Produktdetails
Trackliste
CD
1Urbs00:03:42
2Morenelys00:03:23
3Digeldans (halling)00:04:24
4Vrido00:03:31
5Rudlande00:05:24
6Over Oslo00:03:50
7Nye Nord00:05:44
8Folketone00:06:29
9Fossil00:09:51
10Synsrand00:03:58
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2007

Volkswagen mit Hybridantrieb
Interessante Weltmusik kommt neuerdings aus England und Norwegen: "Bellowhead" und Karl Seglem

War "African Heartbeat" aus dem Jahr 2002 die letzte ethnische Musikproduktion von Wert? Mit der für eine so buchstäblich globale Vermutung angebrachten Vorsicht darf man das einmal in den Raum stellen. Der nicht nur von seiner eigenen Musik besessene Harfenspieler Rüdiger Oppermann war damals mit dem Fahrrad und zu Fuß in vom Tourismus unberührten Gegenden an der Grenze zwischen Uganda und Kongo unterwegs gewesen - auf der Spur eines archaischen, vier Meter langen Xylophons und seiner Spieler. Bis zu zwanzig waren es gleichzeitig, die hier in einem mystisch kommunalen Schöpfungsakt afrikanische Polyrhythmik, Motorik und die typischen, unmerklich sich wandelnden melodischen Patterns zu einer komplexen Musik verdichteten und demonstrierten, was Pop, Rock, Jazz und Minimal Art alles Afrika zu verdanken haben.

Oppermann hätte für dieses Werk alle Schallplattenpreise dieser Welt bekommen müssen, gerade weil zu dieser Zeit ethnische "Sauberkeit" längst kein Qualitätsmerkmal mehr war, so wie in den frühen Tagen folkloristischer Entdeckerfreuden. Oppermann hatte in jahrhundertealten dörflichen Traditionen noch einmal große und für die Gegenwart äußerst relevante Kunst aufgefunden.

Globalisierung heißt auf Musikalisch Weltmusik, ein Begriff, der längst schon keinen ganz guten Ruf mehr hat. Denn was er bezeichnet, sind grenzenlose Möglichkeiten und damit zwangsläufig auch Irrungen und Wirrungen, Trittbrettfahrer, kommerzorientierte Schlaumeier und blanke Dummheit. Allgemein akzeptierte Kriterien hat es in diesem Bereich nie gegeben. Selbstverständlich gibt es aber am anderen Ende auch respektvolle Offenheit, musikantischen Unternehmungsgeist und Neugier, die es sich nicht leichtmacht. Und den Künstlern aus den abgelegenen Regionen wird man auch nicht verbieten wollen, Radio zu hören und sich weiterzuentwickeln. Sehr interessante neuere Weltmusik kommt allerdings zuletzt wieder aus Europa, man denke etwa an die griechische Sängerin Savina Yannatou und ihre hingebungsvolle CD "Sumiglia" von 2005, die vierzehn Folklorestücke aus den Mittelmeerländern und dem Mittleren Osten und darüber hinaus enthielt.

Der Norweger Karl Seglem geht bei der Erschließung heimischer Folklore ganz andere Wege. Nur ein einziges Stück seines aktuellen Albums verwendet ein traditionelles Volkslied. Alle anderen sind neu von ihm und Mitgliedern seiner Band komponiert. Die skandinavische Folklore kommt völlig ohne die Virtuosität und den Konkurrenzdruck aus, der die Folkies Irlands, Schottlands und des Balkans antreibt. Die skurrile Bordun-lastige Hardanger-Fiedel, die auch bei dieser Produktion eine große Rolle spielt, wäre zu solchen Höhenflügen der Fingerfertigkeit gar nicht in der Lage, noch weniger das Ziegenhorn mit seinen paar Tönen, das Seglem neben dem Tenorsaxophon spielt und das assoziative Ahnungen von ersten kulturellen Regungen in der Menschheitsgeschichte erweckt.

Gleich das erste Stück zeigt, wo es bei Seglem langgeht: Ein schlichtes Thema hat er da erfunden, das aus jeder Volksmusik hergeleitet sein könnte und in dem nicht mehr passiert als etwa in einem Kinderlied wie "Kuckuck, Kuckuck ruft's aus dem Wald", an das es motivisch erinnert. Das archaische Ziegenhorn wird sofort brutal von Elektronik unterwandert, gespleißt, verfremdet, turbulent in andere geokulturelle Zusammenhänge gestoßen.

Energie und neue Sounds, so bezeugt Seglem, beziehe er von den Bergen, die ihn in seiner Kindheit umgaben, von den Städten, in denen er sein halbes Leben gewohnt hat, und von dem Fossil in ihm. Auf der phantastischen Reise zwischen diesen imaginären Stationen gibt es später dann auch zärtliche, trostreiche Passagen mit Seglems weichem Tenorsaxophon-Klang, sanft ondulierenden Harmoniegeflechten, den meditativen Wellengang rhythmischer Kleinstrukturen und vieldeutige Farbspiele, denen das Dunkle nie abhandenkommen soll. Auch wenn Seglem gelegentlich in Folklore-Archiven wühlt, "wichtiger sind die Natur, die Landschaft und das Wetter".

Wieder eine andere Welt ist die englische Gruppe "Bellowhead". Das elfköpfige Kollektiv hat noch persönliche und künstlerische Verbindungen zur großen Folk-Rock-Zeit der siebziger Jahre, also etwa zu Peter Bellamy und "Fairport Convention". Das Material von "Bellowhead" ist durchweg traditionell, zum Teil in genretypischer Manier von Freunden überliefert oder in alten Sammlungen aufgetrieben: die bewährten Songs über schwellende Liebe im Mai, grausliche Moritaten, schwere Seemannsschicksale und ein ausgefalleneres Stück zum Thema "Der Tod und das Mädchen".

Wie die junge Truppe, die in England auf den Festivals bereits als Sensation gefeiert wird, mit der Musik ihrer Wahl umgeht, ist atemberaubend, eine bizarr aufwendige Liebesarbeit ohne Beispiel. Die humorvolle Expressivität der englischen Music-Hall-Kultur wird mit Rock- und Funk-Gewalt inszeniert. Ein fetter Walzer mutiert in einen Fünfertakt. Kraftvoll ziselierte Bläserarrangements vermitteln zwischen klassischem Wohllaut und der Brillanz von Big-Band-Jazz. Alte Tanzmusik wandelt ihren Charakter in einem einzigen Stück von der versunkenen Geigen-Ziehharmonika-Stimmung im Hinterzimmer einer irischen Kneipe bis zum ausgefeilt reflexiven Arrangement der Blechbläser einer Marching Band aus New Orleans. In einem anderen Stück türmt sie sich zu einem kunstvollen Kontrapunkt-Fest auf. Dazu kommen glänzende Gesangsleistungen sowohl der Solisten als auch im mehrstimmigen Satz in der Tradition des familiären Hausgebrauchs von Gruppen wie der "Copper Family" und den "Watersons". Die CD heißt "Burlesque". Das trifft manches, aber bei weitem nicht alles im riesigen Repertoire von "Bellowhead".

ULRICH OLSHAUSEN

Bellowhead, Burlesque. Westpark 87132 (Indigo)

Karl Seglem, Urbs. Ozella Music 14 (In-Akustik)

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