Produktdetails
Trackliste
CD
1On Sight (Album Version (Explicit))00:02:37
2Black Skinhead (Album Version (Explicit))00:03:09
3I Am A God (Album Version (Explicit))00:03:52
4New Slaves (Album Version (Explicit))00:04:16
5Hold My Liquor (Album Version (Explicit))00:05:27
6I'm In It (Album Version (Explicit))00:03:55
7Blood On The Leaves (Album Version (Explicit))00:06:00
8Guilt Trip (Album Version (Explicit))00:04:04
9Send It Up (Album Version (Explicit))00:02:58
10Bound 2 (Album Version (Explicit))00:03:49
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Möge die Macht mit ihm sein

Ist er wirklich Jesus? Oder nicht doch eher Luke Skywalker und Darth Vader genauso? Über Kanye West, seine neue Platte - und den Style und die Sterne des Hip-Hop

Anfang dieser Woche erlebte der Hip-Hop ein epochales Ereignis. Ein Spektakel des Geschmacks und der Selbstvermarktung, der Stilsicherheit und Kombinationsgabe: Man sah mit eigenen Augen, zu was ein Rapper in der Lage ist, wenn er nur genügend Material zur Hand und vor allem im Kopf hat und die richtigen Leute an seiner Seite, Experten, die selbst in der allerletzten Sekunde noch das Unfertigste zurechtzimmern und die rohesten Diamanten feinschleifen können. Hip-Hop wurde endlich erwachsen, könnte man sagen - in dieser Woche, in der Mike D von den Beastie Boys sein Townhouse in Brooklyn durchfotografieren ließ und das Ganze dann auf den Immobilienseiten der "New York Times" präsentierte, als Denkmal des guten, grünen, ungefährlichen Geschmacks. Ein Haus, das aussieht wie die berühmte Standardantwort jedes Models der Welt auf die Frage, was sie selbst am liebsten anzöge: Sachen vom Flohmarkt und Designerteile!

Und wer es sich jetzt so richtig geben will, der schaut sich diese Fotostrecke aus Cobble Hill an, Mike D und seine Frau Tamra Davis, die auf keinen Fall einen Fehler begehen wollten bei der Einrichtung ihres Hauses, alles erlesen zufällig und teuer, ohne dass man es sieht, und locally produced - und hört die neue Platte von Kanye West dazu, die übrigens auch am Anfang dieser Woche erschien.

Kanye hatte sich kurz vorher - ebenfalls in der "New York Times" - selbst zum Zarathustra und schönsten Spinner des Rap ausgerufen, in einem phantastisch bescheuerten Interview, das inzwischen komplett durchanalysiert sein müsste, weil es in sämtlichen Kritiken dieser neuen Platte als eine Art Bonustrack herangezogen wurde, als Fußnote, die alles erklärte, was man sonst vielleicht gar nicht verstanden oder herausgehört hätte. Ergebnis: Kanye West ist größenwahnsinnig, das aber zu Recht.

"Yeezus", so heißt die neue Platte des amerikanischen Rappers. Sie explodiert alle paar Takte in ein neues Universum und von dort wieder zurück. Und auch wenn sie eigentlich nur vierzig Minuten lang ist, fühlt es sich genau deswegen wie eine halbe Ewigkeit an: weil so viel passiert und ständig was anderes. "Yeezus" ist riskant, opak und unzugänglich, aber riskant, opak und unzugänglich, daraus setzt sich neuerdings ja auch die DNA der Popmusik von Superstars zusammen. Wie bei Justin Timberlake beispielsweise, der vor ein paar Monaten auf seinem dritten Album "The 20/20 Experience" die klassischen Songformate hinter sich ließ und seine Stücke so endlos dehnte und verschleppte, als wäre er Mitglied einer deutschen Krautrockband von 1975 und nicht der größte Fan und Erbe von Michael Jackson.

Das ist die neue Langhaarigkeit im Pop. Ein lässiges, bekifftes Strebertum. Und vielleicht passt diese Haltung wirklich am besten zum Hip-Hop, dem Genre des offenen Kunstwerks (und der lässigen Bekifftheit) schlechthin, ein Genre, bei dem theoretisch alles montiert werden kann, Hauptsache, es ist groovy. Kanye West hatte schon bei seiner letzten Platte "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" von 2010 die größtmögliche Virtuosität zur Schau gestellt, hier ein paar Streicher, dort noch ein paar mehr, und noch ein bisschen hiervon und noch ein bisschen davon: Es war eine Virtuosität, die, wenn man Kanye West Böses wollte, nicht mehr weit entfernt war von den Rockopern langhaariger weißer Nervensägen der siebziger Jahre wie Yes, die vorzeigen wollten, dass es geht, mit einer Band Wagner zu spielen oder Bach, Stunde um Stunde um Stunde.

Aber man kann Kanye West gar nichts Böses wollen - weil er so einen angenehmen Knall hat und sich einfach für Den Besten hälten, kein Großbuchstabe ist groß genug, um richtig zu treffen. Und weil er diese Virtuosität, für die ihn jetzt alle loben, immer schon gleich in den eigenen Tracks zerstört, kaum dass sie zu nerven beginnt (genau wie Timberlake übrigens). Das erste Stück von "Yeezus", "On Sight", beginnt mit Elektrolärm wie von Atari Teenage Riot, also LAUT und aggressiv, danach zittert der Beat elektrisch los like it's 1983, dann unterbricht Kanye das Inferno und schaltet kurz rüber zu einem Gospelchor und sofort wieder zurück ins laufende Programm. Das Stück danach, "Black Skinhead", ist eindeutig ein Privatwitz auf "Can the Can" von Suzi Quatro, und warum auch nicht, aber vielleicht auch nicht, und immer so weiter: "Yeezus" klingt, als hätte Kanye die Platte am liebsten mit dem Lichtschwert von Luke Skywalker aufgenommen, bei geschlossenen Augen, im Vertrauen darauf, dass die Macht schon mit ihm sein wird und ihm die Hand führt, bis das Gute siegt.

Und dieses Gute ist: Hip-Hop.

Im Studio bekam Kanye West übrigens Hilfe von Rick Rubin, jenem großen Langhaarigen der Popmusik, der 1986 schon das erste Album der Beastie Boys produzierte und der vor einiger Zeit in einem Interview mit dem "Plain Dealer" aus Cleveland erklärte, wie die drei weißen Rapper damals Hip-Hop für die Vororte erschlossen. "So bescheuert, wie sie waren", sagte Rubin, "wirkten sie doch auf eine Weise ungefährlich für das Durchschnittsamerika, wie es schwarze Künstler es dahin nicht gewesen waren."

Heute sind die Beastie Boys also selbst in die Vororte gezogen. Und plötzlich, angesichts der Immobilienteilfotos eines perfekt restaurierten und eingerichteten Reihenhauses, das einem in seiner Handgemachtheit eher das Gefühl von Vinyl als von MP3 gibt, wirkt auch der Hip-Hop der Beastie Boys, der einer ganzen Generation weißer Popfans das Leben auf den Kopf gestellt hat, plötzlich dekorativ. Dafür, denkt man, hat er sich damals mit Bier begossen und für das Menschenrecht auf Party gekämpft - um heute die Muster seiner Tapeten selbst zu gestalten?

Aber so was denkt man nur, wenn man Mike D Böses wollte, was man ja genauso wenig will wie bei Kanye West und Justin Timberlake. Das Risiko ist nur anderswohin gewandert. Beziehungsweise zeigen das Townhouse in Brooklyn einerseits und die Platte von Kanye West andererseits, wie Karrieren im Hip-Hop verlaufen können: Der eine, Michael Diamond, hat mit Adam Horovitz und dem vor einem Jahr verstorbenen Adam Yauch ein paar große Platten des Rap gemacht, um am Ende wie ein wohlhabender intellektueller Geschmacksmensch zu wohnen, wie ein Verlagschef oder ein Bestsellerautor oder ein Filmregisseur. Der Beruf Hip-Hop hat ihm das ermöglicht. Niemand weiß, wie es mit den Beastie Boys nach dem Tod von MCA weitergehen wird, erst mal wird es eine multimediale Autobiographie der Crew geben, die für den Herbst 2015 angekündigt ist.

Der andere, Kanye West, Sohn intellektueller Geschmacksmenschen der schwarzen amerikanischen Mittelschicht, hat gerade mit dem Fernsehstar Kim Kardashian eine Tochter bekommen, er rappt auf der Art Basel in Miami und vermerkt auf den Fotos, die er von sich und seiner Freundin twittert, was sie gerade für Designer tragen. Die originalgeniehafte Lautstärke seines Lebens und seiner Musik ist meilenweit entfernt von der Welt feiner Unterschiede, in der Mike D in Brooklyn lebt und um die der ringt, ohne gleichzeitig damit angeben zu wollen ("Klingt das prätentiös?", fragte Mike D erschrocken zurück, als er der "New York Times" den Stil seines Hauses erklären sollte. "Ich sage doch nur, dass wir gut darin sind, die Kultur eines Hauses aufrechtzuerhalten.")

Klingt Kanye West prätentiös? Er würde über diese Frage vermutlich sehr lachen. Er redet von sich in der dritten Person, und der feine Unterschied, um den es ihm geht, heißt: Kanye kann es, und Kanye weiß es und ihr tanzt jetzt dazu. Hip-Hop ist ein Beruf, klar, aber am Ende vor allem eine Macht, die von einem Besitz ergreift. "Yeezus" ist typisch für die Art grenzensprengender Meisterwerke, wie sie das 21. Jahrhundert bislang im Pop hervorgebracht hat, wie "Come on Feel the Illinoise" von Sufjan Stevens oder die erste von Vampire Weekend. Es scheint alles noch möglicher als möglich, in dieser Musik und mit dieser Musik. Überall sonst muss gespart werden, erklärt Kanye Wests neues Album, also lasst es uns bitte nicht gerade bei der Musik tun. Das ist ehrlicher als teures Understatement. Kanye West will kein Haus, er hat vermutlich schon fünf, er will einfach nur die ganze Welt, und jeder soll es sehen, und selbst die Welt ist nicht genug.

TOBIAS RÜTHER

"Yeezus" von Kanye West ist bei Def Jam / Universal erschienen.

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