Produktdetails
- Hersteller: Saphir,
- EAN: 4006758308753
- Artikelnr.: 48443419
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2023Seid Kinder des Lichts!
Lebenslustüberschuss: Markus Poschner und Roland Schwab zeigen in Bayreuth auch die hellen Seiten an Richard Wagners "Tristan und Isolde".
Mögen sie auch noch so sehr die Nacht anbeten und sich wünschen, dass sie niemals ende - Tristan und Isolde sind doch Kinder des Lichts. Nicht ihre Sprache, ihre Musik verrät sie. Und Markus Poschner ist ihnen in Bayreuth auf die Schliche gekommen. Schon bei der Premiere im vorigen Jahr, die recht kurzfristig anberaumt worden war, weil man mit einer weniger chorintensiven Oper für den Fall neuer Corona-Restriktionen gewappnet sein wollte, fiel auf, wie sehr Poschner die hohen Register, die lichten Klangfarben im Orchester bei "Tristan und Isolde" akzentuiert. Oboen und Flöten leuchten von Anfang an über aller Weltverneinungsdüsternis.
Und die aufwärts eilenden Streicherskalen, die in Synkopen und punktierte Rhythmen münden, von Takt 63 des Vorspiels an, wenn wir einen halbwegs stabilen A-Dur-Ankergrund in diesen Wogen harmonischer Ungewissheit erreicht haben, was sind sie anderes als Ausdruck kindlicher Lebensfreude: jeweils ein Anlauf, der auf den Absprung in die Arme eines geliebten Menschen zielt. Dieses angebliche opus metaphysicum der Todessehnsucht strotzt nur so vor physischen Gesten eines Lebenslustüberschusses.
Bei Poschner hört man sie: zart gezeichnet mit heller Pastellkreide. Wenn Tristan und Isolde im zweiten Aufzug, mal der eine, mal die andere, singen "Lass mich sterben!" und "Lass den Tag dem Tode weichen", dann spürt man bei Poschner deutlicher als sonst, was sie tun: Sie wiegen sich in einem langsamen Walzer. Der Subtext der Musik lautet: "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein, in den siebenten Himmel der Liebe."
Die Stimmen von Clay Hilley als Tristan und Catherine Foster als Isolde freilich sind in diesen Momenten nicht leichtfüßig genug, um wirklich mitzutanzen. Das Orchester findet mit ihnen keinen gemeinsamen Atem, keinen gemeinsamen Puls. Es sind zwei Stimmen, die wahrscheinlich doch mehr Zeit brauchen, um zur vollen Schönheit - mit der sie immer wieder beglücken - aufblühen zu können. Ein paar Proben mehr hätten hier sicher gutgetan. Hilley, der im ersten Aufzug noch sehr reserviert und in der Höhe nasal verengt klingt, beweist in den Fieberekstasen des Finales eine ausgezeichnete Kondition. Foster ist eine der gütigsten und wärmsten Isolden, die man sich denken kann. Die irische Kräuterhexe mit Haaren auf den Zähnen dürfte ihre Sache nicht so sehr sein wie die Balsam spendende Liebende.
Christa Mayer als Brangäne offenbart - im Vergleich zu Foster - viel mehr dramatisches Feuer und wehrbereite Wachheit. Die Dienerin wird auch vom Regisseur Roland Schwab und von dessen Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht eher als quicke und patente Freundin der Titelheldin gezeichnet. Sobald der großartige Georg Zeppenfeld als König Marke die Bühne betritt, kommt freilich alles zur perfekten Deckung: Stimmsitz, glasklare Sprache, körperliche Aktion. Auch wenn man denken mag, dass Wagners Musik, gerade in "Tristan und Isolde", gar keine Szene braucht, so sind Zeppenfelds Auftritte jedes Mal der Beweis dafür, dass diese Musik sich doch szenisch sinnvoll erfüllen kann.
Markus Eiche, der schon als Wolfram im "Tannhäuser" einmal mehr einen starken Eindruck hinterließ, muss man als Kurwenal im "Tristan" einfach bewundern. Wenn er im dritten Aufzug singt: "Nun bist du daheim, daheim zu Land: im echten Land, im Heimatland", hört man ein vollendetes Legato über weite Phrasen, weich und fließend, ohne pathetisches Dröhnen oder ein altmodisch-heldisches Herausstemmen der Worte. Heimat erscheint in Eiches Gesang als das Heilende und Wohltuende, nicht als das, was zu Schutz und Trutz gegen die Fremde behauptet werden muss. Und so, wie Eiche hier den schönen Gesang hochhält, versteht er doch genau, wo das veristische Element seinen Platz hat, nämlich wenn er sterbend, pausendurchsetzt, seine letzten Worte heraus stöhnt: "Da liegt er - hier - wo ich - liege."
Das Bühnenbild von Piero Vinciguerra mit seinem geneigten Himmelsoval, das von einem Bassin gespiegelt wird, gönnt den Protagonisten als Ausnahmemenschen den Gang übers Wasser (Luis August Krawen animiert das Bassin durch Videos), das Standhalten im Sturm wie in den Strömungswirbeln der Liebe und das glückliche Entschweben "in des Welt-Atems wehendem All".
Roland Schwabs handlungsarme Inszenierung hat es nicht auf Provokation, Verstörung oder gar Attacke abgesehen. Sie ist in einem ironiefreien Sinne menschenfreundlich, voller Anerkennung für die beiden emotionalen Extremisten im Titel der Oper, deren Weg er trotzdem nicht mitgehen will. Lebenszugewandt lässt er eine Alternative offen. Durch drei Altersstufen begegnen wir immer wieder einem stummen Paar: Kindheitsfreunden, jungen Liebenden, Greisen, die bis zum Schluss zusammenbleiben. Wagners ekstatischem Imperativ "Lass uns zusammen sterben! Besser wird's nicht" stellt Schwab entgegen: "Lass uns zusammen alt werden. Wer weiß, was nicht noch alles an Schönem auf uns wartet." JAN BRACHMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lebenslustüberschuss: Markus Poschner und Roland Schwab zeigen in Bayreuth auch die hellen Seiten an Richard Wagners "Tristan und Isolde".
Mögen sie auch noch so sehr die Nacht anbeten und sich wünschen, dass sie niemals ende - Tristan und Isolde sind doch Kinder des Lichts. Nicht ihre Sprache, ihre Musik verrät sie. Und Markus Poschner ist ihnen in Bayreuth auf die Schliche gekommen. Schon bei der Premiere im vorigen Jahr, die recht kurzfristig anberaumt worden war, weil man mit einer weniger chorintensiven Oper für den Fall neuer Corona-Restriktionen gewappnet sein wollte, fiel auf, wie sehr Poschner die hohen Register, die lichten Klangfarben im Orchester bei "Tristan und Isolde" akzentuiert. Oboen und Flöten leuchten von Anfang an über aller Weltverneinungsdüsternis.
Und die aufwärts eilenden Streicherskalen, die in Synkopen und punktierte Rhythmen münden, von Takt 63 des Vorspiels an, wenn wir einen halbwegs stabilen A-Dur-Ankergrund in diesen Wogen harmonischer Ungewissheit erreicht haben, was sind sie anderes als Ausdruck kindlicher Lebensfreude: jeweils ein Anlauf, der auf den Absprung in die Arme eines geliebten Menschen zielt. Dieses angebliche opus metaphysicum der Todessehnsucht strotzt nur so vor physischen Gesten eines Lebenslustüberschusses.
Bei Poschner hört man sie: zart gezeichnet mit heller Pastellkreide. Wenn Tristan und Isolde im zweiten Aufzug, mal der eine, mal die andere, singen "Lass mich sterben!" und "Lass den Tag dem Tode weichen", dann spürt man bei Poschner deutlicher als sonst, was sie tun: Sie wiegen sich in einem langsamen Walzer. Der Subtext der Musik lautet: "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein, in den siebenten Himmel der Liebe."
Die Stimmen von Clay Hilley als Tristan und Catherine Foster als Isolde freilich sind in diesen Momenten nicht leichtfüßig genug, um wirklich mitzutanzen. Das Orchester findet mit ihnen keinen gemeinsamen Atem, keinen gemeinsamen Puls. Es sind zwei Stimmen, die wahrscheinlich doch mehr Zeit brauchen, um zur vollen Schönheit - mit der sie immer wieder beglücken - aufblühen zu können. Ein paar Proben mehr hätten hier sicher gutgetan. Hilley, der im ersten Aufzug noch sehr reserviert und in der Höhe nasal verengt klingt, beweist in den Fieberekstasen des Finales eine ausgezeichnete Kondition. Foster ist eine der gütigsten und wärmsten Isolden, die man sich denken kann. Die irische Kräuterhexe mit Haaren auf den Zähnen dürfte ihre Sache nicht so sehr sein wie die Balsam spendende Liebende.
Christa Mayer als Brangäne offenbart - im Vergleich zu Foster - viel mehr dramatisches Feuer und wehrbereite Wachheit. Die Dienerin wird auch vom Regisseur Roland Schwab und von dessen Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht eher als quicke und patente Freundin der Titelheldin gezeichnet. Sobald der großartige Georg Zeppenfeld als König Marke die Bühne betritt, kommt freilich alles zur perfekten Deckung: Stimmsitz, glasklare Sprache, körperliche Aktion. Auch wenn man denken mag, dass Wagners Musik, gerade in "Tristan und Isolde", gar keine Szene braucht, so sind Zeppenfelds Auftritte jedes Mal der Beweis dafür, dass diese Musik sich doch szenisch sinnvoll erfüllen kann.
Markus Eiche, der schon als Wolfram im "Tannhäuser" einmal mehr einen starken Eindruck hinterließ, muss man als Kurwenal im "Tristan" einfach bewundern. Wenn er im dritten Aufzug singt: "Nun bist du daheim, daheim zu Land: im echten Land, im Heimatland", hört man ein vollendetes Legato über weite Phrasen, weich und fließend, ohne pathetisches Dröhnen oder ein altmodisch-heldisches Herausstemmen der Worte. Heimat erscheint in Eiches Gesang als das Heilende und Wohltuende, nicht als das, was zu Schutz und Trutz gegen die Fremde behauptet werden muss. Und so, wie Eiche hier den schönen Gesang hochhält, versteht er doch genau, wo das veristische Element seinen Platz hat, nämlich wenn er sterbend, pausendurchsetzt, seine letzten Worte heraus stöhnt: "Da liegt er - hier - wo ich - liege."
Das Bühnenbild von Piero Vinciguerra mit seinem geneigten Himmelsoval, das von einem Bassin gespiegelt wird, gönnt den Protagonisten als Ausnahmemenschen den Gang übers Wasser (Luis August Krawen animiert das Bassin durch Videos), das Standhalten im Sturm wie in den Strömungswirbeln der Liebe und das glückliche Entschweben "in des Welt-Atems wehendem All".
Roland Schwabs handlungsarme Inszenierung hat es nicht auf Provokation, Verstörung oder gar Attacke abgesehen. Sie ist in einem ironiefreien Sinne menschenfreundlich, voller Anerkennung für die beiden emotionalen Extremisten im Titel der Oper, deren Weg er trotzdem nicht mitgehen will. Lebenszugewandt lässt er eine Alternative offen. Durch drei Altersstufen begegnen wir immer wieder einem stummen Paar: Kindheitsfreunden, jungen Liebenden, Greisen, die bis zum Schluss zusammenbleiben. Wagners ekstatischem Imperativ "Lass uns zusammen sterben! Besser wird's nicht" stellt Schwab entgegen: "Lass uns zusammen alt werden. Wer weiß, was nicht noch alles an Schönem auf uns wartet." JAN BRACHMANN
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