Produktdetails
- Anzahl: 1 Vinyl
- Erscheinungstermin: 26. Januar 2024
- Hersteller: 375 Media GmbH / XL/BEGGARS GROUP / INDIGO,
- EAN: 0191404139417
- Artikelnr.: 69443054
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2024Das Lächeln gefriert
The Smile machen eine Frischzellenkur
Glotzt nicht so romantisch, lautet der Imperativ von Brecht. Glotzt überhaupt nicht, fordern Radiohead, pardon, The Smile. Auf "A Light For Attracting Attention", dem ersten Album des Nebenprojekts, mit dem die Hauptradioköpfe Thom Yorke und Jonny Greenwood vor knapp zwei Jahren ihre Fans überraschten, gab es den fast punkigen Kracher "You Will Never Work In Television Again" mit den Zeilen: "All those beautiful young dreams and hopes / Devoured by those evil eyes." Nun ist das zweite Album des mit dem Jazzschlagzeuger Tom Skinner gebildeten Trios da, und die teuflisch verschlingenden Augen haben sich zur Wand formiert.
Dabei beginnt "Wall Of Eyes" leicht und beschwingt, mit lateinamerikanisch anmutenden Klängen einer dezent geschruppten Akustikgitarre. Schnell aber machen die klagend tremolierenden Töne der Stimme Thom Yorkes deutlich, dass auch The Smile kein Sonnenscheinprojekt ist. Obwohl der heiter-südliche Rhythmus stoisch durchgehalten wird, überlagern ihn bald schwermütige Akkorde, setzen Streicher dunklere Akzente, von hinten schiebt sich etwas Kratziges heran. Das Lächeln gefriert.
Während Radiohead auf höchstem Niveau stagnieren (der elegische Artrock des letzten Albums "A Moon Shaped Pool" liegt bereits acht Jahre zurück), wirkte das Debüt von The Smile mit seinen kürzeren, teils bissigen Songs wie eine Frischzellenkur für die Musiker. "Wall Of Eyes" begibt sich nun wieder in vertracktere und epischere Gefilde, vor allem mit dem großartigen Achtminüter "Bending Hectic". Es ist gleichsam die Filmmusik zu einem Haarnadelkurven-Autounfall in den italienischen Bergen. In unbehaglicher Beschaulichkeit setzt es ein, mit Greenwoods virtuos ins leicht Disharmonische, Leiernde gezogenem Picking auf der Les Paul, wodurch das Schlingern akustisch vergegenwärtigt wird, nimmt dann Fahrt auf mit majestätischen Akkordfolgen und anschwellenden Streichern, die an die Beatles-Hymne "A Day In The Life" erinnern, um schließlich in einen Maelstrom schaurig-schönen Gelärms zu stürzen. So ist das Leben, so wachsen sich kleine Disharmonien ins Große aus.
"Read The Room" und "Under Your Pillows" beginnen mit markanten, streng rotierenden Gitarrenfiguren, die nach dem Robert Fripp der "Discipline"-Ära von King Crimson klingen. Aber auch diese etwas schnelleren Stücke wechseln nach einer Weile den Aggregatzustand, gefallen sich in psychedelischem Klanggewölk und puckernden Krautrockrhythmen. Wunderbare Melodik in schwebendem Melancholiker-Moll bietet der Song "I Quit". Yorkes Lyrics sind gewohnt elliptisch und kryptisch, kreisen um sein Themenspektrum Angst, Paranoia, Verzweiflung. Der genaue Wortlaut ist ohne das Booklet oft kaum verständlich. Zu viel Deutlichkeit ist nicht angestrebt, der Gesang verschwindet bisweilen halb im Mix.
"Wall Of Eyes" ist Musik, die eine ganze Wand aus Ohren verdient, so viel gibt es in den Liedern zu entdecken, die nicht schlicht gebaut, sondern komplex gewachsen erscheinen. Die Triobesetzung der Multiinstrumentalisten wird bei einigen Stücken erweitert vom London Contemporary Orchestra. Streicher und Rockmusik - das klingt oft sülzig oder nach einer eigentlich überflüssigen Soundtapete. Auf diesem Album aber sind die Streicher ein integrativer Teil. Jonny Greenwood, der auch zahlreiche prämierte Filmmusiken komponiert hat, bewährt sich als Meister subtiler Orchester-Arrangements.
Yorke/Greenwood sind längst ein legendäres britisches Kreativgespann wie Lennon/McCartney oder Jagger/Richards. Und doch auch ein merkwürdiges Paar. Jonny sieht mit seiner schwappenden Signaturfrisur noch aus wie vor dreißig Jahren, Thom legt dafür rein äußerlich das doppelte Tempo vor, ein früh gealterter Mann, jugendlich allerdings in der derwischhaften Beweglichkeit seines Körpers, ob er sich nun ins Klavier vertieft, mit der Gitarre verschmilzt, sich um das Gesangsmikrofon windet oder in Videos zum Pantomimen wird und dabei einen lebensbejahenden Sinn für Komik beweist. Und vielleicht hat er ja beschlossen, nun nicht mehr zu altern, wenn er die Zeile singt: "Stop looking older!" Aber da hat man sich verhört. "Stop looking over (our shoulder)", heißt es in Wahrheit. Da sind sie wieder, die teuflischen Augen. WOLFGANG SCHNEIDER
The Smile:
"Wall Of Eyes".
XL Recordings/ Beggars 0191404139400
(Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
The Smile machen eine Frischzellenkur
Glotzt nicht so romantisch, lautet der Imperativ von Brecht. Glotzt überhaupt nicht, fordern Radiohead, pardon, The Smile. Auf "A Light For Attracting Attention", dem ersten Album des Nebenprojekts, mit dem die Hauptradioköpfe Thom Yorke und Jonny Greenwood vor knapp zwei Jahren ihre Fans überraschten, gab es den fast punkigen Kracher "You Will Never Work In Television Again" mit den Zeilen: "All those beautiful young dreams and hopes / Devoured by those evil eyes." Nun ist das zweite Album des mit dem Jazzschlagzeuger Tom Skinner gebildeten Trios da, und die teuflisch verschlingenden Augen haben sich zur Wand formiert.
Dabei beginnt "Wall Of Eyes" leicht und beschwingt, mit lateinamerikanisch anmutenden Klängen einer dezent geschruppten Akustikgitarre. Schnell aber machen die klagend tremolierenden Töne der Stimme Thom Yorkes deutlich, dass auch The Smile kein Sonnenscheinprojekt ist. Obwohl der heiter-südliche Rhythmus stoisch durchgehalten wird, überlagern ihn bald schwermütige Akkorde, setzen Streicher dunklere Akzente, von hinten schiebt sich etwas Kratziges heran. Das Lächeln gefriert.
Während Radiohead auf höchstem Niveau stagnieren (der elegische Artrock des letzten Albums "A Moon Shaped Pool" liegt bereits acht Jahre zurück), wirkte das Debüt von The Smile mit seinen kürzeren, teils bissigen Songs wie eine Frischzellenkur für die Musiker. "Wall Of Eyes" begibt sich nun wieder in vertracktere und epischere Gefilde, vor allem mit dem großartigen Achtminüter "Bending Hectic". Es ist gleichsam die Filmmusik zu einem Haarnadelkurven-Autounfall in den italienischen Bergen. In unbehaglicher Beschaulichkeit setzt es ein, mit Greenwoods virtuos ins leicht Disharmonische, Leiernde gezogenem Picking auf der Les Paul, wodurch das Schlingern akustisch vergegenwärtigt wird, nimmt dann Fahrt auf mit majestätischen Akkordfolgen und anschwellenden Streichern, die an die Beatles-Hymne "A Day In The Life" erinnern, um schließlich in einen Maelstrom schaurig-schönen Gelärms zu stürzen. So ist das Leben, so wachsen sich kleine Disharmonien ins Große aus.
"Read The Room" und "Under Your Pillows" beginnen mit markanten, streng rotierenden Gitarrenfiguren, die nach dem Robert Fripp der "Discipline"-Ära von King Crimson klingen. Aber auch diese etwas schnelleren Stücke wechseln nach einer Weile den Aggregatzustand, gefallen sich in psychedelischem Klanggewölk und puckernden Krautrockrhythmen. Wunderbare Melodik in schwebendem Melancholiker-Moll bietet der Song "I Quit". Yorkes Lyrics sind gewohnt elliptisch und kryptisch, kreisen um sein Themenspektrum Angst, Paranoia, Verzweiflung. Der genaue Wortlaut ist ohne das Booklet oft kaum verständlich. Zu viel Deutlichkeit ist nicht angestrebt, der Gesang verschwindet bisweilen halb im Mix.
"Wall Of Eyes" ist Musik, die eine ganze Wand aus Ohren verdient, so viel gibt es in den Liedern zu entdecken, die nicht schlicht gebaut, sondern komplex gewachsen erscheinen. Die Triobesetzung der Multiinstrumentalisten wird bei einigen Stücken erweitert vom London Contemporary Orchestra. Streicher und Rockmusik - das klingt oft sülzig oder nach einer eigentlich überflüssigen Soundtapete. Auf diesem Album aber sind die Streicher ein integrativer Teil. Jonny Greenwood, der auch zahlreiche prämierte Filmmusiken komponiert hat, bewährt sich als Meister subtiler Orchester-Arrangements.
Yorke/Greenwood sind längst ein legendäres britisches Kreativgespann wie Lennon/McCartney oder Jagger/Richards. Und doch auch ein merkwürdiges Paar. Jonny sieht mit seiner schwappenden Signaturfrisur noch aus wie vor dreißig Jahren, Thom legt dafür rein äußerlich das doppelte Tempo vor, ein früh gealterter Mann, jugendlich allerdings in der derwischhaften Beweglichkeit seines Körpers, ob er sich nun ins Klavier vertieft, mit der Gitarre verschmilzt, sich um das Gesangsmikrofon windet oder in Videos zum Pantomimen wird und dabei einen lebensbejahenden Sinn für Komik beweist. Und vielleicht hat er ja beschlossen, nun nicht mehr zu altern, wenn er die Zeile singt: "Stop looking older!" Aber da hat man sich verhört. "Stop looking over (our shoulder)", heißt es in Wahrheit. Da sind sie wieder, die teuflischen Augen. WOLFGANG SCHNEIDER
The Smile:
"Wall Of Eyes".
XL Recordings/ Beggars 0191404139400
(Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main