Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 12. August 2011
- Hersteller: Universal Music,
- EAN: 0602527650579
- Artikelnr.: 33786902
CD | |||
1 | No Church In The Wild | 00:04:37 | |
2 | Lift Off | 00:04:31 | |
3 | Ni**as In Paris | 00:03:44 | |
4 | Otis | 00:03:03 | |
5 | Gotta Have It | 00:02:25 | |
6 | New Day | 00:04:37 | |
7 | That's My Bitch | 00:03:27 | |
8 | Welcome To The Jungle | 00:02:59 | |
9 | Who Gon Stop Me | 00:04:21 | |
10 | Murder To Excellence | 00:05:05 | |
11 | Made In America | 00:04:57 | |
12 | Why I Love You | 00:03:24 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2011Rap ist jetzt Nationalliteratur
Es gibt keine Schusswechsel mehr unter den Hiphoppern. Auf den neuen Alben von Jay-Z und Kanye West, Game und Lil Wayne zeigt sich, wie friedlich das Genre geworden ist.
Wer Hiphop hört, weiß, dass es um die richtige Richtung geht. Die Landkarte des amerikanischen Rap kennt drei große Reiche, mit eigenen Stil- und Klanggesetzen, eigener Folklore und Mythologie. Im Osten, in New York, kamen in den siebziger Jahren DJs, Sänger und Tänzer zusammen und schufen die Grundlagen einer neuen Populärkultur. Später, in der zweiten Blüte der Neunziger, rappten Nas und Notorious B.I.G. vom Glanz und Elend der Metropole, unterstützt von harten Beats und Soulsamples aus der Bürgerrechtsära.
An der Westküste gedieh unterdessen ein federnder, lässiger Sound, der tief in die Funkkiste griff. Dazu gab es, von Stars wie Tupac und N.W.A, explizite, ja, pornographische Texte, eine Großstadtlyrik des Gangstertums und des Wildwest-Kapitalismus. Anfang des neuen Jahrzehnts ein weiterer Innovationsschub, diesmal aus dem Süden: langsamer, rauher, für Stripclubs und SUV-Fahren produzierter Hiphop mit schrägen, großsprecherischen Texten. Ein Sound, so narkotisch wie die Codeindrinks, die manche Rapper zu sich nahmen. Jetzt, fast zur selben Zeit, haben die drei obersten Repräsentanten dieser Territorien neue Alben veröffentlicht, und die Hiphop-Artistik steht damit besser da als lange zuvor. Von der Ostküste dröhnt es majestätisch mit "Watch The Throne" herüber, dem Album von Kanye West und Jay-Z; zwei Superstars, Ersterer berüchtigt als narzisstischer Dandy, der Hiphop als Spielfläche für Travestien und Selbstreflexionen nutzt, Letzterer ein Entrepreneur und Reimvirtuose, reicher und mächtiger als je ein Hiphop-König vor ihm. Den Thron beobachten, das heißt: sich selbst anschauen, als Glücksfall einer kapitalistischen Karriere. Wir haben es geschafft, ist denn auch der Gestus dieser Platte, und können nun Ressourcen verschleudern, dass es buchstäblich scheppert. Bombastische Arrangements, Songs für die Breitleinwand, ausstaffiert mit Versatzstücken aus Klassik, Rock, Elektro.
Es dominiert der Wille zur Steigerung und Dehnung des Genrebegriffs. Pop-Pantheon hin oder her, man ist immer noch für einen Bildersturm gut. Bloß nicht klingen wie früher oder andere, dieses Album ist von der Einflussangst diktiert und dem Willen, ein Schöpfersouverän zu sein. Man kennt das von Jay-Z: Als alle Autotune benutzten, das Programm zum Zerdehnen der Stimme, veröffentlichte er das Stück "D.O.A.": Death of Autotune. So auch hier: exzentrische Sounds, komplizierte Beats, dazu der inhaltliche Bezug auf die ganz Großen der eigenen Historie. Malcolm X , Martin Luther King - ideologisch bewegt man sich an den Leitlinien der politischen Tradition entlang. "Watch the Throne" ist trotz des Titels das Werk von hedonistischen Demokraten. So klingt sauberer Kapitalismus: cool, selbstbewusst, aggressiv progressiv.
Die Westküste schickt Game ins Rennen. Der aus Los Angeles stammende Rapper bläst das Trauma seines Milieus und seiner Ethnie zur Oper auf. Die Kinder von Gettofamilien wachsen mit überforderten Müttern und abwesenden, kriminellen Vätern heran - das ist auch die Geschichte von Game. Potenziert wird das Drama noch durch den Ziehvater Dr. Dre, der sich eine Zeitlang von seinem Schützling abwandte, nun aber, als Stimme, wieder in Erscheinung tritt. Auf "The R.E.D. Album" erzählt er in kurzen Zwischenspielen die Leidensgeschichte von Game, dem Leben im Elendsviertel Compton.
Aufgefüllt wird diese Rahmenhandlung mit Songs, die notorisch die Vergangenheit beschwören: die glorreiche Zeit des Westens, als Tupac noch lebte, Ice Cube und N.W.A. als Staatsfeinde galten und die Mitgliedschaft in einer Gang noch ein Garant für Loyalität und Ehre war. Diese Inszenierung kennt, anders als das Verfahren von Jay-Z/West, keine Ironie. Die Haltung ist konservativ, nicht postmodern. Entsprechend klingt das Ganze: solides Klangdesign, das es so aber seit zehn Jahren gibt; knackige Beats, dazu mal souligere, mal poppigere Motive. Es muss nicht allzu artistisch sein, denn im Vordergrund steht hermeneutische Ernsthaftigkeit.
Aus New Orleans kommt das verwegenste, eigensinnigste Werk. Schon optisch ist Lil Wayne ein Sonderling: Das knabenhafte, heftig tätowierte Gesicht, der sehnige dürre Körper, die Dreadlocks - das widerspricht komplett dem Look des Rappers als eines kapitalistischen Kraftprotzes. Wayne ist im Club der Reimmogule der dekonstruktive Clown, und mit "Tha Carter IV" zieht er das neoliberale Hiphop-Theater endgültig auf die Ebene der Rhetorik. Und dort wird gespielt, dass einem schwindelig werden kann. "Real Gs move in silence like lasagna", heißt es im Song "6 Foot 7 Foot", wobei das "G" sowohl für Grand, also eintausend Dollar, als auch für jene Gangster steht, die sich so lautlos bewegen (oder im Falle des Geldes: zirkulieren) wie das stumme g im Wort "Lasagne". Das ist nur eine von vielen Kapriolen, mit denen der großartige Lyriker seine Vexierspielchen treibt.
Die Folie für diese Überschussrhetorik sind zappelige, zugleich extrem verlangsamte Rhythmen - Aporie-Beats, über die die Wortkaskaden strömen. Lil Wayne kreiert eine Welt der Zeichen, in der sich auch das Subjekt verliert: "I got through the sentence like a subject and predicate." Mit "sentence" ist die Haftstrafe gemeint, die der Rapper absolvieren musste, aber auch der Satz selbst, in dem man nur eine sprachliche Größe ist. Soziale Realitäten gibt es hier ebenso wenig wie avantgardistische Kraftmeiereien. Gangstertum, abwesende Väter, Bürgerrechts- oder Aufstiegsideale sind nicht maßgeblich für diesen Hiphop. Dafür gibt es kaum zu entwirrende Assoziationsgewitter zu Geld und Reichtum. Lil Wayne ist deshalb der ideale Künstler für die jetzige Phase des Finanzkapitalismus, der so virtuell und unbegreiflich geworden ist, dass man ihn mit realistischen Mitteln nicht mehr abbilden kann. Sinnigerweise erscheint die Platte beim Label Cash Money. Die Tautologie erscheint schon im Namen: Der Tauschwert hat sich absolut gesetzt.
Wer Hiphop hört, kann glücklich sein: Alle drei Ästhetiken existieren zur selben Zeit, und auch wenn sie harten Verteilungskämpfen ausgesetzt sind, droht keine Gefahr. Die Zeit, als sich Konkurrenz im Rap militant entladen hat, ist vorbei. Wir leben in einer postideologischen Phase, in der die Kontroversen auf Diskursebene stattfinden, nicht wie damals, im West- und Ostküsten-Krieg, auf der Straße, mit Schusswechseln verfeindeter Rapper.
Hiphop hat sich mit diesen drei Alben noch deutlicher als Kunstform etabliert. Als Nationalliteratur Amerikas und als globales Vergnügen.
DANIEL HAAS.
Game, The R.E.D. Album.
Interscope 4095844 (Universal).
Jay-Z und Kanye West, Watch The Throne.
Def Jam 9708509 (Universal).
Lil Wayne, Tha Carter IV.
Universal 9708483
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt keine Schusswechsel mehr unter den Hiphoppern. Auf den neuen Alben von Jay-Z und Kanye West, Game und Lil Wayne zeigt sich, wie friedlich das Genre geworden ist.
Wer Hiphop hört, weiß, dass es um die richtige Richtung geht. Die Landkarte des amerikanischen Rap kennt drei große Reiche, mit eigenen Stil- und Klanggesetzen, eigener Folklore und Mythologie. Im Osten, in New York, kamen in den siebziger Jahren DJs, Sänger und Tänzer zusammen und schufen die Grundlagen einer neuen Populärkultur. Später, in der zweiten Blüte der Neunziger, rappten Nas und Notorious B.I.G. vom Glanz und Elend der Metropole, unterstützt von harten Beats und Soulsamples aus der Bürgerrechtsära.
An der Westküste gedieh unterdessen ein federnder, lässiger Sound, der tief in die Funkkiste griff. Dazu gab es, von Stars wie Tupac und N.W.A, explizite, ja, pornographische Texte, eine Großstadtlyrik des Gangstertums und des Wildwest-Kapitalismus. Anfang des neuen Jahrzehnts ein weiterer Innovationsschub, diesmal aus dem Süden: langsamer, rauher, für Stripclubs und SUV-Fahren produzierter Hiphop mit schrägen, großsprecherischen Texten. Ein Sound, so narkotisch wie die Codeindrinks, die manche Rapper zu sich nahmen. Jetzt, fast zur selben Zeit, haben die drei obersten Repräsentanten dieser Territorien neue Alben veröffentlicht, und die Hiphop-Artistik steht damit besser da als lange zuvor. Von der Ostküste dröhnt es majestätisch mit "Watch The Throne" herüber, dem Album von Kanye West und Jay-Z; zwei Superstars, Ersterer berüchtigt als narzisstischer Dandy, der Hiphop als Spielfläche für Travestien und Selbstreflexionen nutzt, Letzterer ein Entrepreneur und Reimvirtuose, reicher und mächtiger als je ein Hiphop-König vor ihm. Den Thron beobachten, das heißt: sich selbst anschauen, als Glücksfall einer kapitalistischen Karriere. Wir haben es geschafft, ist denn auch der Gestus dieser Platte, und können nun Ressourcen verschleudern, dass es buchstäblich scheppert. Bombastische Arrangements, Songs für die Breitleinwand, ausstaffiert mit Versatzstücken aus Klassik, Rock, Elektro.
Es dominiert der Wille zur Steigerung und Dehnung des Genrebegriffs. Pop-Pantheon hin oder her, man ist immer noch für einen Bildersturm gut. Bloß nicht klingen wie früher oder andere, dieses Album ist von der Einflussangst diktiert und dem Willen, ein Schöpfersouverän zu sein. Man kennt das von Jay-Z: Als alle Autotune benutzten, das Programm zum Zerdehnen der Stimme, veröffentlichte er das Stück "D.O.A.": Death of Autotune. So auch hier: exzentrische Sounds, komplizierte Beats, dazu der inhaltliche Bezug auf die ganz Großen der eigenen Historie. Malcolm X , Martin Luther King - ideologisch bewegt man sich an den Leitlinien der politischen Tradition entlang. "Watch the Throne" ist trotz des Titels das Werk von hedonistischen Demokraten. So klingt sauberer Kapitalismus: cool, selbstbewusst, aggressiv progressiv.
Die Westküste schickt Game ins Rennen. Der aus Los Angeles stammende Rapper bläst das Trauma seines Milieus und seiner Ethnie zur Oper auf. Die Kinder von Gettofamilien wachsen mit überforderten Müttern und abwesenden, kriminellen Vätern heran - das ist auch die Geschichte von Game. Potenziert wird das Drama noch durch den Ziehvater Dr. Dre, der sich eine Zeitlang von seinem Schützling abwandte, nun aber, als Stimme, wieder in Erscheinung tritt. Auf "The R.E.D. Album" erzählt er in kurzen Zwischenspielen die Leidensgeschichte von Game, dem Leben im Elendsviertel Compton.
Aufgefüllt wird diese Rahmenhandlung mit Songs, die notorisch die Vergangenheit beschwören: die glorreiche Zeit des Westens, als Tupac noch lebte, Ice Cube und N.W.A. als Staatsfeinde galten und die Mitgliedschaft in einer Gang noch ein Garant für Loyalität und Ehre war. Diese Inszenierung kennt, anders als das Verfahren von Jay-Z/West, keine Ironie. Die Haltung ist konservativ, nicht postmodern. Entsprechend klingt das Ganze: solides Klangdesign, das es so aber seit zehn Jahren gibt; knackige Beats, dazu mal souligere, mal poppigere Motive. Es muss nicht allzu artistisch sein, denn im Vordergrund steht hermeneutische Ernsthaftigkeit.
Aus New Orleans kommt das verwegenste, eigensinnigste Werk. Schon optisch ist Lil Wayne ein Sonderling: Das knabenhafte, heftig tätowierte Gesicht, der sehnige dürre Körper, die Dreadlocks - das widerspricht komplett dem Look des Rappers als eines kapitalistischen Kraftprotzes. Wayne ist im Club der Reimmogule der dekonstruktive Clown, und mit "Tha Carter IV" zieht er das neoliberale Hiphop-Theater endgültig auf die Ebene der Rhetorik. Und dort wird gespielt, dass einem schwindelig werden kann. "Real Gs move in silence like lasagna", heißt es im Song "6 Foot 7 Foot", wobei das "G" sowohl für Grand, also eintausend Dollar, als auch für jene Gangster steht, die sich so lautlos bewegen (oder im Falle des Geldes: zirkulieren) wie das stumme g im Wort "Lasagne". Das ist nur eine von vielen Kapriolen, mit denen der großartige Lyriker seine Vexierspielchen treibt.
Die Folie für diese Überschussrhetorik sind zappelige, zugleich extrem verlangsamte Rhythmen - Aporie-Beats, über die die Wortkaskaden strömen. Lil Wayne kreiert eine Welt der Zeichen, in der sich auch das Subjekt verliert: "I got through the sentence like a subject and predicate." Mit "sentence" ist die Haftstrafe gemeint, die der Rapper absolvieren musste, aber auch der Satz selbst, in dem man nur eine sprachliche Größe ist. Soziale Realitäten gibt es hier ebenso wenig wie avantgardistische Kraftmeiereien. Gangstertum, abwesende Väter, Bürgerrechts- oder Aufstiegsideale sind nicht maßgeblich für diesen Hiphop. Dafür gibt es kaum zu entwirrende Assoziationsgewitter zu Geld und Reichtum. Lil Wayne ist deshalb der ideale Künstler für die jetzige Phase des Finanzkapitalismus, der so virtuell und unbegreiflich geworden ist, dass man ihn mit realistischen Mitteln nicht mehr abbilden kann. Sinnigerweise erscheint die Platte beim Label Cash Money. Die Tautologie erscheint schon im Namen: Der Tauschwert hat sich absolut gesetzt.
Wer Hiphop hört, kann glücklich sein: Alle drei Ästhetiken existieren zur selben Zeit, und auch wenn sie harten Verteilungskämpfen ausgesetzt sind, droht keine Gefahr. Die Zeit, als sich Konkurrenz im Rap militant entladen hat, ist vorbei. Wir leben in einer postideologischen Phase, in der die Kontroversen auf Diskursebene stattfinden, nicht wie damals, im West- und Ostküsten-Krieg, auf der Straße, mit Schusswechseln verfeindeter Rapper.
Hiphop hat sich mit diesen drei Alben noch deutlicher als Kunstform etabliert. Als Nationalliteratur Amerikas und als globales Vergnügen.
DANIEL HAAS.
Game, The R.E.D. Album.
Interscope 4095844 (Universal).
Jay-Z und Kanye West, Watch The Throne.
Def Jam 9708509 (Universal).
Lil Wayne, Tha Carter IV.
Universal 9708483
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main