Produktdetails
Trackliste
CD
1Ride00:02:36
2Animal Machine00:03:28
3TV Pro00:03:47
4Autumn Shade II00:03:14
5Evil Town00:03:06
6Winning Days00:03:34
7She's Got Something To Say To Me00:02:32
8Rainfall00:03:23
9Amnesia00:04:41
10Sun Child00:04:34
11Fuck The World00:03:42
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2004

Der Himmel ist blau, und wir beißen ins Gras
Frühling läßt seine lauten Bands wieder flattern durch die Lüfte: Neue Rockplatten der Saison

Es ist eine harte Zeit für jene Unglücklichen, die gerade ein herzhafter Kummer plagt. Allerorten fröhliche Gesellen, die beim Joggen im Menschenpark alle Regeln mißachten, sich langsam chemisch in Feierlaune dosieren und das Land und seine Leute ganz dufte finden. Raus ins Blumenfeld, in Wald und Wiesen drängt alles, und wer arbeiten muß, will wenigstens gut essen und abends die Freisitze besetzen: Californication, wohin das tränende Auge reicht. Will sich der Mißgelaunte von solchem Treiben abwenden und schaltet abends "Fast Forward" ein, blickt er der mutterfreudig entrückten Charlotte Roche in die Lachfältchen und muß Songs über sich ergehen lassen, die sich um den Seelenfarbton der Zuhörer eine feuchte Achselhöhle scheren und jeden Bedenkenträger weghauen.

Erst gab es "Sheepdog" von "Mando Diao", Musikern aus dem schwedischen Niemandsland, die offenbar ihr ganzes Leben nichts anderes getan haben, als alle "Stones"- und "Small Faces"-Platten ihrer Eltern so lange nachzuspielen, bis sie den großen Vorbildern wie ein Drumstick dem anderen gleichen. Dann kamen die "Vines" aus Australien mit ihrer Single "Ride" und einem wunderbaren Video, das eine ganze Turnhalle voller Rockbands in den gleichen unwiderstehlichen Rhythmus zwang. So versprach auch deren neue CD an das starke Debütalbum "Highly Evolved" anzuknüpfen. Und von manchen Bands will man eben nichts anderes, als daß sie die passende Musik zur nächsten Lebensphase liefern. Eine neue Scheibe ist wie ein neues Leben und Pop frei nach Heine eine alte, doch ewig neue Geschichte. Und wem sie just passieret, der bricht die Bude ab.

Schließlich die von Legenden umgebenen "The Von Bondies" aus der Talentschmiede Detroit - aus der auch die "White Stripes" stammen, deren Sänger Jack White bei einem Konzert gegen den "Von Bondies"-Sänger Jason Stollsteimer handgreiflich geworden sein soll. Ihre erste Single "C'mon C'mon" durchlebt auf knapp zwei Minuten alle Höhen und Tiefen eines perfekten Rock-'n'-Roll-Songs und bohrt sich mit der aufreizend wiederholten Aufforderung so ins Gemüt, daß man gleich à la Strizz in Aktionismus ausbrechen will - fragt sich nur, in welche Richtung. Doch wen schert's, wenn die Volumina stimmen?

"Sheepdog", "Ride", "C'mon C'mon" - diese drei Songs versprachen drei Bands, die den mit "Strokes", "Libertines", "White Stripes" oder "Franz Ferdinand" ausgebrochenen Gitarrenwahnsinn in weitere Höllenkreise drehen. Jetzt sind die kompletten Platten zu diesen Appetizern da, und das Ergebnis wird vor allem diejenigen überraschen, die immer noch glauben, in der Rockmusik gelte: ex occidente lux. Wenn wir mal Australien im äußersten Westen liegenlassen und dort anfangen, dann ist die zweite Platte der "Vines" eine große Enttäuschung, so uninspiriert und sinnlos um sich schlagend kommt die Band um Sänger Craig Nicholls daher. Daß sie dennoch mit aller Kraft und Wut Gehör fordern, macht die Sache nur noch schlimmer. Manche Songs der Platte "Winning Days" wären vielleicht als Hommage zum zehnten Todestag von Oberwüterich Kurt Cobain entschuldbar, doch ist zu befürchten, daß sich Nicholls tatsächlich für den Cobain unserer Tage hält, den das Musikgeschäft dereinst auf dem Gewissen haben wird. Man will es weder für ihn noch für uns hoffen.

"The Von Bondies" sind trotz des albernen Namens eine ernstzunehmende Band mit starken Blues-Einschlägen, wenn auch nicht so kalkuliert puristisch wie die "White Stripes", mit zwei Frauen an Baß und Gitarre, die auch dem Gesang einen interessanten Beigeschmack von Riot Girl geben. Ihre Platte "Pawn Shoppe Heart" löst ein, was das Debütalbum vor zwei Jahren versprach. Ein bißchen erinnert das an die tollen "Yeah Yeah Yeahs", deren Platte "Fever To Tell" im letzten gitarrenlastigen Jahr etwas durch das Aufmerksamkeitsraster fiel. "The Von Bondies" bieten kurze, schroffe, aber doch melodische Garage-Rock-Songs ohne Schnörkel. Neben der Single überzeugen vor allem das von Bassistin Carie Smith gesungene "Not That Social" und das rhythmisch leicht zu unterschätzende "Crawl Through The Darkness". Vor allem aber ist Stollsteimer ein Bluessänger, der bei Bedarf auch in den Domänen von Morrisey oder Robert Smith wildert und Indie-Schmelz in die Stimme legt.

Die Verteidiger des sonnigen Westens könnten dann zwar noch "Guilt Show", das neue Album der "Get Up Kids" aus Kansas City, ins Feld führen: eine Power-Pop-Platte, die mit "Jimmy Eats World" oder "Ash" locker mithalten kann, zwischen fröhlichem Fun-Punk und schönstem melodischem Poprock alles zu bieten hat und in der privaten hot rotation nur gewinnt, weil es unter seiner Oberfläche mit einer Menge kleiner Vertiefungen und Widerstände aufwartet. Der Name der Band erweist sich dann plötzlich als Kippfigur: Nicht die Jugend wird hier versprochen, vielmehr bereits die Rolle der Eltern vorweggenommen, die morgens den Nachwuchs zum Kindergarten prügeln müssen.

Doch gegen die unbekümmerte Frische der Schweden von "Mando Diao" werden sich selbst die ewig jungen Routiniers der "Get Up Kids" schwer behaupten können. Es ist mehr als erstaunlich, wie ein so reifes, abwechslungsreiches Album wie "Bring 'em In" von halben Teenagern gemacht werden kann, die sich in Interviews mit allen Vorläufern aus den Siebzigern auf eine Stufe stellen. Dieser gezielten Unverschämtheit kann man nicht ernsthaft widersprechen: "Motown Blood" oder "P.U.S.A." stehen dem knisternden Archivmaterial tatsächlich in nichts nach - Skandinavien hat den wahren Blues. Die Strahlen, denen im Auftrag des Herrn alle folgen, sind die des Nordlichts. Keine schlechte, kulturüberkritische, liebesbekümmerte Laune erreicht diese Musik, die zwar den ewigen Frühling zu versprechen scheint, aber in Wahrheit schon vom nächsten langen kalten Winter weiß.

RICHARD KÄMMERLINGS

Mando Diao, Bring'em In. Majesty/Capitol 5418422 (EMI)

The Get Up Kids, Guilt Show. Vagrant 060191039223

The Vines, Winning Days. Capitol 59770925 (EMI)

The Von Bondies, Pawn Shoppe Heart. Sire 48549 (Warner)

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