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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2003

Die Frau, die sich traut
Das Klavier ist verstimmt, aber Cat Power singt trotzdem schön

Rote Augen, wirre Haare, wüstes Gefuchtel: Der Sänger, der dort oben auf der Bühne steht und die Gitarre mit ausladenden Gesten schwingt, hat keine rechte Freude an all dem, was er tut. Doch das Publikum ist zufrieden, und in die Genugtuung des Sängers über seinen Erfolg mischt sich fortan der Ekel, sich einem Geschmack unterwerfen zu müssen, der nicht der seine ist. Bis er es schließlich nicht mehr aushält: "What a sad trick you thought that you had to play / But I don't blame you / They never owned it / And you never owned it to them anyway."

Diese Geschichte vom wilden Sänger, der sich für ein kindliches Publikum zum Hampelmann macht, eröffnet als sparsam instrumentiertes, überaus ruhiges Lied eine Platte, die den größtmöglichen Abstand zu dem aufgeregten Mainstream hält, den sie anfangs beschreibt. Mehr als vier Jahre hat sich die 1972 geborene Chan Marshall nach dem gefeierten "Moon Pix" mit einem Album neuer Lieder Zeit gelassen - zuletzt nahm sie eine Platte mit Cover-Versionen auf.

Auf "You Are Free" ist der Stil dieser Künstlerin, die sich als Sängerin Cat Power nennt, noch verhaltener geworden. Ihre Texte sind düsterer, die Musik ist nicht selten aufs Wesentliche reduziert. Das Eröffnungsstück "I Don't Blame You" wird bestimmt von dem Zusammenspiel aus einem minimalistischen Klavier und Marshalls spröder Stimme, die an Aimee Mann oder Suzanne Vega denken läßt. Andere Lieder setzen an die Stelle des Klaviers als alleinigem Begleiter eine akustische Gitarre, der das Mikrofon so nahe rückt, daß man die über das Griffbrett rutschenden Finger überdeutlich hört - und manchmal läßt sich auch etwas Perkussion vernehmen.

Am überzeugendsten ist die Platte dort, wo Chan Marshall eine Winzigkeit Schwelgen in die Lieder legt: etwa in "Good Woman" - die Geschichte einer Frau, die aus vorausschauender Ängstlichkeit den Mann, den sie liebt, verläßt, um in einer zerstörerischen Beziehung weder sich noch den Geliebten zu beschädigen. Den aufgelösten Akkorden der elektrischen Gitarre, dem satten Baß und der melancholischen Geige steht Marshalls Stimme gegenüber: nüchtern genug, damit das Lied an keiner Stelle Gefahr läuft, sentimental zu werden; aber auch ausreichend brüchig, um das Eingeständnis des unabwendbaren Scheiterns glaubwürdig und berührend darzustellen. Auch wenn Chan Marshall in "Names", dem bittersten Stück dieser Platte, von Kindern singt, die auf unterschiedliche Weise von den Erwachsenen zerstört werden, hält ihre Stimme, begleitet vom hörbar verstimmten Klavier, diese feine Balance zwischen Beteiligung und Distanz.

In die Gefahr, sich beim Publikum anzubiedern, gerät "You Are Free" in keinem Moment. Ganz im Gegenteil: Die vierzehn Stücke des Albums meiden allen Überschwang und erschließen sich erst beim wiederholten Hören. Dann aber wird man der Platte für lange Zeit nicht müde, so gediegen, kunstvoll und - bei allen verhaltenen Tönen - aufregend ist sie geraten. Vielleicht geht es ja auch ohne rote Augen.

TILMAN SPRECKELSEN

Cat Power, You Are Free. Matador Records, OLE 427 (Indigo)

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