YELLOW fühlt sich genau wie das an, wonach wir uns in den letzten 12 Monaten gesehnt haben: eine transzendente, menschliche, gemeinsame Erfahrung. Das Werk zieht glühende Linien zwischen 70er-Jahre-Jazz-Fusion, P-Funk, den kosmischen Beschwörungen von Sun Ra und Alice Coltrane und der grossartigen Orchestrierung der Beach Boys. Ihre 2020er EPs UM YANG und RAIN DANCE machten EMMA-JEAN THACKRAY zur Vorreiterin einer spirituell geprägten, tanzflächenorientierten Interpretation des Jazz, die sich von der breiteren UK Szene absetzt. Das Album klingt wie ein weiterer Schritt in einen eigenständigen Raum, in dem 14 Tracks mit Bläsern und Streichern, Chorsegmenten und ekstatischen Gesängen aufblühen. Die Künstlerin war in den letzten 12 Monaten generell gefragt: Sie lieferte die Bläser für das Squid-Debüt Bright Green Field und den Pinty-Radiohit Comfort Me, war neben Shabaka Hutchings, Ezra Collective und Nubya Garcia Teil des Blue Note RE:imagined Albums und moderierte ihre monatliche Show auf Worldwide FM.
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1 | Mercury | 00:05:45 | |
2 | Say something | 00:03:49 | |
3 | About that | 00:02:15 | |
4 | Venus | 00:06:34 | |
5 | Green funk | 00:02:01 | |
6 | Third eye | 00:02:49 | |
7 | May there be peace | 00:01:24 | |
8 | Sun | 00:03:06 | |
9 | Golden green | 00:04:04 | |
10 | Spectre | 00:04:27 | |
11 | Rahu & Ketu | 00:04:13 | |
12 | Yellow | 00:02:02 | |
13 | Our people | 00:04:46 | |
14 | Mercury (In retrograde) | 00:01:59 |
Ein Hai im Goldfischteich - schon das Cover-Gemälde seines neuen Albums "Life in the Pond" (Ruf Records/In-Akustik) suggeriert die Ausnahmestellung von Roger Chapman unter Englands Bluesrockröhren: Der Neunundsiebzigjährige ist seit seligen Family-Tagen mit einer Stimme gesegnet, in der sich das Paradox vom "heiseren Schmelz" bewahrheitet. Wohl niemand hätte mehr damit gerechnet, dass "Chappo" nach zwölf Jahren Pause noch einmal ein Studioalbum einspielen würde. Die elf Stücke strotzen nur so vor Kraft und Autorität. Dabei hat sein raspelndes Vibrato nichts an Dringlichkeit eingebüßt. Zusammen mit dem Gastgitarristen Geoff Whitehorn von Procol Harum und seinem alten Family-Freund John "Poli" Palmer, unterstützt von einem knalligen Bläsersatz und zärtlichen Streichern ("Lavender Heights"), mäandert er durch leichtfüßigen Northern Soul und dringt selbst ins Hoheitsgebiet des hochtourigen Rockers vor. Als hätte er das EM-Endspieldrama für seine Landsleute vorausgeahnt, heißt es in einem Lied prophetisch: "Playtime is over, here comes the Blues." peke
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Der Rat der Stadt Danzig hatte einen Kunstsinn, wie man ihn sich von Politikern wünscht. Für die Ratsherren habe er immer wieder "pompose Musiquen" geschrieben, notierte Johann Valentin Meder einmal. Und was er ihnen im März 1687 zur Ratswahl bot, strotzt vor Pracht: Drei Chöre und ein Orchester verlangt die Motette "Wünschet Glücke Jerusalem". Das Goldberg Baroque Ensemble aus Danzig hat jetzt unter der Leitung von Andrzej Szadejko eine erstaunliche Auswahl an geistlicher Musik (Dabringhaus und Grimm) von Meder innerhalb der Reihe Musica Baltica vorgelegt. Die verinnerlicht-karge Passionskantate "Ach, Herr, mich armen Sünder", die an die besten Werke Dieterich Buxtehudes heranreicht, ist ebenso darunter wie die musikalische Feier mystischer Jesusliebe "Vox mitte clamorem", die von tänzerischer, durch und durch italienischer Sinnlichkeit nur so überfließt. Das Beiheft von Anu Schaper informiert uns über den Thüringer Meister, den es bis nach Riga und Tallinn verschlug. Eine echte Entdeckung! jbm.
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Die vielleicht faszinierendste Gestalt der an interessanten Figuren nicht eben armen Londoner Jazzszene heißt Emma-Jean Thackray. Sie singt, spielt verschiedene Instrumente, produziert und komponiert. Mit gerade mal Anfang dreißig hat sie einige aufsehenerregende EPs veröffentlicht, zuletzt eine an den Miles Davis der späten Sechziger anschließende Septettaufnahme mit dem Titel "Um Yang". Auch das erste Stück "Mercury" ihres Debütalbums "Yellow" (Movementt/Rough Trade) scheint aus dem Geist des elektronischen Miles geboren, um sich dann unversehens in eine kaum zu bremsende Ekstase hineinzuswingen: eine atemraubende Zeitreise, ein verschwenderisches Spiel mit Ideen und Sounds. Textlich ist da zwar ein gewisser Hang zum Esoterischen ("Third Eye"), aber wer mag das beklagen, wenn die Musik so abhebt: Psychedelischer Jazz mischt sich mit Siebziger-Funk, Disco und R 'n' B; irgendwo zwischen Alice Coltrane und Pharoah Sanders, Herbie Hancock und Roy Ayers, zwischen Hip-Hop und Drum 'n' Bass könnte man "Yellow" verorten. Trotz oder gerade wegen aller historischen Bezüge - zeitgenössischer geht's nicht. urü
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Nazarenisch sanft klingen Christian Heinrich Rincks Variationen über das trutzig-kämpferische Kirchenlied "Ein feste Burg" an der 1860 erbauten Orgel im saarländischen Mimbach. Rinck, ein Enkelschüler Bachs, erweist sich da als Bewahrer barocker Satzkunst in Zeiten spätpietistischer Innerlichkeit. Das zweimanualige Pfeifenjuwel von Eberhard Friedrich Walcker taucht Rincks Polyphonie in mildes Licht und lässt die Choralmelodie wie eine pazifistische Hymne leuchten. Flötend weiche Grundstimmen und ein Schweller schaffen romantische Aura. Christian Brembeck hat nun ein reizendes Porträtalbum des Instruments mit Musik seiner Entstehungszeit eingespielt (Ambiente). Bearbeitungen einst beliebter Werke von Spohr und Mendelssohn profitieren von der klaren Akustik des rechteckigen Kirchensaals ebenso wie Stücke von Liszt, Schumann, Rheinberger und weiteren Zeitgenossen. Vital und tempostabil tönt Vinzenz Lachners brillante Bach-Hommage. Brembeck spielt geschickt mit farblichen Kombinationen. Dank bester Aufnahmetechnik ist das Klangbild erstaunlich transparent. wmg.
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