Produktdetails
- Hersteller: DGG, DDD, 1988-1991,
- EAN: 0028947698036
- Artikelnr.: 41104234
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2023Es rappelt im Fundus
"Siegfried" als Spieloper: Der Regisseur Peter Konwitschny und der Dirigent Gabriel Feltz machen im Dortmunder "Ring des Nibelungen" vor, wie leitmotivische Präzisionsarbeit und Bühnensituationskomik zusammenwirken.
Die Hüllen werden fallen. Wer vor einem Jahr im Theater Dortmund die "Walküre" gesehen hat, mit der Peter Konwitschny seinen "Ring des Nibelungen" begann und jetzt nach der zweiten Pause des "Siegfried" in den Saal zurückkehrt, wird von Rührung und Vorfreude ergriffen, weil er weiß, wie das wird. Die sechs Harfen sind auf die Plätze zu beiden Seiten des Proszeniums verbracht worden, wo sie am Ende des ersten Abends von Richard Wagners Bühnenfestspiel den Feuerzauber erzeugten und verkörperten. Noch sind die filigranen goldenen Ungetüme in ihre schwarzen Säcke eingehüllt. Der Regisseur hätte auch anordnen können, die Harfen samt Harfenistinnen erst pünktlich zu ihrem Auftritt aus der Kulisse an den Bühnenrand zu schieben. Aber Konwitschnys Theater ist eine Welt, in der die Mittel zur Produktion magischer Effekte bereitliegen und nicht versteckt werden müssen.
Wie der legendäre Stuttgarter "Ring" vor einem Vierteljahrhundert vier Regisseuren anvertraut war, arbeitet Konwitschny, der in Stuttgart die "Götterdämmerung" ablieferte, in Dortmund mit vier Ausstatterteams. Frank Philipp Schlößmann baute für die "Walküre" drei Wohnküchen, eine größer und luxuriöser als die andere. Als sich der Vorhang des zweiten Aufzugs öffnete, verstand man das Schema und freute sich auf den dritten. Auch Johannes Leiackers Bühnenbild für den "Siegfried" verklammert die drei Aufzüge durch ein Element aus dem Theatermodellbaukasten. Es ist der Container, die Urkiste einer modularen Bauweise, die alle Ornamentik einspart. Mime, der Schmied, der seine handwerkliche Begabung verkommen und seinen Ziehsohn verwildern lässt, weil er besessen ist von der Idee, aus Altmetallresten eine Wunderwaffe zu basteln, haust in einem solchen Kasten, der mit einer Waldpanoramatapete ausgeschlagen ist. Rechts schiebt sich ein zweiter Container ins Bild. Man ahnt: Das muss das Goldlager des Riesen Fafner sein, der einzige Ort auf der Welt, der den im instrumentellen Denken gefangenen Werkzeugmacher interessiert.
Der Hort ein Container: Das passt. Zunächst einmal, weil Fafner und sein Bruder Fasolt (das Dortmunder "Rheingold" steht in der nächsten Spielzeit an) im Baugewerbe groß geworden sind. Vor allem aber auch als Bild für Wagners Kapitalismuskritik, für die Phantasielosigkeit der totalen Sachherrschaft des abstrakten Eigentums. Das aus dem Verkehr gezogene Gold ist unsichtbar wie die Kunstsammlung eines Oligarchen im Schweizer Freilager, unnütz und unschön. Der Container ist aber in Konwitschnys Disposition mehr als ein Konzept, nicht bloß ein Raster, das in seiner interaktiven Variante des Regietheaters mit Assoziationen der Zuschauer gefüllt werden kann. Am Anfang des zweiten Aufzugs - die Szene hat sich nach rechts verschoben - entfaltet die weiße Blechwand als Hintergrund eine ungeheure dramatische Wirkung. Alberich treibt sich in der Umgebung von Fafners Höhle herum und hat nichts zu tun, als sich treiben zu lassen. Eine Fahndungsbildfolge aus Bewegungsstudien wird auf die Wand geworfen, ein zerstückelter Scherenschnitt: großes expressionistisches Kino, nur aus Licht und Schatten gemacht. Auf der kahlen Baustelle im Urwald der Großstadt wird ein Meisterverbrecher gestellt. Er trägt einen Frack, als käme er von einem Ball oder aus der Oper. Psychologische Glaubwürdigkeit ist beim Titelhelden der Tetralogie die falsche Kategorie. Alberichs Monomanie ist eine durch und durch theatralische Erfindung.
Der zweite "Siegfried"-Aufzug leidet oft an fehlgeleitetem Illusionismus. Wenn der Drache im Versteck aufgestört wird, gerät das Spektakel meist kläglich. In Dortmund bietet das Innere von Fafners Container, als die Tür schließlich fällt, einen Anblick von monströser Vulgarität: Der Hausherr hat sich in seinem Gold buchstäblich eingerichtet. Er badet nur noch in goldenen Badewannen, das Geschirr ist ebenfalls aus Gold, und nur an seinen Füßen funkelt nichts, weil er keine Gamaschen mit Metallknöpfen trägt wie ein Bankier, sondern Adiletten. Aus dem witzigen Tableau holt Konwitschny ein Maximum an Komik heraus, indem er die Situation als Bühnensituation behandelt. Es zeigt sich, dass der Waldvogel, der Siegfried den Weg gewiesen hat, dem Privatier als Gespielin zu Diensten stand. Nach Fafners Exitus in der Wanne findet die stumme Dienerin ihre Sprache, macht sich aber nicht aus dem Goldstaub, sondern nun erst recht nützlich. Während die Zwerge den Neidhöhlenboden zum Schlachtfeld ihres Bruderkriegs machen und der nach dem Erlebnis des tödlichen Zustechens immer noch furchtlose Siegfried sich beschwert, weil er im Bildungsurlaub nicht auf seine Kosten gekommen ist, hüpft Alina Wunderlin im grünen Röckchen so behände, wie sie singt, zupft hier etwas zurecht, bringt da etwas in Ordnung und steckt dort etwas ein. Sie ist der gute Geist des Theaters.
"Siegfried" als Spieloper: Dem Ansatz des Regisseurs entspricht die musikalische Arbeit. Mit dem Kopftuch im Stil von David Foster Wallace ist Daniel Frank so kostümiert, als wollte er durch die Eignungsprüfung für Heldentenöre fallen. Aber wenn man sich diese schwankende Gestalt nicht nur ansieht, sondern auch anhört, merkt man, dass er Saft und Kraft in die gesangliche Gestaltung fließen lässt. Mime (Matthias Wohlbrecht) keift nicht, der Wanderer (Thomas Johannes Mayer) beglaubigt mit Rosttönen die durch Altwerden und unbehelligtes Zuschauen erworbene säkulare Autorität, mit der sich der ruinierte Obergott Wotan schmückt wie ein Ehrenmitglied der Theatergemeinde.
Das Quizduell zwischen Mime und dem Wanderer ist ein retardierendes Moment. Welche dramatische Funktion haben die Fragen, wenn sie die Handlung nicht voranbringen? Generalmusikdirektor Gabriel Feltz und die Dortmunder Philharmoniker geben die Antwort durch plastische Formung aller Einzelheiten. Leitmotive sind vertraute, unverwüstliche Requisiten, mit denen man noch erstaunlich viel anfangen kann. PATRICK BAHNERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Siegfried" als Spieloper: Der Regisseur Peter Konwitschny und der Dirigent Gabriel Feltz machen im Dortmunder "Ring des Nibelungen" vor, wie leitmotivische Präzisionsarbeit und Bühnensituationskomik zusammenwirken.
Die Hüllen werden fallen. Wer vor einem Jahr im Theater Dortmund die "Walküre" gesehen hat, mit der Peter Konwitschny seinen "Ring des Nibelungen" begann und jetzt nach der zweiten Pause des "Siegfried" in den Saal zurückkehrt, wird von Rührung und Vorfreude ergriffen, weil er weiß, wie das wird. Die sechs Harfen sind auf die Plätze zu beiden Seiten des Proszeniums verbracht worden, wo sie am Ende des ersten Abends von Richard Wagners Bühnenfestspiel den Feuerzauber erzeugten und verkörperten. Noch sind die filigranen goldenen Ungetüme in ihre schwarzen Säcke eingehüllt. Der Regisseur hätte auch anordnen können, die Harfen samt Harfenistinnen erst pünktlich zu ihrem Auftritt aus der Kulisse an den Bühnenrand zu schieben. Aber Konwitschnys Theater ist eine Welt, in der die Mittel zur Produktion magischer Effekte bereitliegen und nicht versteckt werden müssen.
Wie der legendäre Stuttgarter "Ring" vor einem Vierteljahrhundert vier Regisseuren anvertraut war, arbeitet Konwitschny, der in Stuttgart die "Götterdämmerung" ablieferte, in Dortmund mit vier Ausstatterteams. Frank Philipp Schlößmann baute für die "Walküre" drei Wohnküchen, eine größer und luxuriöser als die andere. Als sich der Vorhang des zweiten Aufzugs öffnete, verstand man das Schema und freute sich auf den dritten. Auch Johannes Leiackers Bühnenbild für den "Siegfried" verklammert die drei Aufzüge durch ein Element aus dem Theatermodellbaukasten. Es ist der Container, die Urkiste einer modularen Bauweise, die alle Ornamentik einspart. Mime, der Schmied, der seine handwerkliche Begabung verkommen und seinen Ziehsohn verwildern lässt, weil er besessen ist von der Idee, aus Altmetallresten eine Wunderwaffe zu basteln, haust in einem solchen Kasten, der mit einer Waldpanoramatapete ausgeschlagen ist. Rechts schiebt sich ein zweiter Container ins Bild. Man ahnt: Das muss das Goldlager des Riesen Fafner sein, der einzige Ort auf der Welt, der den im instrumentellen Denken gefangenen Werkzeugmacher interessiert.
Der Hort ein Container: Das passt. Zunächst einmal, weil Fafner und sein Bruder Fasolt (das Dortmunder "Rheingold" steht in der nächsten Spielzeit an) im Baugewerbe groß geworden sind. Vor allem aber auch als Bild für Wagners Kapitalismuskritik, für die Phantasielosigkeit der totalen Sachherrschaft des abstrakten Eigentums. Das aus dem Verkehr gezogene Gold ist unsichtbar wie die Kunstsammlung eines Oligarchen im Schweizer Freilager, unnütz und unschön. Der Container ist aber in Konwitschnys Disposition mehr als ein Konzept, nicht bloß ein Raster, das in seiner interaktiven Variante des Regietheaters mit Assoziationen der Zuschauer gefüllt werden kann. Am Anfang des zweiten Aufzugs - die Szene hat sich nach rechts verschoben - entfaltet die weiße Blechwand als Hintergrund eine ungeheure dramatische Wirkung. Alberich treibt sich in der Umgebung von Fafners Höhle herum und hat nichts zu tun, als sich treiben zu lassen. Eine Fahndungsbildfolge aus Bewegungsstudien wird auf die Wand geworfen, ein zerstückelter Scherenschnitt: großes expressionistisches Kino, nur aus Licht und Schatten gemacht. Auf der kahlen Baustelle im Urwald der Großstadt wird ein Meisterverbrecher gestellt. Er trägt einen Frack, als käme er von einem Ball oder aus der Oper. Psychologische Glaubwürdigkeit ist beim Titelhelden der Tetralogie die falsche Kategorie. Alberichs Monomanie ist eine durch und durch theatralische Erfindung.
Der zweite "Siegfried"-Aufzug leidet oft an fehlgeleitetem Illusionismus. Wenn der Drache im Versteck aufgestört wird, gerät das Spektakel meist kläglich. In Dortmund bietet das Innere von Fafners Container, als die Tür schließlich fällt, einen Anblick von monströser Vulgarität: Der Hausherr hat sich in seinem Gold buchstäblich eingerichtet. Er badet nur noch in goldenen Badewannen, das Geschirr ist ebenfalls aus Gold, und nur an seinen Füßen funkelt nichts, weil er keine Gamaschen mit Metallknöpfen trägt wie ein Bankier, sondern Adiletten. Aus dem witzigen Tableau holt Konwitschny ein Maximum an Komik heraus, indem er die Situation als Bühnensituation behandelt. Es zeigt sich, dass der Waldvogel, der Siegfried den Weg gewiesen hat, dem Privatier als Gespielin zu Diensten stand. Nach Fafners Exitus in der Wanne findet die stumme Dienerin ihre Sprache, macht sich aber nicht aus dem Goldstaub, sondern nun erst recht nützlich. Während die Zwerge den Neidhöhlenboden zum Schlachtfeld ihres Bruderkriegs machen und der nach dem Erlebnis des tödlichen Zustechens immer noch furchtlose Siegfried sich beschwert, weil er im Bildungsurlaub nicht auf seine Kosten gekommen ist, hüpft Alina Wunderlin im grünen Röckchen so behände, wie sie singt, zupft hier etwas zurecht, bringt da etwas in Ordnung und steckt dort etwas ein. Sie ist der gute Geist des Theaters.
"Siegfried" als Spieloper: Dem Ansatz des Regisseurs entspricht die musikalische Arbeit. Mit dem Kopftuch im Stil von David Foster Wallace ist Daniel Frank so kostümiert, als wollte er durch die Eignungsprüfung für Heldentenöre fallen. Aber wenn man sich diese schwankende Gestalt nicht nur ansieht, sondern auch anhört, merkt man, dass er Saft und Kraft in die gesangliche Gestaltung fließen lässt. Mime (Matthias Wohlbrecht) keift nicht, der Wanderer (Thomas Johannes Mayer) beglaubigt mit Rosttönen die durch Altwerden und unbehelligtes Zuschauen erworbene säkulare Autorität, mit der sich der ruinierte Obergott Wotan schmückt wie ein Ehrenmitglied der Theatergemeinde.
Das Quizduell zwischen Mime und dem Wanderer ist ein retardierendes Moment. Welche dramatische Funktion haben die Fragen, wenn sie die Handlung nicht voranbringen? Generalmusikdirektor Gabriel Feltz und die Dortmunder Philharmoniker geben die Antwort durch plastische Formung aller Einzelheiten. Leitmotive sind vertraute, unverwüstliche Requisiten, mit denen man noch erstaunlich viel anfangen kann. PATRICK BAHNERS
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