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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2007

Irgendwo zwischen Big Mac und Gott

Eine Aufführung der Bayerischen Theaterakademie kombiniert am Münchner Prinzregententheater Puccinis Oper "Gianni Schicchi" mit Elliott Carters "What Next?".

Zwischen den Uraufführungen der beiden Einakter "Gianni Schicchi" von Giacomo Puccini und "What Next?" von Elliott Carter liegen einundachtzig Jahre. Beide Stücke miteinander zu verklammern, wie es nun die Bayerische Theaterakademie gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Theater in einer Produktion am Münchner Prinzregententheater tat, war zweifellos ein Wagnis, allerdings eines, das nicht untypisch erscheint für die künstlerischen Strategien der von Klaus Zehelein geleiteten Akademie. Dass der Versuch erstaunlich gut glückte, liegt am gewitzten dramaturgischen Konzept und einer Inszenierung, die die strukturellen Ähnlichkeiten der Stücke geschickt zu nutzen verstand.

Beides sind Ensemblewerke mit einem dichten Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren. Die Intrige in Puccinis Farce resultiert aus den Verwandtschaftsbeziehungen des Erbschleicher-Clans und ihrem Verhältnis zum bauernschlauen Schicchi, der sie am Schluss alle übertölpelt, die Nicht-Intrige bei Carter aus den vergeblichen Versuchen der Überlebenden eines symbolträchtigen Verkehrsunfalls, als innerlich entgleiste Individuen in Kommunikation zueinander zu treten. Zudem verhalten sich beide Komponisten in ihren Alterswerken - Puccini war bei der Niederschrift sechzig, Carter neunzig - durchaus retrospektiv: Der eine beschwört 1918, am Ende des tonalen Zeitalters, noch einmal Belcanto und Commedia dell'arte, der andere im Jahr 1999 den Negativkanon der musikalischen Moderne, wie er zwischen Schönbergs Atonalität und dem Darmstädter Serialismus einst das Feld beherrschte.

Dem Einakter von Puccini näherte sich die Inszenierung von Hermann Schmidt-Rahmer im Bewusstsein der historischen Distanz. Sie unterstrich die burlesken Momente mit präzisem Witz und verzichtete nicht darauf, die Arie der Lauretta, "O mio babbino caro", an der Rampe singen zu lassen - in Richtung des Angesprochenen, der sich seitlich im Zuschauerraum befand. Ganz anders bei Carters Stück, das in den Trümmern des Bühnenbilds von "Gianni Schicchi" spielte: Hier öffneten die weitgehend beziehungslos nebeneinander herlaufenden Entwicklungsstränge den Raum für eine autonome Entfaltung der Szene.

Carters Einakter beginnt dort, wo Puccini aufhört: bei der Demontage der gesellschaftlichen Moral. Doch spielt die Fortsetzung auf einer symbolischen Ebene. Während der Handlung von "Gianni Schicchi" genau definierte soziale Strukturen zugrunde liegen, hat Carters Librettist Paul Griffiths ein bedeutungsschweres, zwischen Big Mac und Gottsuche oszillierendes Diskursgeflecht entworfen, das einmal mehr auf die Unbehaustheit des modernen Menschen aufmerksam machen will. Mit der Metapher des Verkehrsunfalls zu Beginn - in der Münchner Inszenierung mit Projektionen von Katastrophenbildern wirkungssicher zum finalen Big Bang überhöht - finden die paar Überlebenden sich auf einen Nullpunkt zurückgeworfen und machen sich nun eine Dreiviertelstunde lang auf die Suche nach ihrer Identität, die sich aber ebenso wenig einstellt wie eine tragfähige Personenkonstellation.

Mit wechselndem Erfolg inszenierte die Regie den vielen klugen Sätzen entlang, unterstützt durch den Ausstatter Thomas Goerge, der aus der Austauschbarkeit des Gesungenen ein spielerisch munteres Wechselspiel der Kostüme machte. Getragen wurde das abstrakte Geschehen wie schon bei Puccini durch die vorzügliche Gesamtleistung des Solistenensembles, mit Sebastian Campione als komödiantischem Schicchi und der herausragenden Sopranistin Anna Borchers, die ihre anspruchsvolle Doppelrolle als Lauretta und Rose mühelos bewältigte. Das Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer war der zuverlässige Partner in dieser sorgfältig einstudierten Produktion.

Verklammert wurden die beiden ohne Pause aufeinanderfolgenden Stücke nicht nur durch das Bühnenbild und einzelne Requisiten, sondern auch formal. Gianni Schicchi, der Spielmacher aus dem ersten Teil, trat bei Carter wieder als eine Art ironisch kommentierender Haushofmeister auf. Vor allem aber wurde das Liebesduett zwischen Lauretta und Rinuccio aus Puccinis Einakter herausoperiert und an den Schluss von Carters Etüde der Beziehungslosigkeit gestellt. Hier hing es nun herum, als ob ihm der Boden unter den Füßen weggekippt wäre. Die Regiebotschaft sollte wohl lauten: Ein Liebesduett ist heute genauso passé wie die Tonalität, und am Schluss lauert auf alle doch nur der Tod. Doch Puccinis Musik spricht eine andere Sprache, und der in leuchtenden Farben aufrauschende Durakkord zu Beginn des Duetts hatte einen fatalen Bumerangeffekt: Er stellte das gekonnte Einerlei von Carters Musiksprache, Spiegel des inhaltlichen Auf-der-Stelle-Tretens, samt der darübergestülpten Bilder nachhaltig bloß. Es liegt vermutlich an der unüberwindlichen Konsonanzorientierung des menschlichen Ohres, dass aus der Konfrontation mit posttonalen Ordnungsprinzipien die Tonalität allemal als Siegerin hervorgeht. Doch in diese Falle sind schon ganz andere getappt.

MAX NYFFELER

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