen worden. Sie giftete auf seinen Anrufbeantworter, daß sie keine Lust habe, als Quotenfrau seinen Männerclub aufzuwerten, und dieses selbstbewußte, wenn auch unbeholfene Statement nahm Watt mit auf die Platte, als Lachnummer für zwischendurch. Wie ernsthaft eine Frau auch auftritt, einer im Publikum ruft immer "Ausziehen!".
Letzten Sonntag, Konzerthalle Grünspan in Hamburg: Es ist der erste Deutschland-Auftritt von Brody Dalles Distillers, in dem die Irokesenköpfe und Rattenfraß-Gestalten im Saal so unterrepräsentiert sind gegenüber den Mittelklasse-Hörern, die im Vorfeld was gelesen oder das Plakat gesehen haben. Da sitzt Brody inmitten der drei Tankstellenwärter-Typen ihrer Band und zeigt viel von ihren Brüsten. Im Hintergrund ein Bildtransparent mit einem nackten, weiblichen Christus am Kreuz, aus dessen Seite Blutbögen sprudeln.
Die Musik der Distillers ist rollende Wut, voller Dringlichkeit, ohne Zeit für Melodien. Brody singt, spuckt und röchelt. Im Geiste stellt man probeweise Pink daneben, die dann natürlich wie das leicht ausgeflippte Zimmermädchen eines Nobelhotels aussieht, und man denkt sich, daß deren großteils weibliche, junge Fans den Krach doch keine Minute lang aushalten würden.
Immerhin gibt es in Kinderboutiquen mittlerweile schon die besagten Band-T-Shirts in Babygrößen, kein Witz. Kaum auszudenken, wie Eltern ihren Kleinen die Musik für immer vergällen können, wenn sie ihnen mit zwei oder drei Jahren ein Hemd der linksradikalen Punks Dead Kennedys überziehen. Der Mythos, daß Rock 'n' Roll zuallererst eine Revolte gegen die Erziehungsberechtigten sei, ist zwar längst beseitigt, aber von der Mama direkt vorgesetzt bekommen möchte das trotzdem keiner. Und daß es in der Alltags-Popkultur des Mittelstandes sowieso nur um Verkleidungen geht, die man nach Wunsch an- und ausziehen kann, das will man als Teenager oft nicht wahrhaben. Eben deshalb, weil Pop so viel bedeutet.
Pink ist das beste Beispiel. Es gibt köstliche Fotoserien von ihr, mit verschiedenfarbigen Haaren und Kämmrichtungen, Netz- und Jeans-Oberteilen und allem möglichen Chou-Chou, die man nur deshalb als Bildnisse derselben Frau erkennt, weil sie jedes Mal zähnebleckend ihre Tigerschnute zieht. Pink hat genau die schlimme Jugend gehabt (Scheidung der Eltern mit sieben, mit 14 erste Psychoanalyse, mit 15 von der Mutter rausgeworfen), die einen laut Zunftordnung zum wahren Punkrock autorisieren würde. Trotzdem singt sie den falschen. Den, aus dem die blutigen Szenen rausgeschnitten sind, den für die Teenager.
Auch die Songs von Tim Armstrong ändern nichts daran, daß Pinks schwippender Pop-Rock für die Unterhaltung daheim völlig ungeeignet ist, daß die Musikabteilung von Bertelsmann viel Geld in die Image-Entwicklung investiert hat, nachdem vor Jahren ein erster Versuch mit Pink als Soulsängerin nicht richtig geklappt hatte. Man muß sie nicht verteidigen. Einige erwachsene Kritiker haben das lächerlich versucht, weil es ihnen offenbar zu langweilig wurde, Jugend-Entertainment immer nur blöd zu finden. Pink rülpst nicht mal im Fernsehen, Pink sagt dafür in Interviews mit Mädchen-Zeitschriften, daß es nicht schlimm sei, ein kleines bißchen zu dick zu sein.
Mama, wart's ab, eines Tages steht mein Name da oben in Leuchtbuchstaben!": Das steht auf dem gelben Trödelladen-Hemd, das Brody Dalle (Scheidungskind mit anderthalb, mit 16 von zu Hause ausgezogen) zu den Pressegesprächen trägt. Die meisten Fragen beantwortet sie mit einem knappen, widerwilligen Satz. Was gibt es zu erklären? Spricht man sie auf die Mädchen-Musikschule an, die sie als Teenager besucht hat, schimpft sie minutenlang über feministische Verbohrtheit. Erwähnt man Kathleen Hanna (die mit dem Anrufbeantworter), nennt Brody sie eine der schlimmsten Heuchlerinnen, die sie je kennengelernt hat. Mit Auskünften über Pink muß man besonders vorsichtig sein, wegen des Ex-Ehemanns. "Von all den Pop-Schlampen finde ich Pink noch am besten", sagt Brody Dalle mit hochgezogener Lippe. "Und Christina Aguilera, obwohl sie falsche Titten hat."
Wie man am besten lebt? Pink hat in einem älteren Lied gesungen, man solle nach Kalifornien gehen. Eine positive Utopie. Brody, da kann man sicher sein, findet auch Kalifornien zum Kotzen.
JOACHIM HENTSCHEL
Pink: "Try this". Erschienen bei BMG. Das neue Album der Distillers, "Coral Fang", erscheint im Januar bei WEA.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main