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Produktdetails
Trackliste
CD
1Opera00:11:13
2Breakthrough00:05:32
3The Prayer00:07:06
4Solar Giant00:04:43
5Mediterranean Love00:05:09
6Gmoong00:06:13
7Universal Evolution00:09:05
8Moment00:02:59
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2003

Der Meister war unzufrieden mit diesem tschechischen Ton
Fünf Außerirdische, ein Kontrabaß: Miroslav Vitous stellt ein Quintett zusammen, das mit den Bands von Miles Davis mithält

Man kann Jazzaufnahmen so beginnen lassen: unkontrolliert, ohne erkennbares Metrum, wie zum Einspielen erklingen ein paar grummelnde Baßtöne. Der Mann am Klavier wirft eine Bluesfloskel ein. Das Saxophon haucht einen Ton, der vielleicht einmal eine Phrase werden könnte. Und urplötzlich braut sich etwas zusammen, das klingt, als hätte man die Tür zu einem verrauchten Kellerlokal aufgestoßen, hinter der eine Jam-Session in vollem Gange ist. Mit Bläsern, die sich die Lunge aus der Brust reißen. Mit Schlagzeugern, die Bomben fallen lassen. Mit Pianisten, die ins Klavier kriechen, um jeden ängstlichen Klang einzeln daraus hervorzuzerren. Mit Bassisten, die sich den Hals verrenken, um sich bis zum Steg hinunterarbeiten zu können, wo sie die höchsten und expressivsten Töne produzieren. Bassist und Schlagzeuger halten dabei gemeinsam in der Schwebe, um welche Taktart es sich eigentlich handelt. "Wednesday Night Prayer Meeting" vom Bassisten Charlie Mingus fängt so an, eine der aufregendsten Jazzaufnahmen der sechziger Jahre. Eine Platte, die in jeden Schrank gehört.

Es geht auch anders: Ein Bassist spielt ein kleines, rhythmisches Ostinato-Motiv auf einem einzigen singenden Ton, ein Schlagzeuger unterstützt mit ziselierten Stockschlägen auf dem Becken und dem unregelmäßig dazwischenfahrenden Hi-Hat das komplizierte, irgendwie südamerikanische Metrum des Stückes. Die rhythmischen Vertracktheiten fallen freilich gar nicht weiter ins Gewicht, weil der Saxophonist eine elegische Melodie darüberlegt, die klingt, als sei sie ein alter Bekannter aus der immer größer werdenden Sammlung von Standards, die jede Generation von Jazzmusikern neu zur Improvisation und Umformung herausfordert. "Bamboo Forest" heißt das wohlgeformte Stück, das modern und in der handwerklichen Perfektion zugleich wie die fein ornamentierte, farblich ausgeschmückte Initiale einer spätmittelalterlichen Handschrift wirkt.

Wer die vollständige Aufnahme des Bassisten Miroslav Vitous unter dem Titel "Universal Syncopations" anhört, der kann in der Tat leicht auf die Idee kommen, hier sei eine zeitgemäße Inkunabel veröffentlicht worden, etwas, das sich erst später als klingender Wiegendruck erweisen mag: als frühes Erzeugnis der Jazzkunst im einundzwanzigsten Jahrhundert. Sich die Platte jetzt schon in den Schrank zu legen bedeutet, später nicht mehr in Antiquitätenläden der Jazz-Diskographie nach Restexemplaren suchen zu müssen, um seinen Kanon wichtiger Einspielungen des Jazz zu komplettieren.

Die Aufnahme ist zudem ein weiterer Beleg für die veränderte Hierarchie im Jazz, die den Bassisten jenen Platz als Gestalter einräumt, den sie früher zwar schon für den kleinen Zirkel der Musiker selbst besaßen, aber in den Augen und Ohren der breiten Öffentlichkeit eher im verborgenen erfüllten. Vielleicht war Charlie Mingus da wirklich ein Pionier, mit einer kleinen Hilfe durch die Entwicklung des E-Basses, wodurch das Instrument offensichtlich und unüberhörbar in den Vordergrund gerückt wurde.

Miroslav Vitous, in Prag geboren, dort auch ausgebildet und seit 1966 in Amerika lebend, wo er außerdem noch das angesehene Berklee College of Music in Boston absolvierte, gehört als eines der Gründungsmitglieder von "Weather Report" schon lange zu den Bassisten mit neuem Klangideal und gestärktem Selbstbewußtsein - wie Stanley Clarke, Jaco Pastorius und Marcus Miller einerseits oder Charlie Haden, Dave Holland und Gary Peacock andererseits, um nur sechs ganz unterschiedliche Typen aus dem Füllhorn mit großen Interpreten auf diesem Instrument herauszugreifen.

Auch Miroslav Vitous hat für kurze Zeit in der Band von Miles Davis gespielt. Im Gegensatz zu den meisten aus der schier unüberhörbaren Schar von Musikern aber, die der in mehr als vierzig Jahren omnipräsente Ober-Guru des Jazz um sich versammelte und damit gewissermaßen in den Adelsstand erhob, kann Vitous seine Stippvisite bei Miles nicht als eine wichtige Stufe auf der Leiter zum Ruhm seiner Vita einfügen. Miles Davis war eher unzufrieden mit ihm, konnte mit seinem tschechischen Tonfall nie so recht etwas anfangen. Und auch Vitous selbst hat wohl weniger Anregung von Miles Davis erhalten als von einigen Davis-Musikern, von denen er nicht weniger als drei auf seiner neuesten Aufnahme vereint: den Pianisten Chick Corea, den Gitarristen John McLaughlin und den Schlagzeuger Jack DeJohnette.

Zusammen mit dem Saxophonisten Jan Garbarek bildet des Quintett um Vitous etwas, das man früher All-Star-Band genannt hätte: eine Band der Bandleader, von denen jeder ein gewichtiges Kapitel in der neueren Geschichte des Jazz mitgestaltet hat und die allesamt dafür sorgen, "Universal Syncopations" zu einem Meilenstein des aktuellen Jazz werden zu lassen. Miroslav Vitous ist ein technisch versierter, kontrapunktisch umfassend gebildeter Begleiter und Solist, Improvisator und Komponist, der sich so selbstverständlich in das Prinzip des walking bass fügt, wie er nichts zu wünschen übriglassende Melodien hervorzubringen vermag. Vom ersten bis zum letzten Ton wird dies auch von "Universal Syncopations" bezeugt. Der Gefahr aber, daß durch zuviel theoretische Kenntnis aus den Stücken Zwitterwesen ohne Originalität werden könnten - halb Beethoven und halb Strawinsky gewissermaßen oder halb Miles Davis und halb Anthony Braxton -, unterliegt die Aufnahme schon deshalb nicht, weil hier Musiker zusammenspielen, die ihr Instrument so perfekt beherrschen, um frei auf die Töne und Ideen der anderen vier reagieren zu können.

Das Ergebnis ist eines jener auch im Jazz seltenen Beispiele von formaler Geschlossenheit und spontaner Klangfindung, von musikalischer Logik in der individuellen Linienführung und einer sinnvollen polyphonen Struktur. Selbst das altmodischste Konzept mit durchlaufendem Beat und Riff-Bläsern zur solistischen Chorus-Abfolge ("Tramp Blues") wird durch die Souveränität der Ausführung geadelt. Bei so manchen, völlig unangestrengt wirkenden Hochgeschwindigkeitspassagen ("Faith Run", "Sun Flower") und einigen "Kollektiv"-Improvisationen spürt man, daß eine Einspielung noch immer vom überwältigenden Swing des Schlagzeugers und des Bassisten, dem Erfindungsreichtum in den Improvisationen und der vitalen Offbeat-Phrasierung aller Musiker lebt.

WOLFGANG SANDNER

Miroslav Vitous, Universal Syncopations. ECM 1863 (Universal)

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