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  • EAN: 5028421717128
  • Artikelnr.: 28207085
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2012

Schönheit und Gnade
Zürcher Geschenk: Mozarts Jugendwerk "Il re pastore"

SALZBURG, 31. Juli

Was uns an der Begegnung mit dem Schönen so erschüttert, ist wohl die Erfahrung, dass uns etwas geschenkt wird, das wir nötig hatten, ohne dass wir vorher wussten, was wir da nötig hatten. Wir fühlen uns durchschaut und ausgeliefert gegenüber einer Gewalt, die uns unvermutet Gutes tut. So ist das Schöne eine Gestalt der Gnade, die uns ohne Verdienst trifft; und dieses Betroffensein verschmilzt das Erlebnis von Ohnmacht mit dem Glück.

Ereignet hat sich das am Montag wieder bei der konzertanten Aufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts früher Oper "Il re pastore" im "Haus für Mozart" bei den Salzburger Festspielen. Es ist viel geweint worden im Publikum, nicht nur still. Man sah das Schluchzen einer Frau im Parkett, die sich nicht fassen konnte nach der schönsten Arie des Stücks: "L'amerò, sarò costante". Ein Andantino mit Solovioline und reicher Bläserbesetzung. Der Hirt Aminta singt, dass er seine Elisa immer lieben werde, obwohl er für diese Liebe auf den Thron von Sidon verzichten muss, den Alexander der Große ihm angeboten hat.

Neunzehnjährig stieß Mozart mit dieser Elegie in lichtem Es-Dur schon weit vor in eine lebenskluge Traurigkeit, die dann elf Jahre später in der Gräfin seines "Figaro" wieder Gestalt gewinnen sollte. Dass er in diesem Alter schon davon wusste, belegt nur, dass es die Tiefe, nicht die Anzahl der Erfahrungen ist, die einen Menschen reifen lässt. Die Sopranistin Martina Janková sang diese Arie in Salzburg mit einer so vollendeten Tonschönheit in allen Registern, mit solch sinnvoll gliederndem Atem und einer durchdringenden Süße, dass es hier an Herzlosigkeit gegrenzt hätte, die Fassung gewahrt zu haben. Ein großer, überragender Mozart-Sopran!

"Il re pastore" ist ein Schäferidyll über "Den König als Hirten" und eines der Mitbringsel des neuen Festspielintendanten Alexander Pereira aus seiner Zeit in Zürich. Vor gut einem Jahr hatte Mozarts Serenata dort in ebendieser Besetzung mit dem Orchestra La Scintilla unter William Christie Premiere. Man hat für Salzburg alles aus Zürich übernommen, auch die zierlichen Rokokokostüme von Luigi Perego. Eigentlich ist dies eine semiszenische, keine rein konzertante Aufführung; denn es wird einfallsreich und neckisch gespielt, obwohl die Kulisse fehlt und das Orchester mitten auf der Bühne sitzt. Nun mag man solch einen Wiederaufguss für unvereinbar halten mit der Exklusivität, die bei Festspielen herrschen soll. Aber durch ihre unwiderstehliche Anmut - "charis" nannten das die Griechen: "schenkende Freude" - legitimiert sich diese Produktion selbst.

Natürlich bestand der Hauptanreiz für viele darin, Rolando Villazón als Alexander zu erleben. Hier in Salzburg hatte der Tenor als Alfredo in Verdis "La Traviata" einst die ganze Welt gewonnen, bevor seine Stimme Schaden nahm und Krise um Krise ihn von der Bühne zog. Rührend war es jetzt, ein Publikum zu treffen, das dem Sänger durch schwere Zeiten die Treue gehalten hat. Villazón sang zwar mit einer Wucht, die eher zu Verdi als zu Mozart gepasst hätte. Er ließ sich zu Schleifern und Schluchzern hinreißen, die dem Verismo besser anstehen als dem Rokoko. Aber seine gewinnende Ausstrahlung ist ihm geblieben - und die Schönheit seiner Stimme nun eine andere: ohne den Glanz der Jugend, dafür erdig und ritterlich. Mit Freude und Zwischenapplaus honorierte man im Saal seine Leistungen.

Die Sopranistinnen Eva Mei als Elisa und Sandra Trattnigg als Tamiri, der echte lyrische Mozart-Tenor Benjamin Bernheim als Agenore und vor allem der Dirigent William Christie hatten es darauf angelegt, die Hörer zu bezaubern, statt sie zu verstören. Es ging nicht um die Rhetorik des Schreckens, nicht um lastende Spannung oder den Druck der Affekte. Alles floss leicht dahin und hatte doch genau die Zeit, die es brauchte. Das Rieseln der Bäche, das Wiegen der Halme im Wind - nur diskret, mehr als Stimmung, malten die Instrumente die Umgebung des Idylls.

Allenfalls in der Ouvertüre, im scharrenden Unisono des tiefen, wiederholten Vorhalts der Töne h-c, konnte man die schnaubende Ungeduld der Rosse Alexanders drastischer hören: erfüllt vom Tatendrang des großen Königs, Reiche zu erobern und Menschen zu beglücken. Doch Christie - im weißen Dinnerjackett, mit roten Strümpfen in schwarzen Lackschuhen - nahm selbst diese bellizistische Polterei mit vergnügtem Humor. So hat man bei "Il re pastore" alles erleben können, was den Menschen schön und liebenswert macht.

JAN BRACHMANN

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