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Produktdetails
  • Hersteller: Emi,
  • EAN: 5099976100123
  • Artikelnr.: 43127085
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2015

Junggesellinnenabschied? Orgie!

Eine Zwangsheirat schließt doch eine Liebesheirat nicht aus: Tatjana Gürbaca inszeniert eine turbulente "Arabella" von Richard Strauss in Düsseldorf.

Die Musik ist betörend, opulent und traumhaft schön, sie ist wie übersät mit Sängerleckerbissen. Kulinarik pur stand am Wochenende zur Spielzeiteröffnung auf dem Programm der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. In "Arabella" von Richard Strauss wird viel geschmachtet, geflirtet, gelüstet und geliebeleit, werden Töchter verschachert und verkleidet, werden Ehen gestiftet, und am Ende öffnet sich plötzlich doch der Himmel der ganz großen Liebe. Wer da nicht im Samtsessel zerfließt, ist selbst schuld.

Der Librettist Hugo von Hofmannsthal war sich zwar mit Strauss einig darin, dass sich der Wurf des "Rosenkavalier" nicht werde wiederholen lassen, aber ausprobiert haben sie es dennoch. In Düsseldorf, dank der kongenialen Regie von Tatjana Gürbaca und vor allem dank einer überwältigend geglückten Sängerbesetzung, strahlt das scheinbar so oberflächliche Werk nun sogar aus der Tiefe.

Und darum geht es: Die schöne Arabella, Spross aus verarmtem Wiener Adel, soll die Spielschulden des Herrn Papa mit Leib und Seele bezahlen. Für die Zwangsheirat (was eine Liebesheirat nicht ausschließt) wird standesgemäß der kroatische Graf Mandryka auserkoren, ein steinreicher Wilder aus dem Osten, gewissermaßen ein adliges Landei, dem ein Passbild Arabellas per Post genügte, um die Körpersäfte ins Hirn steigen zu lassen.

So machte sich Mandryka auf ins sündige Wien, um Arabella aus der verlogen modrigen Gesellschaft zu retten. Doch schon beim ersten Fünkchen einer Intrige mutiert der Gentleman zum Tobenden. Einfach umwerfend, wie Simon Neal diese Verwandlung stimmlich und szenisch stemmt, als dicke Hummel surrt er sich in rasenden Zorn. Und Jacquelyn Wagner als Arabella, die ihn zum Wahnsinn bringt, singt herrlich, sie kostet jede Phrase voll aus und bleibt dabei doch zerbrechlich, die reine Unschuld.

Auch Arabellas kleine Schwester wird am Ende erfolgreich verscherbelt: Anja-Nina Bahrmann ist für die Hosenrollenpartie der Zdenka wie geschaffen, keck und glasklar trällert und intrigiert sie sich durch die Wirren zum eigenen Glück. Matteo, ihr Geliebter, glänzend verkörpert von Corby Welch, wird von ihr im Handumdrehen vereinnahmt, auch wenn er anfangs inbrünstig und vergebens, wie fast alle Wiener Gräflein, scharf war auf Arabella. Auch die Eltern der beiden Mädchen sind famos besetzt, zumal Thorsten Grümbel als Trottel von Vater versteht es bestens, das Idiom des Wienerischen in Musik zu übersetzen, unfassbar witzig und warm.

Die Bühnenkonstruktion, ersonnen von Henrik Ahr, besteht aus zwei klassischen Drehtüren, wie sie in Hotellobbys führen könnten, freilich gehalten in klinischem Weiß. Wie Farbkleckse auf einer Leinwand huschen die Sänger durch diese Szene: Bunter könnten die Kostüme kaum sein, bezaubernder auch nicht. Aber wenn, zum Beispiel, die drei um Arabella werbenden Gräflein im Pferdegalopp durch die Drehtüren hopsen, wird alsbald klar, dass der Spaß einen kritischen, bitteren Kern hat.

Gürbaca und ihr Team haben das Werk mit all seinen trivialen Tücken fest im Griff, sie begegnen dem Kitsch mit Ironie, treiben der Handlung alles Muffige und der musikalischen Dramaturgie alles Schlagerparadenhafte konsequent aus. Manchmal ist diese zarte Balance zwischen Parodie und Kritik, das Spannungsverhältnis zwischen Spiel und Ernst, Bühnenkünstlichkeit und Lebensrealität kaum auszuhalten. Gezeigt wird eine untergehende Gesellschaft, die gefangen ist in den Schlingen von Lug und Trug, die sie selbst auslegte. Jeder will hier mehr scheinen als sein. Jeder feiert in Wirklichkeit nur sich selbst.

So kommt es schließlich zu einem ultimativen Ausbruch von Hedonismus. Der Junggesellinnenabschied der Schönen mündet ein in einen total verkoksten Karnevalsball, der schraubt sich hoch zur Massenorgie, da greift dann die erotische Fiaker-Milli (Elena Sancho Pereg) beherzt zur Reitgerte mit Lamettapuschel, dass um so herrlicher die Koloraturgirlanden purzeln, und auch der Rest der Belegschaft treibt es exzessiv, egal ob Mann, Frau oder Pferd, hintereinander, nacheinander, miteinander.

Lukas Beikircher dirigiert das Solistenensemble und die Düsseldorfer Symphoniker mit Umsicht und Durchsicht, so trocken, als handele es sich um ein Kammermusikensemble, er kann aber die spätromantisch jubelnden Klangtexturen auch mal bis ins Äußerste treiben. Am Ende vom Lied findet sich das junge, alte Glück, Arabella und Madryka, wieder vor einem schwarzen Hintergrund, ist selbst schwarz kostümiert und plötzlich der Ungewissheit ausgeliefert, wie es weitergehen wird nach dem Happyend - ein Stilbruch zum Schluss, der womöglich noch bitterer wirkt als das ganze doppelbödige Tandaradei zuvor. Ein großartiger, rätselhafter und verstörender Opernabend.

CHRISTOPHER WARMUTH

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